- Bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg hat die AfD in ihrer noch jungen Geschichte bereits historische Niederlagen erlitten.
- Die Rechtspopulisten verloren mehr als 30 Prozent ihrer Wählerschaft.
- Was bedeutet das für den Status quo der Partei? Ist der Abstieg ausgemacht? Sozialwissenschaftler Fabian Virchow gibt Antworten.
Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am vergangenen Sonntag (14. März) ist die AfD auf Tauchgang gegangen. Keine Partei hat so viele Stimmen verloren wie die Rechtspopulisten: Nachdem die AfD 2016 in Baden-Württemberg noch 15,1 Prozent der Stimmen einfahren konnte, landete sie jetzt bei nur noch 9,7 Prozent.
Ein Debakel auch in Rheinland-Pfalz: Nur 8,3 Prozent der Wählerinnen und Wähler machten ihr Kreuz bei der AfD – gegenüber 12,6 Prozent fünf Jahre zuvor.
Auch Sozialwissenschaftler Fabian Virchow von der Hochschule Düsseldorf wertet die Ergebnisse als herben Rückschlag: "Die Partei hat etwa 30 Prozent ihrer Wählerinnen und Wähler verloren", sagt er. So fielen beispielsweise auch die einstigen AfD-Hochburgen Mannheim und Pforzheim an politische Gegner.
Mitglieder treten aus
Ist der stetige Abstieg der AfD damit ausgemacht? "Nein, denn vermutlich wird die Partei in Sachsen-Anhalt (Landtagswahl am 6. Juni 2021, Anm. d. Red.) ihr Ergebnis halten können, sodass von einem stetigen oder generellen Abstieg der AfD noch keine Rede sein kann", schätzt Experte Virchow.
Allerdings gehe die Zahl der Mitglieder nun erstmals seit Gründung der Partei zurück. "Und das ist nicht nur auf die Bereinigung der Mitgliedsdatei aufgrund nicht gezahlter Beiträge zurückzuführen", betont Virchow.
Dennoch hält er ein Verschwinden der AfD für unwahrscheinlich. "Es gibt einen harten Kern von etwa 7 bis 9 Prozent an Überzeugungswählern", erinnert er. Die AfD könnte sich also in diesem Bereich einpendeln. "In Baden-Württemberg sind in den 1990er Jahren die rechtsextremen Republikaner über zwei Legislaturperioden im Landtag gewesen, insofern gibt es dieses Potenzial", sagt der Experte.
Protestmomentum verbraucht
Das Protestmomentum der AfD sei jedoch verbraucht. "Wer jetzt noch AfD wählt, tut dies aus Überzeugung und inhaltlicher Übereinstimmung", ist sich Virchow sicher. Die Mitte-Studien im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung untersuchen seit 2006 antidemokratische Einstellungen in der deutschen Bevölkerung.
Den jüngsten Studienergebnissen zufolge neigt jede fünfte befragte Person deutlich zu rechtspopulistischen Einstellungen, bei 42 Prozent lässt sich eine Tendenz dazu feststellen. Im Verlauf der Jahre haben sich rechtspopulistische Einstellungen zudem stabil verfestigt, sind also in der Mitte normaler geworden.
"Ob und in welchem Ausmaß dieses Potenzial abrufbar ist, hängt konkret von mehreren Faktoren ab: Ausmaß von Verdruss und Ablehnung der demokratischen Parteien, aber auch des demokratischen Systems insgesamt; Programm und Personal der AfD sowie konkretes Auftreten - und da bietet die AfD derzeit nicht viel", erklärt Virchow.
Richtungsstreit lähmt die AfD
Sicher ist der AfD deshalb auch der harte Kern bei weitem nicht: "Auch die Überzeugungswähler erwarten, dass ihre Stimme Ergebnisse produziert. Insofern wird eine AfD, sollte sie weiterhin politisch und personell gespalten bleiben und zu drängenden Fragen, wie zum Beispiel der Sozial- und Rentenpolitik, keine köhärente Linie entwickeln, auch davon nicht alle halten können", sagt Virchow.
Der innerparteiliche Richtungsstreit gilt als einer der Hauptgründe für den Absturz in der Wählergunst: Während der Parteivorsitzende
Konflikt lässt sich nicht entschärfen
"Die internen Querelen prägen stark das öffentliche Bild", sagt auch Virchow. Ein erheblicher Teil der Tätigkeit der Partei drehe sich darum, sodass Ressourcen gebunden würden. "Die AfD-Wähler und -Wählerinnen erwarten aber, dass die Partei offensiv die demokratischen Parteien angeht", erklärt er.
Der interne Richtungsstreit dürfte ein Problem bleiben: "Der Konflikt lässt sich nicht entschärfen und kann immer wieder sichtbar ausbrechen", erwartet Virchow: "Wenn die AfD in Sachsen-Anhalt gut abschneidet, wird der völkische Flügel die Personalfragen, also unter anderem die Zusammensetzung des Bundesvorstandes, offensiv thematisieren."
Spitzenkandidat für Bundestagswahl in Sicht?
Folglich bleibt auch die Frage nach der Spitzenkandidatur für die diesjährige Bundestagswahl ein Problem: "In den eigenen Reihen wird die fehlende Führung durch die Parteispitze beklagt", weiß Virchow. Das Problem sei aber, dass eine Doppelspitze den Konflikt abbilden würde, eine Einzelperson, die integrierend wirken könne und parteiintern stark genug ist, aber nicht in Sicht sei.
"Meuthen ist dem Risiko einer Niederlage ausgewichen, indem er erklärt hat, im Europaparlament bleiben zu wollen", sagt Virchow. Auch Alice Weidel empfiehlt sich nach dem Ergebnis in Baden-Württemberg nicht als Spitzenkandidatin. Beschädigt ist sie auch durch ihre Reise nach Russland in der Endphase des Wahlkampfs.
Verfassungsschutz soll schuld sein
Weidel macht derweil außerdem die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz für die bitteren Verluste verantwortlich. "Völlig rechtswidrig" hätten ihre politischen Gegner der AfD kurz vor der so wichtigen Wahl den "Verfassungsschutz auf den Hals gehetzt", sagte Fraktionschefin Weidel zur härteren Gangart des Inlandsgeheimdienstes.
"Das ist eine schöne Geschichte, um sich als Opfer 'finsterer Machenschaften' präsentieren zu können und von den parteiinternen Gründen abzulenken", kommentiert Virchow. Die Umfragewerte der AfD seien aber bereits seit längerem gesunken.
Quittung für Pandemie-Politik
Warum die Nichtwähler, die die AfD in der der Vergangenheit mobilisieren konnte, diesmal offenbar der Wahlurne fernblieben, darüber kann Virchow nur spekulieren. "Ich nehme an, dass hier tatsächlich eine Rolle spielt, dass die AfD einen Teil der Wähler und Wählerinnen enttäuscht hat, die sich ein anderes Auftreten erhofft haben", sagt er.
So hätte die Partei, die in der Pandemie für ein Ende des Lockdowns wirbt, bei einem Teil ihrer Anhänger wegen jener Haltung Unterstützung verloren. Auch möge es eine Rolle spielen, dass das Thema Migration und Flucht inzwischen keinen herausgehobenen Stellenwert mehr habe. "Wer konservativ, aber nicht CDU wählen wollte, hatte mit den Freien Wählern zudem eine aussichtsreiche Option", ergänzt Virchow.
Einpendeln auf stabilem Wert?
Dennoch könnte sich der AfD bald noch einmal die Chance bieten, zu punkten: "Es wird in absehbarer Zeit um die Frage gehen, wie die zur Abfederung der ökonomischen Folgen der Pandemie aufgewandten Milliarden wieder reingeholt werden. Möglich, dass die AfD dann wieder mit rassistischen Positionen punktet", meint Virchow.
Ob sich die AfD künftig also – trotz innerparteilicher Querelen – auf einem stabilen Wert einpendelt, ist nicht ausgemacht. "Die Partei wird ihren internen Konflikt nicht lösen können, das heißt, er wird weiterhin Ressourcen verbrauchen, die der Partei bei der Profilierung gegenüber Wählerinnen und Wählern fehlen werden", so Experte Virchow. Sicher sei nur: Kurzfristig verschwinden wird die AfD nicht.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Fabian Virchow
- "RLP.de": Wahlergebnisse der Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz 2016 und 2021
- "Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg": Wahlergebnisse der Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz 2016 und 2021:
- Friedrich-Ebert-Stiftung: Mitte-Studie. Ergebnisse 2018/2019
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