Jetzt noch Fußball, dann wieder auf die Pandemie konzentrieren: SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gibt bei Maybrit Illner zunächst grünes Licht für Public Viewing. Im Freien und mit Abstand könne man auch mal die Maske fallen lassen. Doch vorbei ist die Pandemie noch nicht.

Eine Kritik
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Fast hatte man in den vergangenen Tagen vor lauter Fußball die Corona-Pandemie ein bisschen vergessen. Schön, dass Deutschland jetzt wieder 82 Millionen Bundestrainer statt 82 Millionen Virologen hat. Das hat Leon Goretzka vor kurzem gesagt.

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Allerdings lauert das Virus immer noch – auch da, wo gerade Fußball gespielt wird. Passend zum spielfreien Tag bei der Europameisterschaft geht Maybrit Illner am Donnerstagabend mit ihren Gästen der Frage nach, ob der Fan-Reisezirkus dem Virus neuen Auftrieb geben und uns damit den Sommer verderben könnte.

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Das sind die Gäste bei Maybrit Illner

  • Karl Lauterbach: Der SPD-Gesundheitsexperte findet es falsch, dass am Dienstag 45.000 Menschen das EM-Achtelfinale zwischen England und Deutschland im Wembley-Stadion verfolgen dürfen. Denn in England ist die hochansteckende Delta-Variante besonders verbreitet. "Das ist ein Brandbeschleuniger für die Delta-Variante."
  • Jochen Breyer: Auch der ZDF-Sportmoderator versteht nicht, warum die zulässigen Zuschauerzahlen jetzt genauso steigen wie die Inzidenz in Großbritannien: "Man hat den Eindruck, dass die Gesundheit da nicht im Vordergrund steht, sondern die Interessen der Geldgeber."
  • Claudia Kade: Der Politikchefin der "Welt" macht vor allem Sorge, dass es keine einheitlichen europäischen Regeln für die Einreise aus Virusvariantengebieten wie Großbritannien gibt. "Ich verstehe nicht, wie wir das nach 15 Monaten noch nicht politisch auf EU-Ebene hinbekommen haben."
  • Diana Zimmermann: "Er hat sich von der UEFA unter Druck setzen lassen", sagt die ZDF-Korrespondentin in London über den britischen Premierminister Boris Johnson. Schließlich agiere auch Johnson gerne nach dem "Lustprinzip".
  • Gerhard Scheuch: Der Physiker und Aerosol-Experte ist überzeugt: Im Freien finden so gut wie keine Corona-Ansteckungen statt. Das gelte auch für ein Fußballstadion. Gefährlicher sei die Situation beim Drumherum: in den Logen, auf den Toiletten oder in den Bussen zum Stadion.

Das ist das Rededuell des Abends

Dies ist kein Abend der Rededuelle, auch wenn die Einschätzungen an der einen oder anderen Stelle mal auseinandergehen. Zum Beispiel zur Frage, wie gefährlich ein teil- oder vollbesetztes Stadion in der Pandemie ist.

Aerosol-Experte Gerhard Scheuch gibt sich jedenfalls recht entspannt. In Deutschland ist die Inzidenz mit sechs bis sieben Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern derzeit niedrig. Scheuch rechnet vor: Auf 10.000 Zuschauer im Stadion kommen zumindest in Deutschland im Schnitt nur 0,7 Infizierte. Und ein einzelner Infizierter werde nicht gleich das ganze Stadionrund anstecken.

Da kommt ein Veto aus London. "Die Signalwirkung, die von vollen Stadien ausgeht, ist: Es ist in Ordnung, in vollen Stadien Fußballspiele zu schauen", sagt ZDF-Korrespondentin Diana Zimmermann. Vor diesem Eindruck würden Experten in Großbritannien dringend warnen.

Das ist der Moment des Abends bei "Maybrit Illner"

Karl Lauterbach hat in der Pandemie schon häufig bewiesen, dass er keine Angst davor hat, als Spielverderber rüberzukommen: Statt leichtsinnig zu sein, mahnt er lieber vor zu viel Freiheiten. An diesem Abend aber zeigt er ein Herz für Fußballfans, ob im Stadion oder beim überschaubaren Public Viewing.

In ein Stadion mit 70.000 Plätzen könne man derzeit durchaus 14.000 Zuschauende lassen, findet der Epidemiologe – dann könne man anderthalb Meter Abstand halten und sogar die Maske abnehmen. Ähnliches gilt für das gemeinsame Fußballschauen in Biergärten oder vor Restaurants: "Das ist unbedenklich, wenn die Abstände gewährleistet sind und man das zivilisiert macht." Öffentliches Fußballschauen ist also selbst mit dem Segen des Gesundheitspapstes möglich – das ist auf jeden Fall eine gute Nachricht.

Das ist das Ergebnis

Ganz so leicht macht es Lauterbach dem Publikum aber auch nicht: "Es wird auf jeden Fall eine vierte Welle geben. Die Frage ist nur, wie hart sie uns treffen wird." Deswegen muss die Politik aus Sicht des SPD-Gesundheitspolitikers die kommenden Wochen nutzen: Sie müsse die Einreiseregeln wieder verschärfen und eine Kampagne starten, um die Impfbereitschaft zu erhöhen.

Vor allem in der zweiten Hälfte der Sendung ist die Diskussion schnell wieder da, wo sie in den vergangenen 15 Monaten schon häufig war: bei Erläuterungen zur Virusausbreitung, Ärger über die Pandemiepolitik und bei der Frage, was eigentlich mit den Schulen passiert. Alles wichtig, aber auch schon alles zigmal thematisiert.

Dabei hätte man diesen Abend auch nutzen können, um die aktuellen Diskussionen um das ungarische LGBTQ-Gesetz und Regenbogen-beleuchtete Stadien auf die Tagesordnung zu setzen. Aber so ist es eben in der Pandemie: Zur Zeit sind die 82 Millionen Deutschen Bundestrainer und Virologen in Doppelfunktion.

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