• Das Hochwasser hat in großen Teilen Deutschlands massive Schäden verursacht und besonders Nordrhein-Westfahlen und Rheinland-Pfalz getroffen.
  • Der Staat hilft - und beschließt millionenschwere Sofort- und Wiederaufbauhilfen. Ist das fair?
  • Denn während in manchen Bundesländern viele Bürger gegen Hochwasser versichert sind, stehen in anderen Bundesländern viele ohne Versicherung da.
  • Gucken die Versicherten da nicht blöd aus der Wäsche? Zwei Experten debattieren über eine Pflichtversicherung.

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400 Millionen Euro Soforthilfe für Hochwassergebiete hat das Bundeskabinett beschlossen. 200 Millionen kommen vom Bund, die andere Hälfte übernehmen die betroffenen Länder.

Mit dem Geld sollen akute Notlagen überbrückt werden, aber auch Schäden an Gebäuden und der kommunalen Infrastruktur beseitigt werden. Besonders in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hatte der Starkregen zu Überschwemmungen geführt. Nasse Keller, kaputte Dächer, durchweichte Möbel waren die Folge.

Ruf nach solidarischer Pflichtversicherung

Das Geld, welches ohne großen bürokratischen Aufwand ausgezahlt werden soll, dürften viele deshalb nun gut gebrauchen können: Nur 45 Prozent der deutschen Wohngebäude sind mit "erweitertem Naturgefahrenschutz" und damit gegen Starkregen oder Hochwasser versichert.

Viele Betroffene müssen deshalb allein für die Schäden aufkommen oder auf die Hilfen des Staates hoffen. In Risikogebieten lassen sich Häuser nur schwer oder sehr teuer versichern. Rufe nach einer solidarischen Pflichtversicherung werden nun immer lauter - besonders aus der Politik.

Die Branche ist gegen eine Pflichtversicherung

So forderte beispielsweise der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann eine verbindliche Elementarversicherung, auch der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach spricht sich für ein solches Modell aus. Die Versicherungsbranche selbst lehnt Pflichtversicherungen für Flutschäden allerdings ab.

Die Unterschiede in der Versicherungslandschaft sind enorm: Zwischen den einzelnen Bundesländern gibt es massive Unterschiede. Während in Baden-Württemberg 94 Prozent der Wohngebäude einen Elementarschutz haben und in Thüringen und Sachsen immerhin noch 48 Prozent, war in Bremen (22 Prozent) und Niedersachsen (25 Prozent) im Jahr 2019 nur ein deutlich geringerer Teil der Wohngebäude entsprechend versichert. Und das, obwohl bis 2017 Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen die höchsten Schäden durch Starkregen zu verzeichnen hatten.

Ungleiche Versicherungslandschaft und eine gewachsene Kultur

Woher kommen die Unterschiede in der Versicherungslandschaft? Reimund Schwarze, Experte für Klimaökonomie und Naturgefahren am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, sagt: "Die große Streuung der Elementarversicherungen in Deutschland ist ökonomisch betrachtet unerklärbar. Vielmehr liegen die Ursachen in der Betroffenheit der Region und ihrer gewachsenen Kultur."

Konkret heißt das zum Beispiel: In Baden-Württemberg gab es bis 1994 eine Pflichtversicherung gegen Hochwasser mit einer solidarischen Einheitsprämie. Im Zuge einer EU-Reform wurde sie abgeschafft.

"Noch heute sind die Gebäude in Baden-Württemberg aber fast voll versichert, die Kultur hat institutionelle Reformen überlebt", sagt Schwarze. Dort, wo es in der Vergangenheit Pflichtversicherungen gegeben habe, würden es die Bürger als viel selbstverständlicher empfinden, sich zu versichern.

Das betreffe auch die Anbieter: "In Baden-Württemberg waren die Sparkassen Träger der Pflichtversicherung. Auch heute bietet die SparkassenVersicherung (SV) noch Elementarversicherungen in Regionen an, wo der normale Privatversicherer gar keine Policen anbietet", erläutert Schwarze.

Außerdem sei in manchen Bundesländern der Solidargedanke einer Versicherung mehr mit Leben ausgefüllt worden als in anderen. "Vor allem Baden-Württemberg und Bayern haben die Vorteile einer Versicherung genossen, weil sie naturgemäß mehr in Anspruch genommen wird", weiß Schwarze.

Forderung nach einer neuen Katastrophenvorsorge

Er ist sich sicher: Es ist Zeit für eine neue Katastrophenvorsorge in Deutschland, zu der auch eine lückenlose Versicherungspflicht zählt. "Das wäre angesichts der zunehmenden Existenzbedrohung in der Fläche die Vernunftlösung", sagt der Experte. Früher sei die Elementarversicherung vor allem ein Thema für Fluss-Anrainer gewesen, heute könne es jede und jeden treffen.

"Eine solche Lösung wäre auch um ein Vielfaches günstiger als das aktuelle Marktmodell", glaubt Schwarze. Die Höhe der Prämie schätzt er auf 50 bis 200 Euro pro Jahr und Einfamilienhaus für 99 Prozent aller Versicherungsfälle. "Ein Rechtsanspruch aller Bürger auf Entschädigung, wie es eine Versicherungspflicht bietet, ist deutlich gerechter, als Ad-hoc-Hilfszusagen, die wahlkampfgetrieben sind", argumentiert er.

Juristisches Gegenargument: Eine Pflichtversicherung ist ein Eingriff in die Freiheitsrechte

Vorstellbar sei es auch, die Versicherung mit Prämien zu versehen, etwa, wenn sich Bürgerinnen und Bürger um Selbstschutz ihrer Immobilien bemühen. "Finanziell schwachen Hauseigentümern könnte man notfalls mit Wohngeld unter die Arme greifen", meint Schwarze.

Auch der Umweltökonom Stefan Baumgärtner spricht sich für eine Pflichtversicherung aus. Doch er kennt auch die Einwände: "Juristen führen als Gegenargument immer wieder den Eingriff in die Freiheitsrechte an, wenn man zu einer Versicherung gezwungen wird", gibt er zu bedenken.

Die Forderung nach einer Versicherungspflicht gegen Hochwasser ist nicht neu - sie war schon nach dem Hochwasser von 2013 Thema, scheiterte 2017 aber wegen verfassungsrechtlicher Bedenken.

"Man muss auch bedenken, dass bei einer Pflichtversicherung kommerzielle Versicherungsanbieter Gewinne generieren würden, ohne sich für ein besonders gutes Produkt anstrengen zu müssen", sagt Baumgärtner. Er rät deshalb, im Falle einer Versicherungspflicht auch auf Anbieterseite regulierend einzugreifen.

Existenzbedrohende Schäden nehmen zu

"Die Versicherer müssten natürlich alle Menschen versichern, ohne jemanden wegen eines zu hohen Risikos abzulehnen", erinnert er. Bei der Riester-Rente hätten die Anbieter allerdings die staatliche Förderung in die eigenen Taschen gewirtschaftet, ohne ein gutes Produkt anzubieten. "So etwas dürfte nicht passieren", warnt Baumgärtner.

Dennoch: Die Schäden, die Starkregen, Sturm oder Hochwasser verursachen können, sind existenzbedrohend - und sie nehmen zu. "Der Klimawandel kommt stärker und schneller als gedacht", sagt Baumgärtner. Zwar müsse der Staat im Schadensfall immer das Minimum zum Leben garantieren, könne aber auch darauf drängen, dass Bürger zunächst ihren eigenen Teil beisteuern.

"In einer Pflichtversicherung würden Bürger auch die Risiken ihrer Immobilie gespiegelt bekommen. Jetzt wird unter Umständen auch viel Geld an solche ausgeschüttet, die ein Haus wider besseres Wissen in einem Risikogebiet gebaut haben", meint der Experte.

Die genaue Ausgestaltung der Versicherung - von Teil-Kasko bis Selbstbehalt oder regionenabhängiger Prämie - müsste noch diskutiert werden. Für Baumgärtner ist die Debatte um die Versicherungspflicht aber ohnehin zweitrangig: "Wir müssen zuerst über physische Schutzmaßnahmen in der Landschaft sprechen - also etwa über Auflagen für Neubauten, Wasserrückhaltebecken, Windschneisen oder die Gestaltung von Bebauungsplänen", fordert er. Derzeit wolle die Politik einfach den schwarzen Peter schnell wieder loswerden.

Über die Experten:
Prof. Dr. Reimund Schwarze ist Experte für Klimaökonomie und Naturgefahren am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Er lehrt als Professor für Internationale Umweltökonomie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Zu seinen
Prof. Dr. Stefan Baumgärtner ist Lehrstuhlinhaber für Umweltökonomie und Ressourcenmanagement der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Seine Expertise in Forschung, Lehre und Wissenstransfer liegt auf dem Gebiet der Umwelt- und Ressourcenökonomik und der Ökologischen Ökonomik, mit einem Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Prof. Dr. Reimund Schwarze
  • Interview mit Prof. Dr. Stefan Baumgärtner
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