• Als Doris Braun, Mitarbeiterin des Reiterhofs Trimbser Mühle, nachmittags am kleinen Fluss Nette steht, befindet sich der Pegel noch zwei Meter unterhalb des Ufers.
  • Die Sonne scheint – von Regen keine Spur. Das Flüsschen ist für gewöhnlich rund 20 Zentimeter tief und nur wenige Meter breit.
  • Ein paar Stunden später ist auf dem Hof alles zu spät: Aus dem Bächlein ist ein reißender Fluss geworden, der vor Häusern, Menschen, Tieren keinen Halt macht.
  • So wie dem Familienbetrieb in der rheinland-pfälzischen Eifel ging es vor einigen Tagen vielen.

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In einer einzigen Nacht wurden in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ganze Landstriche verwüstet. Rund 40.000 Menschen mussten innerhalb weniger Minuten ihr Leben retten.

Wer sich in Sicherheit bringen konnte, sah mit an, wie sein Haus überflutete, wie es zusammenstürzte oder weggerissen wurde, wartete auf dem Dach auf Rettung, verbrachte die nächsten Tage bei Verwandten oder in Notunterkünften, pumpte schließlich Keller und Erdgeschosse leer und räumte Trümmer aus den Häusern. Es war eine Schicksalsnacht mit abertausenden Geschichten.

Innerhalb von Minuten war alles zerstört

So wie es dem Reiterhof Trimbser Mühle in der Flutnacht erging, erlebten es vermutlich viele. Die Anlage liegt am tiefsten Punkt des idyllischen 600-Seelen-Dörfchens Trimbs. Nicht weit davon entfernt schlängelt sich die Nette durch den Ort.

Die Vorbereitungen auf das Sommerferienprogramm liefen in der Reitschule auf Hochtouren. Doch das Wasser der unscheinbaren Nette überflutete in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag innerhalb von wenigen Minuten sämtliche Stallungen, Wiesen, Koppeln, zwei Geschosse des Wohnhauses, die Ferienwohnung, das Lager, die Reithalle.

"Das war alles so absurd. Wir waren völlig überrascht, bei uns hatte es nicht geregnet. Es gab keine Vorwarnung. Als ich angerufen und hektisch gebeten wurde, schnell runter zum Hof zu kommen, kam ich schon nicht mehr auf den Parkplatz. Das ging alles so unfassbar schnell. Innerhalb von Minuten ging mir das Wasser bis zur Hüfte, die Strömung war lebensgefährlich. Die Alten hier im Ort sagen, so etwas hätte es hier noch nicht gegeben", sagt Doris Braun im Gespräch mit unserer Redaktion.

Als dann auch noch der Strom ausfiel und das Licht ausging, herrschte unheimliche Stimmung. Wie durch ein Wunder konnten die 50 Pferde gerettet und provisorisch im Dorf untergebracht werden, die Hühner jedoch ertranken in den Fluten.

Im zweiten Stock des Wohnhauses hielt sich noch die über 70-jährige Großmutter der Familie auf. Das Flutwasser schnitt der herbeieilenden Feuerwehr jedoch den Weg zu ihr ab – eine Flucht aus dem Haus war unmöglich.

Erst einen halben Tag später befreiten Helfer sie und die ebenfalls eingeschlossenen Hunde. "Sie mussten dort ausharren, die ganze Nacht lang und ohne Strom. Zum Glück fiel bei uns nicht auch noch das Mobilfunknetz aus, sodass wir immerhin übers Handy in Verbindung standen", schildert Doris Braun.

Für einige kam das Wasser zu schnell

Von ebenfalls dramatischen Ereignissen dieser Nacht berichtet Björn Zimmer. Seine Eltern leben in dem 60 Kilometer entfernten Ludendorf in Nordrhein-Westfalen. Der kleine Ort bei Heimerzheim liegt unterhalb der viele Tage als instabil geltenden Steinbachtalsperre. Während bei ihm in Rheinbach der Keller nur ein paar Zentimeter volllief, schnellte die Flutwelle des Bächleins Orbach plötzlich durch Ludendorf.

"Es hatte hier überall fast 24 Stunden geregnet, das Wasser sammelte sich in den ganzen Bächen. Mitten in der Nacht wurden meine Eltern dann von der Flut überrascht. Im Erdgeschoss haben sie es im knöcheltiefen Wasser ausgehalten, bis sie schließlich mit einem Boot gerettet und evakuiert wurden. Wir haben sie dann bei uns aufgenommen", sagt Zimmer.

Andere im Ort hätten es leider nicht geschafft, aus dem Keller zu fliehen. "Sie waren damit beschäftigt, den Keller vor dem eindringenden Wasser zu schützen, als die Flutwelle kam. Die Menge an Wasser vom Bach war einfach zu stark, um zu entkommen", schildert er.

Müll ohne Ende und Schaulustige

Da die Steinbachtalsperre tagelang zu brechen drohte, konnten seine Eltern erst vier Tage nach der Katastrophe zurück in ihr Haus. "Der Keller ist rund 150 Quadratmeter groß, mein Vater hat hier viele Dinge gesammelt. Wir müssen jetzt mehrere Tage Wasser hier raus pumpen. Das ist total verseucht und voller Öl und Benzin. Dann muss der ganze Müll wegtransportiert werden – sechs Traktoranhänger haben wir schon weggefahren, genauso viele brauchen wir nochmal", erzählt Björn Zimmer.

In diesen Tagen türmen sich deshalb viele Müllberge in den Straßen der betroffenen Ortschaften. Hoffnung machen die vielen freiwilligen Helfer, die sich in sämtliche betroffene Gebiete aufgemacht haben.

Auch Doris Braun freut sich über die helfenden Hände: "Wir haben hier rund 100 Helfer. Viele kommen zum Übernachten, das geht gut im fast unbeschädigten Gästehaus. Sie nutzen ihren Urlaub dafür und wir bekommen jeden Tag neue Anfragen."

Doch immer wieder blockieren auch Schaulustige die Aufräumarbeiten. Björn Zimmer regt das auf: "Da kommen Leute, die sind definitiv keine Helfer. Die schauen und machen Fotos. Und dann blockieren sie auch noch die Straßen."

Wiederaufbau wird Monate dauern

In Ludendorf gibt es einige Tag nach der Katastrophe immer noch keinen Strom. "Wir brauchen hier dringend Bautrockner, Statiker und Elektriker. Das muss hier aucch alles dringend begutachtet werden", sagt Björn Zimmer. Zudem sind die meisten Betroffenen nicht gegen Elementarschäden versichert. Seine Eltern hoffen auf die versprochenen Soforthilfen.

Den Betreibern des Reiterhofs in der Eifel geht es ähnlich. "Private Geldspenden können wir gut gebrauchen. Hier ist nichts ausreichend versichert, alle Schäden müssen wir selbst bezahlen. Über die haben wir noch gar keinen richtigen Überblick. Wir müssen die Weiden neu machen, den Boden der Reithalle, die Zäune, das Wohnhaus und noch so vieles mehr. Es geht hier jetzt um die Existenz des Betriebes. Wir müssen das hier durchhalten. Das wird kein Sprint, sondern ein Marathon", fasst Doris Braun die Lage zusammen.

Der Schock sitzt tief, Erschöpfung macht sich breit

"Erst gestern ist hier noch eine Brücke zusammengebrochen. Alle stehen seit Tagen unter Schock. Die Kinder sind total verunsichert, das ist sehr belastend für sie", schildert Björn Zimmer.

Doris Braun berichtet, sie funktioniere im Moment nur. "Wir räumen 14 Stunden am Tag auf, keiner hat hier Ruhe, seitdem das alles passiert ist. Ich bin kaputt und glaube, es wird noch dauern, bis wir das ganze Ausmaß realisiert haben."

Wie schnell nun die Hilfsgelder bei den Betroffenen ankommen, ist unklar. "Die Politik ist da zu langsam. Wir brauchen jetzt Hilfe und ich habe Angst davor, wenn die Spenden aufhören. Nach der Enttäuschung mit den Corona-Hilfen glaube ich nicht, dass da schnell etwas bei uns ankommt", befürchtet Doris Braun vom Pferdehof.

Wer kurzfristig helfen möchte, kann konkret an den Reiterhof Trimbser Mühle (Konto IBAN DE07 5765 0010 0198 5704 83) oder generell an das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe spenden.

THW-Vize über Flut-Gebiete: Kaum noch Chancen Überlebende zu finden

In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hat die Flutkatastrophe schwere Schäden angerichtet. Sabine Lackner, Vorsitzende des Technischen Hilfswerks, rechnet nun kaum noch damit, Überlebende in den Flutgebieten zu finden: Es sei wahrscheinlich, dass man "Opfer nur noch bergen kann, nicht mehr retten", erklärete sie dem "RND".

Verwendete Quellen:

Interviews mit Doris Braun und Björn Zimmer

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