Nachdem die Grünen mit Ricarda Lang und Omid Nouripour ihre neuen Parteivorsitzenden gewählt haben. Wie die Aussagen einzuordnen sind.

Nach der Wahl von Ricarda Lang und Omid Nouripour zum neuen Parteivorsitz bei den Grünen verbreitete sich auf Twitter (hier und hier) und YouTube die Behauptung, Nouripour wolle "die Scharia in Deutschland einführen". Auch die österreichische Website "Report24", die immer wieder Falschaussagen verbreitet, behauptete das in einem Artikel.

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Ein kurzer Videoausschnitt, der zusammen mit der Behauptung verbreitet wird, zeigt Nouripour im Bundestag. Darin sagt der Grünen-Politiker jedoch nicht, dass er "die Scharia einführen" wolle.

Video zeigt Omid Nouripour im Jahr 2018 bei einer Bundestagsdebatte

Im Netz verbreitet sich lediglich eine verkürzte Version des Videos mit Nouripours Aussagen. Wir fanden das Originalvideo auf dem YouTube-Kanal des Deutschen Bundestages, es zeigt eine Bundestagsdebatte vom 11. Oktober 2018. Ab Minute 13:30 findet sich die Aussage Nouripours. Er reagierte auf einen Redebeitrag eines AfD-Politikers.

Wörtlich sagte Nouripour: "Es sind ganz viele Arten von Scharia unterwegs. Unser Job hier ist es, dafür zu sorgen, dass die Teile, die mit dem Grundgesetz vereinbar sind, auch angewendet werden können, und die nicht, die eben nicht." Weiter fragte er, was die AfD mit "der Scharia" meine, die Geschichte des Islams sei eine "ganz lange Geschichte von Interpretationsmöglichkeiten".

CORRECTIV.Faktencheck bat die Grünen um eine Stellungnahme zu der Passage. Eine Sprecherin teilte per E-Mail mit, Nouripours Aussage sei eindeutig: Die "Rechts- und Gesellschaftsordnung" in Deutschland beruhe "einzig auf dem deutschen Grundgesetz". Es seien nur solche Interpretationen der Scharia und aller anderen religiösen Schriften hinnehmbar, "die mit unserem Grundgesetz im Einklang stehen".

"Die Scharia" ist kein Buch, sondern eine Sammlung verschiedener Handlungsvorschriften

Wie CORRECTIV.Faktencheck bereits Ende Oktober 2021 erklärt hatte, ist die Scharia kein Buch wie der Koran, die Bibel oder die Tora. Vielmehr handelt es sich um eine Sammlung von Handlungsweisen, die Menschen im muslimischen Glauben auferlegt sind. Das schreibt zum Beispiel die Bundeszentrale für politische Bildung. Es gibt viele verschiedene Interpretationen dieser Regeln.

Für unseren Faktencheck im Oktober 2021 schrieb uns Johanna Pink, Professorin für Islamwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, der Begriff "Scharia" stehe für "das Ideal einer von Gott für den Menschen vorgesehenen Rechtsordnung", das aus verschiedenen Textquellen abgeleitet werde.

Der Begriff "Scharia" verweise auf Normen und Regeln, die verschiedene Lebensbereiche betreffen: "Für die meisten Muslim*innen umfasst Scharia primär das religiöse Ritualrecht, also etwa Gebet, Fasten im Ramadan, Almosensteuer, Wallfahrt, Speisevorschriften und rituelle Beschneidung, oft auch Kleidervorschriften wie zum Beispiel das Kopftuch. Darüber hinaus stellen sich viele Muslim*innen unter der Geltung der Scharia eher die Einhaltung religiös begründeter ethischer Prinzipien vor - das kann Gerechtigkeit, Wohltätigkeit, den Schutz von Familie und Ehe und vieles mehr umfassen", so Pink.

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