Die geplanten Stromtrassen "Suedlink" und "Suedostlink" wurden der Öffentlichkeit vor fünf Jahren vorgestellt. Seitdem sorgen die Stromautobahnen vor allem für Hochspannung zwischen Gegnern und Befürwortern. Planungsverzögerungen, Proteste und hitzige Debatten sind die Bilanz der letzten fünf Jahre. Einen besonderen Zick-Zack-Kurs fährt dabei Horst Seehofer.

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Die Rechnung klingt einfach: Im Norden Deutschlands drehen sich die Windräder an den Küsten kräftig und produzieren mehr Strom, als vor Ort verbraucht wird. Im Süden, etwa in Bayern, ist die Situation genau umgekehrt: Hier wird mehr Strom verbraucht, als vor Ort erzeugt wird. Was also tun? Der Strom aus dem Norden muss in den Süden gebracht werden.

Geschehen soll das Ganze über "Stromautobahnen" – kilometerlange Trassen quer durchs Land. 2013 beschloss der Bundesrat die Milliardenprojekte "Suedlink" und "Suedostlink". Die Betreiberfirmen "TenneT" und "TransnetBW" (Suedlink) beziehungsweise "TenneT" und "50Hertz" (Suedostlink) sollen den Bau eines der größten Infrastrukturprojekte Europas übernehmen.

Die Zeit drängt

Das war vor fünf Jahren - dabei drängt die Zeit: Um die Energiewende zu schaffen und die globale Erwärmung zu stoppen, will die Bundesregierung schon 2050 rund 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs mit erneuerbaren Energien decken.

Gleichzeitig sind die Abschaltung von Kernkraftwerken bis 2022 und der Kohleausstieg bis 2038 beschlossen - die Stromerzeugungslandschaft in Deutschland verändert sich deutlich, das Ungleichgewicht zwischen Norden und Süden verschärft sich weiter.

Ernüchternde Bilanz nach 5 Jahren

Anstatt in Sachen Energiewende gemeinsam das Tempo anzukurbeln, verzögern riesige Diskussionen darüber, wo und wie die Trassen genau verlaufen sollen, die Projekte. Wann "Suedlink" und "Suedostlink" erstmals Strom transportieren werden, steht nach fünf Jahren immer noch nicht fest.

Den deutschen Steuerzahler kommt das teuer zu stehen. Ohnehin sind viele Bürger mit den Stromtrassen nicht einverstanden und liefen Sturm gegen das Zukunftsprojekt, noch ehe die erste Trasse fertig geplant war.

Menschenketten und Protestplakate

Denn schon während die Betreiberfirmen sich 2014 mit der Regulierungsbehörde "Bundesnetzagentur"(BNetzA) über mögliche Trassenführungen und lückenhafte Anträge zankten, mobilisierten die Anwohner Protest. Schnell schmückten Plakate die Straßen, auf denen durchgestrichene Strommasten prangten und Sprüche wie: "Suedlink Nein Danke!"

Der Widerstand dutzender Bürgerinitiativen vor allem in Schleswig-Holstein, Thüringen, Hessen, Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg hält bis heute an.

"Keine Stromtrasse durch Kisdorferwohld", "Nicht zwischen Rhön und Rennsteig!" oder "Keine Stromtrasse durch unser Suhltal!" rufen die Gegner. Im Englischen ist dieses Verhalten als "Nimby"-Prinzip bekannt, kurz für: Not in my backyard - Energiewende ja, aber nicht in meinem Hinterhof.

Organisiert werden Bürgerdialoge im hessischen Kassel, Protestzüge im bayrischen Bergrheinfeld, Podiumsdiskussionen in Altdorf und Demonstrationen in Nürnberg. Im Thüringer Fambach bildeten 3.000 Menschen eine Protestkette. Warum eigentlich?

Was sagen die Gegner?

Zunächst legten die Gegner aus Furcht vor hässlichen Strommasten ein Augenmerk auf das Landschaftsbild. So schreibt etwa ein bayrisches Aktionsbündnis unter dem Hashtag "fehlamplatz": "Sie gefährden unsere schöne Landschaft und die Lebensqualität vor Ort." Die Gegner befürchten auch Auswirkungen auf Natur und Tierwelt.

Besonders Landwirten ist das Projekt ein Dorn im Auge, bei Kabeln unter der Erde rechnen sie mit Ernteausfällen. "Wir haben einfach Angst vor der Zerstörung unserer Bodenstruktur, der veränderten Wasserführung und Wärmeabgabe der Kabel. Es gibt noch keine Erfahrungen", zitiert der "Bayrische Rundfunk" den Landwirt Herrmann Klug.

Umweltschutz bis Gesundheitsgefährdung

Vorgebracht wird auch eine mögliche Gesundheitsgefährdung durch elektro-magnetische Strahlung sowie die Abwertung der eigenen Immobilien. Medizinerin Dr. Marlies Neumann sprach auf einer Demonstration in Trebsau sogar von einem "ökologischen Todesstreifen": Durch den Bau der "Monstertrasse" werde das Grundrecht der "körperlichen Unversehrtheit" außer Kraft gesetzt, auch unterhalb der Grenzwerte könnten magnetische Felder etwa Implantate im Körper beeinflussen.

Die Gegner haben weitere Argumente: Die Lasten der Energiewende seien ungleich verteilt, außerdem werde auf den Stromtrassen auch klimaschädlicher Kohlestrom transportiert.

Die Liste geht weiter: Die Trassen seien mit einer Rendite von neun Prozent nur für die Investoren schmackhaft. Es gehe nicht um den Transport von Strom aus dem Norden in den Süden, sondern vielmehr um den lukrativen europäischen Strommarkt. Sie fordern eine dezentrale und lokale Stromerzeugung.

Besonders in Bayern ist man der Meinung, man könne sich etwa durch Biogasanlagen, Blockheizkraftwerke oder Photovoltaik selbst versorgen.

Was sagen die Befürworter?

Fiete Wulff leitet die Pressestelle der BNetzA und kennt die aufgeheizte Debatte. Er versichert: "Eine möglichst umweltverträgliche Trassenplanung ist in unser aller Interesse. Bei der Bewertung möglicher Korridore spielen naturschutzrechtliche Aspekte eine zentrale Rolle."

Der Experte erinnert: "Es geht um ein gesamtgesellschaftliches Projekt Deutschlands, nicht von 16 einzelnen Bundesländern. Der Umstieg auf erneuerbare Stromerzeugung macht diesen Ausbau unumgänglich."

Energiewende ohne Trassen nicht machbar

In den Augen von Wulff sind große Teile der Kritik stark verkürzte Darstellungen. So betont der Sprecher, dass die Leitungen nicht für den Kohlestrom gebaut werden, sondern, weil sich die Erzeugungssituation bei den erneuerbaren Energien in Deutschland ändert. "Auf den Leitungen fließt rein technisch natürlich der vorhandene Strom-Mix, alle Szenarien gehen aber davon aus, dass der Kohlestrom reduziert wird", so Wulff.

Ähnlich steht es um den europäischen Strommarkt, welcher nicht der Grund für den Bau sei. "Der deutsche Strommarkt ist keine Insel, sondern Teil eines großen europäischen Binnenmarktes", so der Experte. Deutschland profitiere davon und würde ohne diesen Markt die Energiewende kaum bewältigen.

Alleinversorgung nicht möglich

Auch dem Argument, Bayern könne sich selbst versorgen, erteilt Wulff eine Absage: "Alle Szenarien untermauern ein strukturelles Erzeugungsdefizit in Süddeutschland." Die Einschätzung, man brauche keine Leitungen nach Süddeutschland, halte der berechneten Überprüfung nicht Stand. Deutschland bleibe ein Industrieland, große Industriestandorte könne man nicht dezentral versorgen.

Stephan Kohler, seinerzeit Chef der Deutschen Energie-Agentur, fasste gegenüber der "Welt" zusammen: "Man kann nicht für die Wind- und Solarenergie sein, aber gegen die Infrastruktur, die dafür gebraucht wird." Wer die Energiewende wolle, müsse auch die Trassen akzeptieren.

Welche Rolle spielt Seehofer?

Einigen wir uns also darauf, dass wir uns uneinig sind? Wohl kaum, denn ständig flammt die Debatte wieder auf. Großen Anteil daran hat Horst Seehofer. Hatte die bayrische Landesregierung 2013 im Bundesrat noch stillschweigend zugestimmt, schwang sich der damalige CSU-Chef kein Jahr später zum Wortführer der bayrischen Trassengegner auf - kurz vor den Kommunalwahlen.

Gegenüber der "Bild"-Zeitung behauptete er, man könne nicht sagen: "Einmal beschlossen, immer beschlossen". Seehofer forderte, die "Eckpunkte der Energiewende" samt "Blick auf die Versorgungssicherheit", "Kosten für die Bürger" sowie Notwendigkeit und Machbarkeit erneut zu prüfen.

Das Doppelspiel von Seehofer

Als Seehofer merkte, dass er das Projekt nicht gänzlich würde verhindern können, änderte er seine Taktik: Die bayrischen Interessen wollte er nun mit einer Verlegung der Trassen durchsetzen - mit möglichst wenigen Kilometern in Bayern. Beim "Suedostlink" gelang ihm das: Die Trasse soll künftig nicht durch Oberbayern nach Schwaben führen, sondern durch Ostbayern und in Isar bei Landshut enden.

Zudem setzte er die Förderung von Reservekraftwerken und Biogasanlagen in Bayern durch - dabei ist Biomasse unter den erneuerbaren Energien die teuerste Option.

"Seehofer-Prämie" zahlt der Stromverbraucher

Die "Welt" betitelte die mit dieser Blockadepolitik verbundenen Mehrkosten als "Seehofer Prämie"- die EEG-Umlage steige zum Leid der Stromverbraucher bei der Förderung von Biomasse bis zum Jahr 2025 um 1,71 Cent je Kilowattstunde.

Die Proteste und das politische Getöse zeigten weitere Wirkung: Im Dezember 2015 verabschiedete die GroKo ein Gesetz, in welchem beschlossen wurde, dass die Kabel vorranging unter der Erde verlegt werden sollen. Das steigerte die Akzeptanz der Bürger vor Ort erheblich - aber auch die Kosten.

Der genaue Preis hängt zwar maßgeblich davon ab, wo die Erdkabel verlegt werden, da dies je nach Gebiet unterschiedlich aufwendig ist, teurer als Freileitungen sind sie aber in jedem Fall. Gemäß der Schätzungen von rund sieben Milliarden Euro sollen die Kosten fünfmal höher sein.

Wie ist der aktuelle Stand?

Gleichzeitig bedeutete das neue Gesetz: Völlige Neuplanung! Der ursprünglich anvisierte Baustart 2016 war bereits vor den Erdkabeln vergraben.

"Die Lage war so, dass wir ohne diesen Schritt womöglich überhaupt nicht mehr vorangekommen wären", meint Experte Wulff.

Erst 2025 dürften die Stromtrassen fertiggestellt sein.

Genauer Verlauf erst in vielen Monaten

Auch diese Verzögerung dürfte für den Steuerzahler teuer werden, denn: "Um die noch fehlenden Leitungen auszugleichen und einen Blackout zu verhindern, müssen die Netzbetreiber systemstabilisierende Maßnahmen ergreifen. Sie haben dafür unterschiedliche Instrumente: neben den häufig genannten Gasreservekraftwerken etwa auch Redispatch und Einspeisemanagement", so Wulff. Diese Kosten schwanken und sind zum Beispiel davon abhängig davon, wie stark der Wind tatsächlich weht. "In der Tendenz steigen sie deutlich. Im vergangenen Jahr lagen die Kosten bei knapp 1,5 Milliarden Euro", so Wulff.

Aktuell befinde man sich in der Bundesfachplanung, bei der für den möglichen Verlauf bis zu 1000 Meter breite Korridore festgelegt werden, die im anschließenden Planfeststellungsverfahren "feintrassiert" werden. "Wir planen zügige Entscheidungen über den Verlauf, für erste Abschnitte der beiden Korridore planen wir, bereits Ende 2019 zu entscheiden", versichert Wulff.

Über den Experten:
Fiete Wulff ist seit 2006 bei der Bundesnetzagentur beschäftigt. Zunächst war er vier Jahre in der Energieabteilung mit der europäischen Zusammenarbeit im Gasbereich befasst. 2010 wechselte er in das Büro des Präsidenten, zunächst als persönlicher Referent und später zusätzlich als Leiter des Leitungsstabs. Seit 2014 ist er Pressesprecher und leitet die Presse und Öffentlichkeitsarbeit der Behörde.

Verwendete Quellen:


  • bmwi.de: "Ein gutes Stück Arbeit: Die Energie der Zukunft"
  • Stellungnahme BNetzA: "Ergebnisse der Grobprüfungen von im Rahmen der Antragskonferenzen eingebrachten alternativen Trassenkorridorvorschlägen Dritter"
  • fehlamplatz.com: "Ihre Stimme gegen neue Stromtrassen!"
  • stromtrasse1601.de: "Forum der Bürgerinitiative Gemeinde Leinburg gegen Gleichstromtrassen"
  • buergergegenstromtrassen.de
  • sueddeutsche.de: "Seehofer stellt neue Stromtrassen infrage"
  • welt.de: "Wegen Seehofer zahlt der Stromkunde drauf"
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