Etwa 10.000 Menschen nehmen sich jedes Jahr in Deutschland das Leben. Die Bundesregierung will die Suizidprävention verbessern. Geplant ist unter anderem eine zentrale Krisendienst-Nummer.
Durch bessere Vorsorge will die Bundesregierung die Zahl der Suizide in Deutschland senken. Erreichen will die Regierung dies mit der Nationalen Suizidpräventionsstrategie, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Donnerstag in Berlin vorstellte. "Wir müssen das gesellschaftliche Tabu von Tod und Suizid überwinden, psychische Erkrankungen von ihrem Stigma befreien und Hilfsangebote besser bündeln", hob Lauterbach hervor.
"Seit gut 20 Jahren nimmt die Zahl der Suizide in Deutschland nicht ab", mahnte
Ältere Männer sind Hauptrisikogruppe
Die neue Suizidpräventionsstrategie solle "zielgenauere Hilfen und Vorbeugung sorgen". Ein Instrument dazu soll "die Einsetzung einer zentralen, bundesweiten Koordinierungsstelle sein. Lauterbach kündigte an, die Regierung werde ein Gesetz zur Umsetzung der Strategie vorlegen.
"Oftmals wären Suizide und Suizidversuche vermeidbar, wenn die bestehenden Hilfsangebote verzweifelte Menschen frühzeitig erreicht hätten" heißt es in dem Strategie-Text. "Bei Verkehrsunfällen ist Prävention selbstverständlich", sagte die DGS-Vorstandsvorsitzende Ute Lewitzka auf einer gemeinsamen Pressekonferenz im Lauterbach. Bei Suizidalität sei das jedoch bisher nicht der Fall, obwohl diese etwa in der Altersgruppe der 15-25-Jährigen nach Unfällen die zweithäufigste Todesursache sei.
Hauptrisikogruppe für Suizide sind demnach allerdings ältere Männer, insgesamt gehe es bei gut 73 Prozent aller Suizide um die Altersgruppe ab 50 Jahren. Der DGS zufolge sterben in Deutschland jedes Jahr mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten, illegale Drogen und Aids zusammen. "Jeden Tag sterben durchschnittlich 28 Menschen durch Suizid", sagte Lewitzka. Angenommen werde, dass die Zahl der Suizidversuche etwa 20 mal höher ist als die der registrierten Suizide.
Aufklärungskampagne geplant
Die neue Strategie begrüßte Lewitzka als "einen kleinen Meilenstein". Diese stützt sich auf Empfehlungen aus Wissenschaft, Politik und Praxis. Sie soll betroffene Menschen, deren Angehörige und Fachkräfte über eine bundesweite Webseite zum Thema Suizid informieren und diese auf Hilfe- und Präventionsangebote hinweisen. Vorgesehen ist zudem eine Aufklärungskampagne zu psychischen Erkrankungen, um diese zu entstigmatisieren, sowie zu den ebenfalls vielfach tabuisierten Themen Sterben und Tod.
Dafür sollen auch eine zentrale Krisendienst-Notrufnummer "113" in Verbindung mit einem rund um die Uhr verfügbaren Online-Beratungsangebot eingerichtet werden. Fachkräfte im Gesundheitswesen und in der Pflege sollen durch Schulungen besser für das Thema und für den Umgang mit gefährdeten Personen sensibilisiert werden. Dies soll sie besser in die Lage versetzen, Betroffene in weitergehende Hilfs- oder Therapieangebote zu vermitteln.
Caritas fordert mehr Zäune an Bahngleisen und Brücken
Darüber hinaus empfehlen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dem Gesundheitsministerium zufolge, "methodenbegrenzende" Maßnahmen deutlich auszubauen. Dabei geht es etwa um Zugangsbeschränkungen zu Mitteln und Orten für einen Suizidversuch.
Lewitzka nannte konkret bestimmte Brücken oder Gewässer aber auch etwa die Packungsgröße bei Schlaf- und Schmerzmitteln. Die Erfahrungen zeigten, dass Betroffene dann nur selten auf andere Methoden ausweichen würden.
Geprüft werden soll auch die Einrichtung eines pseudonymisierten Suizidregisters - unter anderem um Risikogruppen leichter zu erkennen. Bis 2006 war die Zahl der Suizide in Deutschland kontinuierlich gefallen. Seither stagnieren die Werte jedoch. 2022 gab es sogar wieder einen Anstieg.
Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass die meisten dieser Todesfälle durch eine geeignete Ansprache vermeidbar wären. Häufig gehe es nicht um ein "Ich will nicht mehr leben“, sondern eher um: "Ich will so nicht mehr leben." Da könnten Hilfsangebote ansetzen.
Auch die Präsidentin der Deutschen Caritas, Maria Welskop-Deffaa, forderte daher, "Schutzmaßnahmen schnell auf eine sichere rechtliche Grundlage" zu stellen. Sie nannte dabei auch mehr Zäune an Bahngleisen, Brücken und Türmen.
Lars Castellucci: Menschen warten zu lange auf Therapieplatz
Der Bundestag hatte die Bundesregierung bereits im Sommer 2023 einstimmig aufgefordert, eine Strategie zur Suizidprävention vorzulegen. Die heute vorgestellte Strategie hatte dann aber lange auf sich warten lassen. "Endlich" komme die Regierung der Aufforderung nun nach, teilte am Donnerstag der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci, amtierender Vorsitzender des Innenausschusses, mit.
Castellucci wies aber auf ein bleibendes Problem hin: Die Wartezeiten auf einen Platz für eine Psychotherapie sind vielerorts lang. Es brauche dringend mehr aufsuchende Therapie. "Für Menschen in akuten Situationen sind die Hürden viel zu hoch", so Castellucci. Wer es einmal geschafft und sich Hilfe gesucht habe, müsse meistens viel zu lang warten. "Innerhalb von vier Wochen einen Therapieplatz zu bekommen, sollte unser Anspruch sein."
Die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), hatte Gesundheitsminister Lauterbach bereits im vergangenen September im Interview mit unserer Redaktion zu einer neuen Bedarfsplanung für Psychotherapeuten aufgefordert. Bis jetzt hat er sie aber noch nicht vorgelegt. (afp/fab)
Verwendete Quellen
- Agence France-Presse (afp)
- Pressemitteilung von Lars Castellucci
Hilfsangebote
- Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizid-Gedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge unter der Telefonnummer 0800/1110-111 (Deutschland), 142 (Österreich), 143 (Schweiz).Anlaufstellen für verschiedene Krisensituationen im Überblick finden Sie hier.
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