Am 9. November 1989 öffnet die DDR ihre Grenzen nach West-Deutschland. Dieses historische Ereignis bedeutet auch einen Einschnitt für den Fußball zwischen Elbe und Oder. Doch zunächst bleiben die Ost-Vereine noch fast zwei Jahre unter sich. Was geschieht in dieser Zeit?

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Die Fußballstadien in der DDR im Jahr 1989 sind ein Abbild vom Zustand des gesamten Staates. Das Honecker-Regime hat die Modernisierung der Sportstätten vernachlässigt und damit den Anschluss an die Standards der damaligen Zeit verpasst.

Im Bruno-Plache-Stadion von Lok Leipzig oder dem Georgij-Dimitroff-Stadion von Rot-Weiß Erfurt prägen marode Holztribünen das Bild. Flutlichtanlagen sind in der DDR ein Luxus, rostige Zäune die Normalität.

Die Oberliga, die höchste Spielklasse des Landes, befindet sich 1989 im Tal der Bedeutungslosigkeit. In den vorangegangenen Jahren ist das Zuschauerinteresse immer weiter gesunken. Und zur Zeit des politischen Umbruchs gibt es wahrlich Wichtigeres als das oftmals mittelmäßige Gekicke in Zwickau, Jena oder Karl-Marx-Stadt.

Vor genau 30 Jahren steht die gesamte Gesellschaft vor einem Wandel - und damit auch der Fußball: Montagsdemos, Mauerfall und Machtverschiebung hier – Millionentransfers und Missmanagement dort. Wenige Tage nach der Grenzöffnung bestreitet die DDR-Nationalmannschaft ihr letztes WM-Qualifikationsspiel. Einen Monat danach geht der erste große Spielerwechsel über die Bühne.

Mit dem Mauerfall hin zur Transfermarkt-Wirtschaft

Denn mit dem Mauerfall herrscht auch eine Art Goldgräberstimmung. Als Erster erkennt diese Reiner Calmund, Manager von Bayer Leverkusen.

Mit einer Tasche voller Geld und jeder Menge Spielzeug reist der gewiefte Geschäftsmann ins beschauliche Rüdersdorf in Ost-Brandenburg. Dort ist Andreas Thom zu Hause. Der 24-Jährige gilt als größtes Offensivtalent des DDR-Fußballs und ist Torgarant für den BFC Dynamo.

Calmund hat Thoms Kinder mit dem Spielzeug schnell überzeugt, und auch der Stürmer kann bei der ihm offerierten Summe nicht Nein sagen.

Für eine Rekordablöse von 3,6 Millionen Mark wechselt er nach Leverkusen, wo schon die DDR-Flüchtlinge und ehemaligen BFC-Profis Falko Götz und Dirk Schlegel nach ihrer Flucht im Jahre 1983 spielten.

"Diese Jungs wollten in den Westen. Da gab es mehr Kohle. Da haben sie immer Fernsehen geguckt", erinnert sich Calmund in einem Interview mit dem ZDF-"Sportstudio". "Dynamo Dresden oder auch Dynamo Berlin – für die war klar: Wir müssen die Spieler verkaufen. Die hätten sie lieber nach Italien verkauft, da hätten sie mehr Geld bekommen. Wäre auch völlig legitim gewesen. Aber die Spieler wollten unbedingt alle in die Bundesliga."

Thoms Transfer tritt eine regelrechte Welle los. Denn der DDR mangelt es 1989 nicht an hochklassigen Talenten. Matthias Sammer, Ulf Kirsten, Thomas Doll und andere folgen im Sommer 1990.

Die Oberliga - und damit der Ost-Fußball - blutet langsam aus, schließt sich jedoch auch selbst den neuen kapitalistischen Gepflogenheiten an. Der erste Millionentransfer im noch existenten DDR-Fußball wird Heiko Scholz.

Der spätere DFB-Nationalspieler und heutige Trainer des Viertligisten Wacker Nordhausen wechselt 1990 von Lok, inzwischen VfB Leipzig, zu seinem Jugendverein Dynamo Dresden. Zwei Jahre später lockt Calmund auch Scholz nach Leverkusen.

Die Gewalt regiert

Bevor es zur Fusion mit den westdeutschen Ligen kommt, erlebt die Oberliga unter der Ägide des Nordostdeutschen Fußball-Verbandes (NOFV) ihren Kehraus. Die Saison 1990/91 entpuppt sich nicht als Werbung für den Osten. Ganz im Gegenteil.

Die Spielzeit ist geprägt von Orientierungslosigkeit. Viele Vereine sehen sich genötigt, das Wettrüsten für den Übergang in den gesamtdeutschen Spielbetrieb zu beginnen.

Dabei sinken die Zuschauerzahlen und Dauerkartenverkäufe nochmals, die TV-Verträge sind noch nicht abgeschlossen, während manche Spielergehälter bereits auf 250.000 Mark und mehr pro Jahr steigen. Der wirtschaftliche Niedergang im kommenden Jahrzehnt ist damit programmiert.

Auch darüber hinaus hinterlässt die Oberliga ein schlechtes Bild. Ausschreitungen gehören mittlerweile zum Alltag.

Im Fokus steht dabei immer häufiger der FC Berlin, der einstmalige BFC Dynamo. Der Serienmeister hat seinen wichtigsten Gönner, Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit, längst verloren und befindet sich in der sportlichen Bedeutungslosigkeit. Für Schlagzeilen sorgt nun die Anhängerschaft.

Der traurige Höhepunkt folgt am 3. November 1990. An diesem Tag treffen die Berliner auf Sachsen Leipzig.

Die Leipzig-Fans haben wenige Wochen zuvor für einen Spielabbruch in Jena gesorgt, sie stehen der Anhängerschaft des einstigen BFC in nichts nach. Die Gewalt zwischen den Gruppen nimmt derartige Ausmaße an, dass die Polizeiführung den Befehl zum Gebrauch von Schusswaffen gibt.

Drei Menschen werden schwer verletzt, der 18-jährige Berliner Mike Polley kommt vor den Toren des Alfred-Kunze-Sportparks gar ums Leben.

Das für Mitte November geplante Vereinigungsländerspiel zwischen Ost und West wird aufgrund von Sicherheitsbedenken abgesagt.

Im darauffolgenden März wird Dynamo Dresden nach Krawallen im Spiel gegen Roter Stern Belgrad aus dem Europapokal der Landesmeister ausgeschlossen.

Schulden und Spaltung

Der Niedergang des Ost-Fußballs nimmt auch nach der letzten Oberligasaison seinen Lauf. Die finale Meisterschaft gewinnt Hansa Rostock. Ein Grund für den Titelgewinn ist Cheftrainer Uwe Reinders. Der Wechsel des ehemaligen DFB-Nationalspielers nach Rostock ist das Ergebnis einer ersten innerdeutschen Kooperation gewesen.

Im Frühjahr 1990 vereinbaren Werder Bremen und Hansa Rostock eine Zusammenarbeit.

Rostocks Vizepräsident Dietrich Kehl reist zu einem Europapokalspiel der Bremer und wird gefragt, was die Hansa bräuchte, um die Meisterschaft zu gewinnen. "Ich sagte: 'Wir brauchen einen Trainer aus dem Westen.' Mein Gesprächspartner schaute in die Runde und meinte: 'Da steht er'", erinnert sich Kehl später an den Moment, als ihm der Ex-Werderaner Reinders vorgestellt wird.

Reinders fordert 200.000 Mark für den Meistertitel und nochmal 200.000 für einen Pokaltriumph. Die Rostocker, die zuvor nie etwas gewinnen konnten, willigen schmunzelnd ein und werden tatsächlich der letzte Oberligameister - und in den 90er Jahren das Aushängeschild des Ost-Fußballs.

Andere Vereine geraten derweil in erhebliche Schwierigkeiten: Dynamo Dresden spielt zunächst an der Seite Hansas auch im Fußball-Oberhaus, erlebt dann allerdings unter dem hessischen Bauunternehmer Rolf-Jürgen Otto und Spielervermittler Willi Konrad ein Schuldenfiasko, das letztlich zum Lizenzentzug und Abstieg in die Regionalliga führt.

Der VfB Leipzig unternimmt 1993/94 einen einmaligen Ausflug in die Bundesliga und geht mit 20 Punkten als zweitschlechtester Erstligist in die ewige Tabelle ein.

Traditionsvereine wie der FSV Zwickau, der 1. FC Magdeburg oder Sachsen Leipzig gehen insolvent – mal, weil sie sich im Wettkampf mit den wohlhabenderen Westdeutschen übernehmen, mal, weil sie sich auf Geschäfte mit Michael Kölmel und dessen bald selbst insolventem Unternehmen Kinowelt einlassen.

Damit liegen auch die einst so guten Ausbildungsstätten brach. Die Regionalliga Nordost wird um die Jahrtausendwende zu einer Art Ersatz für die DDR-Oberliga.

Jedoch ist sie dritt- und eben nicht erstklassig. Über viele Jahre spielen bis auf Rostock, Dresden, Energie Cottbus, Union Berlin und Erzgebirge Aue keine Ost-Klubs eine nennenswerte Rolle im gesamtdeutschen Profifußball.

Am Jahrestag des Mauerfalls spielt die Hertha gegen Leipzig

Für den 9. November 2019, zum 30. Jahrestag des Mauerfalls, hat die DFL die Bundesliga-Partie zwischen Hertha BSC und RB Leipzig angesetzt.

Vor mehr als einem Jahrzehnt zieht Red Bull neben wenigen anderen Standorten auch Leipzig für sein neues Fußballprojekt in Betracht, nicht nur, weil mit dem Zentralstadion bereits eine gute Infrastruktur vorhanden ist, sondern weil die Region nach gutem Fußball lechzt.

Die Vereine VfB und Sachsen Leipzig haben sich in fußballerische Niederungen verabschiedet, und auch sonst fehlt es den Fußballverrückten in den neuen Bundesländern an Schwergewichten.

Allerdings steht RB Leipzig auch stellvertretend für eine Spaltung unter den ostdeutschen Fußballfans.

Manche wollen einfach nur, dass ein Klub aus ihrer Heimat mit Bayern und Dortmund konkurriert. Andere frönen jedoch immer noch der Tradition der früheren DDR-Größen, fordern teils die Rückbenennung ihrer Vereine und verabscheuen die Kommerzialisierung des Fußballs vehement.

Es ist die Sehnsucht nach der Zeit, als die vielen Traditionsklubs noch erstklassig spielten und von überregionaler Bedeutung waren.

Der Mauerfall 1989 bringt den Ostdeutschen die Freiheit. Für ihre Fußballvereine aber ist sie zumeist der Beginn eines freien Falls.

Verwendete Quellen:

  • Andreas Baingo und Michael Horn: "Die Geschichte der DDR-Oberliga", 2004.
  • Deutschlandfunk.de: Schleichender Verfall?
  • fr.de: Wilde Wende zwischen Gewehren und Schokolade
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