In den USA will Mark Zuckerberg den Kampf gegen gefährliche und falsche Inhalte auf Facebook und Instagram zurückfahren. Was bedeutet der Schritt für Europa? Der Medienwissenschaftler Martin Andree sagt: "Das ist eine gefährliche Entwicklung."
Der Begriff ist überstrapaziert – aber beim Internetkonzern Meta steht eine Zeitenwende an. Gründer und Chef
Welche Folgen könnte der Schritt haben? Für die Plattformen, für die Demokratie – und für Europa? Fragen an den Medienwissenschaftler Martin Andree von der Universität Köln.
Herr Andree, wie einschneidend ist die Entscheidung von Mark Zuckerberg?
Martin Andree: Auf der einen Seite glaube ich, dass der Abbau der Faktenchecker die Medienrealität nur wenig verändern wird. Ihr Einfluss ist bisher schon überschaubar. Für deutlich gefährlicher halte ich den Abbau von Moderationsteams, die bisher Inhalte löschen, die gegen die Regeln der Plattformen verstoßen. Facebook wird sich dem aggressiven Ton beim Kurznachrichtendienst X annähern. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Wir sehen schon seit Jahren: Einerseits setzt sich der Vormarsch der großen Plattformen fort, gleichzeitig werden Demokratien immer mehr abgebaut.
Auf sozialen Netzwerken darf jeder mitreden und mitstreiten. Das an sich ist doch noch kein undemokratischer Akt.
Medien sind immer die Grundlage einer Demokratie – dort findet politische Meinungsbildung statt. Medien sind niemals nur neutrale Transportgefäße von Inhalten, sondern sie formatieren diese Inhalte. Wenn die großen Plattformen immer mehr polarisierenden Algorithmen die Arbeit überlassen, verändert das auch unsere Denkstrukturen und die Struktur unserer Demokratie.
Das heißt, auch die großen Plattformen können nicht neutral sein?
Nein. Die Plattformen sind erst recht nicht neutral. Sie wählen aus, sie filtern die Inhalte nach bestimmten Kriterien: Sie spülen besonders emotionale Inhalte hoch, sie dimmen andere Inhalte herunter – schon aus rein ökonomischen Gründen.
War der Ton bei Facebook oder Instagram denn bisher wirklich zivilisierter als beim Kurznachrichtendienst X?
Ja, ich erlebe den Umgangston auf X im Verhältnis zu den anderen Plattformen als deutlich aggressiver. Er weitet sich aber in der Tat auf andere Plattformen aus. Man merkt das selbst, wenn man etwas postet. Nicht ohne Grund fangen viele Posts auch auf LinkedIn oder anderen Plattformen an mit: Unfassbar! Oder: Ich bin wütend! Das bringt die größte Aufmerksamkeit.
Mark Zuckerberg hat das Faktenchecken mit Zensur verglichen. Hat er da recht?
Einfache Frage, schwierige Antwort. Es gibt keine Zensur, weder in Deutschland noch in Europa oder den USA. Zensur würde bedeuten, dass Menschen nicht mehr ihre Meinung sagen dürfen. Zensur würde bedeuten, dass man eine schriftliche Meinungsäußerung zuerst dem Staat vorlegen muss, bevor sie veröffentlicht werden darf. Sie dürfen aber in Deutschland und überall in den westlichen Demokratien sagen und schreiben, was Sie wollen. Auch auf den Plattformen. Deswegen ist schon der Begriff der Zensur eine ideologische Nebelkerze.
Warum ist Ihre Antwort dann aber schwierig?
Ein Kernproblem der digitalen Medienlandschaft ist, dass die großen Plattformen bis heute strafbare Inhalte zu Geld machen dürfen. Dazu gehören auch Diskriminierung, Rassismus, Holocaust-Leugnung oder Aufforderungen zu Straftaten. Aber: Was davon strafbar ist, ergibt sich erst später. So entfalten kriminelle Inhalte die Wirkung in den Plattformen, bevor es überhaupt zu einer Löschung kommt. Und umgekehrt kann es passieren, dass ein Beitrag gelöscht wird, der nach geltendem Recht erlaubt wäre.
Zuckerberg will die Aufgabe des Faktencheckens jetzt an die Nutzer übertragen. Kann das funktionieren?
In meinen Augen nicht. Eigentlich müsste es eine Haftung geben. Die Plattformen müssten in dem Augenblick, in dem sie einen bestimmten Inhalt zu Geld machen, dafür haften. Wenn ich befürchten muss, dass ich für Straftaten belangt werde, dann verhalte ich mich viel verantwortlicher und vorsichtiger. Wer wirtschaftliche Verantwortung übernimmt, muss auch inhaltlich verantwortlich sein.
Zunächst gilt Zuckerbergs Schwenk nur für die USA. Kann er auch Folgen für Europa haben?
Das können wir mit dem heutigen Wissensstand noch nicht beantworten. Meta muss sich an Gesetze halten – und die sind in Europa etwas anders. Wir müssen uns aber die Gesamtlage anschauen: Wir haben in den USA bald eine Trump-Regierung und große Tech-Konzerne, die sich ihr unterordnen. Und dieses Duo verbündet sich mit europäischen Rechtspopulisten: mit der AfD in Deutschland, mit Giorgia Meloni in Italien oder Marine Le Pen in Frankreich. Jetzt hat Zuckerberg auch noch angekündigt, dass er mit Trump gemeinsam gegen internationale Bemühungen kämpfen will, die die Plattform befrieden wollen. Damit ist natürlich die EU gemeint. Wir dürfen uns große Sorgen machen, ob die EU dieser Symbiose aus Trump, Tech-Konzernen und Rechtspopulismus standhalten kann.
Über den Gesprächspartner
- Dr. Martin Andree ist Medienwissenschaftler und unterrichtet an der Universität Köln. Er beschäftigt sich unter anderem mit Digitalen Medien und Falschinformationen. Zuletzt erschienen ist sein Buch: "Big Tech muss weg!: Die Digitalkonzerne zerstören Demokratie und Wirtschaft – wir werden sie stoppen"(Campus-Verlag).
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