• Viele hochrangige Politikerinnen und Politiker wechseln nach ihrer Amtszeit zu Unternehmen oder Verbänden.
  • Für diese sind vor allem die Kontakte interessant, welche die Personen mitbringen.
  • Transparenzinitiativen fordern deshalb schon länger eine allgemeine Offenlegungspflicht für Lobbykontakte.

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Sigmar Gabriel war Vizekanzler. Er war Bundesumwelt-, Bundeswirtschafts- und Bundesaußenminister, kennt also viele Menschen und Abläufe in der Politik. Heute ist der ehemalige SPD-Chef, der aktuell wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder im Zusammenhang mit der umstrittenen Russland-Politik seiner Partei von sich reden macht, Vorsitzender der Lobbyorganisation Atlantik-Brücke und sitzt im Aufsichtsrat der Deutschen Bank.

In ersterer Funktion ist er auch offiziell als Interessenvertreter beim Bundestag gemeldet. Für ein Anliegen der immer wieder von Skandalen geplagten Bank wiederum setzte er sich nach seiner Amtszeit bei Bundeskanzlerin Angela Merkel ein.

Gabriel ist nicht der einzige Politiker, der nach seiner politischen Karriere in die Privatwirtschaft oder zu anderen Interessenvertretungen wechselte. Das zeigt eine neue Liste der Transparenzplattform "abgeordnetenwatch.de", die auf Grundlage des neuen Lobbyregisters des Bundestags entstand und Dutzende Namen enthält.

Im dazugehörigen Text heißt es: "Aus den Einträgen (...) geht auch hervor, dass einige Agenturen offenbar gezielt ehemalige Regierungsmitglieder und Abgeordnete unter Vertrag nehmen. Mindestens 19 frühere Amts- und Mandatsträger:innen von CDU, SPD, FDP und Grünen geben an, als Berater:innen für die Agentur EUTOP Europe GmbH tätig zu sein, darunter der langjährige Geheimdienstkoordinator von Angela Merkel, Günter Heiß, und der frühere Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Uwe Beckmeyer (SPD)."

Ebenfalls in dem Register findet sich Dirk Niebel, früher FDP-Generalsekretär und dann Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Er leitet heute den Bereich "Internationale Strategieentwicklung und Regierungsbeziehungen" bei der Rheinmetall AG. Der Waffenhersteller will aktuell wegen des Kriegs in der Ukraine Panzer in das Land liefern.

Niebel machte sich unmittelbar nach seiner Zeit als Minister als Politik- und Unternehmensberater selbstständig und betont auf seiner Website, wie gut er vernetzt sei: Die Firma verfüge "über ein langjährig gewachsenes und exzellentes weltweites Netzwerk zu Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) mit einem klaren Schwerpunkt in Afrika und Nahost".

Lobbyismus: Politikerkontakte sind für Konzerne wertvoll

Das Beispiel zeigt, was für Unternehmen und Verbände am reizvollsten an Politikerinnen und Politikern ist: Kontakte aus ihrer Amts- oder Mandatszeit. Wer viele Namen und Nummern im Adressbuch mitbringt, weiß im Zweifelsfall, an wen man sich mit Fragen oder Anregungen wendet, wenn es um geplante Gesetze oder eigene Pläne geht. Oder wie es im Beratersprech bei "Niebel International Consulting" heißt: "Klare Inhalte, valide Informationen und durchsetzungsstarke Argumente sorgen zielorientiert für die notwendige Aufmerksamkeit bei Entscheidungsträgern in der Politik sowie relevanten Multiplikatoren, um eine zukunftssichere Basis für einen konstruktiven Dialog mit den definierten Zielgruppen vertrauensvoll aufzubauen."

Für Konzerne sind besonders Personen interessant, die hohe Positionen innehatten. Weitere im Lobbyregister zu findende Ex-Minister sind beispielsweise:

  • Joschka Fischer, 1998 bis 2005 Außenminister und Vizekanzler für die Grünen, ist Geschäftsführer einer Agentur für "Strategieberatung", deren Auftraggeber unter anderem der Versandapotheken-Anbieter DocMorris, die Autobahn Tank & Rast Gruppe und die Deutsche Börse AG sind.
  • Daniel Bahr, 2011 bis 2013 Bundesgesundheitsminister für die FDP, ist im Vorstand der Allianz Private Krankenversicherungs-AG, die unter anderem eine von Bahr als Minister eingeführte Pflegezusatzversicherung anbietet, die unter dem Namen "Pflege Bahr" bekannt ist.
  • Hans-Peter Friedrich, 2011 bis 2013 Bundesinnenminister für die CSU, ist Vorsitzender der nach dem Vorbild der Atlantik-Brücke gegründeten Lobbyorganisation China-Brücke.

Büroleiter und Staatssekretäre haben Einblick in interne Abläufe

Viel Einblick in interne Abläufe haben neben Büroleitungen zudem Staatssekretärinnen beziehungsweise Staatsminister, die die jeweilige Ministeriums- oder Regierungsspitze bei ihrer Arbeit unterstützen oder eigene Zuständigkeitsbereiche haben. Auf der Liste finden sich unter anderem:

  • Eckart von Klaeden, 2009 bis 2013 Staatsminister im Kanzleramt für die CDU, ist "Vice President & Head of External Affairs", also gewissermaßen "Cheflobbyist", bei der Mercedes-Benz Group AG und aktiv im "Adlerkreis", einem Zusammenschluss der Hauptstadtvertreter großer deutscher Konzerne.
  • Hildegard Müller, 2005 bis 2008 Staatsministerin im Kanzleramt für die CDU, ist die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA)
  • Matthias Berninger, 2001 bis 2005 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium für die Grünen, arbeitet beim börsennotierten Chemiekonzern Bayer.

Initiativen wie "abgeordnetenwatch.de" und "Lobbycontrol" fordern schon länger, dass die Politik Treffen und sonstige Kontakte mit Lobbyistinnen und Lobbyisten offenlegt. SPD, Grüne und FDP haben sich in ihrem Koalitionsvertrag Verbesserungen im Bereich Lobbyismus und Transparenz vorgenommen, eine allgemeine Offenlegungspflicht für Lobbykontakte ist bisher aber nicht geplant.

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