Am Dienstag wählt der Bundestag eine neue Präsidentin und ihre Stellvertreter. Auch die AfD erhebt Anspruch auf einen Vizepräsidenten. Doch die anderen Fraktionen haben Vorbehalte.
Es geht um ein Amt mit eher wenig Macht, aber mit viel Prestige: Wenn sich der neue Bundestag am Dienstag zum ersten Mal versammelt, werden nach der neuen Präsidentin auch ihre Stellvertreter gewählt. Abwechselnd mit ihr leiten die Vizepräsidenten die Sitzungen des Parlaments und vertreten das "Hohe Haus" nach außen.
Der Posten ist beliebt. Doch eine Fraktion dürfte auch dieses Mal wieder leer ausgehen: die AfD. Oder?
Geschäftsordnung sagt: Ja, aber…
Seit die Partei 2017 erstmals in den Bundestag einzog, hat sie es nie geschafft, eines ihrer Mitglieder ins Präsidium zu schicken. In der Geschäftsordnung des Bundestags ist zwar festgeschrieben, jede Fraktion sei "durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten". Allerdings steht dort auch: Ein Vizepräsident muss von einer Mehrheit der Bundestagsmitglieder in geheimer Abstimmung in dieses Amt gewählt werden. Und diese Mehrheit hat bisher kein Kandidat der AfD erreicht.
Was sagt die AfD dazu? Der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Bernd Baumann, reagierte nicht auf eine Gesprächsanfrage unserer Redaktion. Bekannt ist aber: Da sie seit Jahren keinen Vizepräsidenten stellen kann, sieht sich die AfD in ihrem Recht auf parlamentarische Mitwirkung verletzt.
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht sieht das anders. 2022 hat es entschieden: Fällt ein Kandidat oder eine Kandidatin der AfD bei der geheimen und freien Wahl zum Vizepräsidenten durch, verletzt das nicht die Mitwirkungsrechte der Fraktion. Die AfD hatte damals vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt – aber kein Recht bekommen.
Auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts berufen sich auch die anderen Fraktionen des Bundestags. "Natürlich steht es der AfD-Fraktion zu, einen Personalvorschlag für das Präsidium zu machen. Das bedeutet aber nicht, dass sie einfach jemanden ernennen kann", sagt die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic, unserer Redaktion. "Jeder Kandidierende muss sich einer Wahl stellen. In unserer Fraktion entscheidet jedes Mitglied selbst, welche Kandidierenden es wählt oder nicht."
AfD ist Partei mit den meisten Ordnungsrufen
Deutlicher und kategorischer äußerte sich vor kurzem SPD-Fraktions- und Parteichef Lars Klingbeil: "Es wird keine Stimme von Sozialdemokraten für einen Vizepräsidenten von der AfD in diesem Parlament geben. Wir machen unsere Kreuze nicht bei Rechtsextremen", sagte er nach der Bundestagswahl.
Viele Abgeordnete haben ein generelles Problem damit, einen AfD-Kandidaten in das Amt zu wählen: wegen der rechtsextremen Gesinnung der Partei – aber auch wegen der rüden Umgangsformen im Parlament. Die AfD hat einen schärferen Ton in den Bundestag gebracht. Die Äußerungen der AfD-Abgeordneten seien "immer wieder am Rande des Sagbaren, häufig unter der Gürtellinie, häufig laut", sagte die scheidende Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU) 2023 im Interview unserer Redaktion.
In der vergangenen Wahlperiode kassierte die AfD von allen Fraktionen die meisten Ordnungsrufe. Der Vizepräsident leitet die Sitzungen und muss auch für einen fairen Umgang der Parlamentarier sorgen. Ob ein AfD-Politiker dafür der Richtige wäre, bezweifeln viele Abgeordnete.
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Wahl der Vizepräsidenten ist geheim
Trotzdem: Die Vizepräsidenten werden in einer geheimen Wahl bestimmt. Es ist nicht komplett auszuschließen, dass eine Kandidatin oder ein Kandidat der AfD am Dienstag doch eine Mehrheit bekommt. Denn erstens hat sich die Zusammensetzung des Bundestags verändert – die AfD-Fraktion ist nun deutlich größer.
Zweitens gibt es gerade bei CDU und CSU Abgeordnete, die sich fragen, ob es der AfD nicht eigentlich hilft, wenn sie den Posten ständig verwehrt bekommt. Sie kann sich so immer wieder aufs Neue als Opfer der anderen Parteien darstellen, die der inzwischen zweitgrößten Fraktion angeblich eine faire Vertretung an der Parlamentsspitze verwehren. In einem Landesparlament sind die Verhältnisse bereits andere: In Sachsen ist ein AfD-Politiker im vergangenen Oktober zum Vizepräsidenten des Landtags gewählt worden.
Gleichwohl erscheint es wahrscheinlicher, dass es ein AfD-Kandidat auch am Dienstag nicht ins Bundestagspräsidium schaffen wird. Friedrich Merz – noch Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion – sagte vor kurzem der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (Bezahlinhalt): "Dieses Amt ist ein Staatsamt. Und ich werde der Unionsfraktion nicht empfehlen, eine AfD-Abgeordnete oder einen AfD-Abgeordneten in ein Staatsamt zu wählen."
Auch die Ergebnisse der unzähligen Versuche in der Vergangenheit sprechen dagegen. Die AfD und die anderen Fraktionen haben sich in den vergangenen Jahren eher auseinander als aufeinander zubewegt. 2018 zum Beispiel bekam die AfD-Abgeordnete Mariana Harder-Kühnel als Kandidatin noch 223 Ja-Stimmen und 387 Nein-Stimmen. Auch das reichte nicht – aber war immer noch ein deutlich besseres Ergebnis als bei ihrem Parteifreund Thomas Dietz am 30. Januar 2025: Er bekam laut Bundestag nur 77 Ja- und 553 Nein-Stimmen.
Verwendete Quellen
- bundestag.de: Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags
- bundesverfassungsgericht.de: Organstreitverfahren der AfD-Bundestagsfraktion zur Wahl eines Vizepräsidenten/einer Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages erfolglos
- Gespräch mit Irene Mihalic
- faz.net: Friedrich Merz im Interview: "Es könnte auch ein für uns sehr schlechtes Szenario eintreten"
- bundestag.de: Mariana Harder-Kühnel nicht zur Bundestagsvizepräsidentin gewählt
- bundestag.de: Keine Mehrheit für AfD-Politiker Dietz als Bundestagsvizepräsident