Ausgerechnet Björn Höcke könnte bei der Landtagswahl in Thüringen ein Mandat verwehrt bleiben. Wohl vor allem deshalb hat er jetzt seinen Wahlkreis gewechselt und tritt in Greiz an. Sein Gegenkandidat von der CDU wirft ihm vor, die Region für die eigene Karriere zu benutzen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Max Zeising sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Wenn Björn Höcke mit dem Auto in seine neue "Wahl-Heimat" fährt, dann muss er einige Zeit einplanen. Der AfD-Landeschef von Thüringen wohnt im Eichsfeld, einer Region am nordwestlichen Rand des Bundeslandes, an der Grenze zu Hessen. Wenn nun aber am 1. September in Thüringen ein neuer Landtag gewählt wird, dann wird Höcke gar nicht im Eichsfeld auf dem Wahlzettel stehen. Sondern: im mehr als 200 Kilometer entfernten Landkreis Greiz.

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Der AfD-Spitzenkandidat, der als radikalster Vertreter der ohnehin in Teilen rechtsextremen Partei gilt, hat sich zu einem Wahlkreiswechsel entschieden, der in den vergangenen Wochen für einige Schlagzeilen sorgte. Denn hinter dem Wechsel dürften ganz eigene Gründe stehen.

AfD spricht von wahltaktischen Überlegungen

Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion, Torben Braga, gab Anfang März im Kurznachrichtendienst X bekannt, dass Höcke als Direktkandidat im Wahlkreis Greiz II aufgestellt wurde. Der Wahlkreis liegt im Vogtland an der Grenze zu Sachsen, vom Eichsfeld aus fährt man über zwei Stunden mit dem Auto. Gegenüber dem MDR sprach Braga von wahltaktischen Überlegungen: Höcke rechne sich in Greiz bessere Chancen aus.

Tatsächlich hat Höcke im Eichsfeld bisher nicht direkt gewinnen können. Doch genau das, nämlich ein Wahlkreissieg, könnte diesmal von größter Bedeutung sein: Sollte Höcke das auch in Greiz misslingen, dann muss die AfD fürchten, dass ausgerechnet ihr führender Kopf überhaupt kein Mandat erhält und nur über Umwege in den Landtag einziehen kann. Das, so schätzt der Journalist und Thüringen-Kenner Martin Debes gegenüber unserer Redaktion ein, wäre für Höcke "sehr peinlich".

Ein AfD-Wahlkreissieger müsste im Notfall für Höcke verzichten

Hintergrund dieses möglichen Szenarios sind die Regeln, nach denen die Mandate in Folge der Wahl vergeben werden: Zunächst kommen die Wahlkreissieger jeder Partei an die Reihe, erst danach die Kandidaten auf den vor der Wahl aufgestellten Landeslisten. Höcke führt die AfD-Landesliste in Thüringen an – sein Einzug scheint demzufolge eine ausgemachte Sache zu sein.

Weil aber die AfD in Thüringen gerade in der Fläche so viel Zuspruch erhält, könnte es sein, dass die Landesliste gar nicht mehr zum Zuge kommt. "Wahlkreisprognose.de" sieht die AfD in ihrem Thüringen-Trend vom Dezember 2023 in 36 Wahlkreisen vorn. In diesem Falle wäre wohl auch Höcke auf einen Wahlkreissieg angewiesen. Andernfalls könnte das eintreten, was der Journalist Martin Debes mit "Peinlichkeit" meint: Ein anderer AfD-Wahlkreissieger müsste auf sein Mandat verzichten, um für Höcke den Weg über die Landesliste freizumachen.

Thüringen-Experte Debes: Greiz wird "kein Spaziergang" für Höcke

Wäre Höcke in seinem alten Wahlkreis angetreten, wäre die Gefahr für ihn durchaus groß gewesen, diesen Umweg gehen zu müssen. Denn im Eichsfeld hat er keinen Stich gesehen. Bei der Landtagswahl 2019 verlor er haushoch gegen den CDU-Kandidaten Thadäus König, der 49 Prozent erhielt. Diese Dominanz der Christdemokraten im Eichsfeld ist nicht neu, sondern über lange Zeit gewachsen. Die Region ist katholisch geprägt, im Gegensatz zum ansonsten stark atheistischen Ostdeutschland. Auch die Bindung zur CDU ist dort noch sehr ausgeprägt.

Dass er sich nun für einen Wechsel entschieden hat, sorgte wiederum für eine Menge Spott bei den anderen Parteien. "Der Ungewählte – nun bekommt der Begriff einen Sinn", schrieb Ministerpräsident Bodo Ramelow bei X. Höcke habe gekniffen, so der Linke-Politiker. Innenminister Georg Maier von der SPD lästerte, Höcke sei "ein wahrer teutonischer Held".

Dabei ist auch in Greiz aus Sicht von Martin Debes noch gar nichts entschieden. "Höcke hat gute Chancen, er ist in gewisser Hinsicht auch der Favorit. Aber ein Spaziergang wird das nicht." Zwar weise der Wahlkreis insgesamt ein höheres AfD-Potenzial auf als das Eichsfeld, doch Höcke treffe nicht auf schwache Gegner. Bei der letzten Wahl gewann der CDU-Kandidat Christian Tischner, der anders als Höcke tatsächlich aus Greiz kommt und dort "ein gutes Standing hat".

Und: In Greiz regiert mit Martina Schweinsburg die dienstälteste Landrätin Deutschlands. Die CDU-Politikerin ist seit 1990 im Amt, darf aber aus Altersgründen nicht noch einmal antreten. Nun kandidiert sie stattdessen im Nachbarwahlkreis von Tischner für den Landtag – und "könnte dann auch Wahlkampf für Christian Tischner machen", sagt Martin Debes. Es gibt also auch einige Faktoren, die für die CDU sprechen.

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"Höcke benutzt die Region nur für seine politische Karriere."

Christian Tischner, CDU-Politiker und Gegenkandidat von Björn Höcke in Greiz

Tischner selbst will im Gespräch mit unserer Redaktion "gar nicht so viel über Höcke reden, sondern über die Menschen in Greiz". Er versteht sich "als Anwalt und Kümmerer", er rede "jeden Tag mit den Leuten". Das unterscheide ihn von seinem AfD-Kontrahenten: "Höcke benutzt die Region nur für seine politische Karriere."

Die eigene lokale Verwurzelung nach vorn zu stellen, dürfte die Strategie sein, mit der die CDU in den Kampf gegen Höcke ziehen wird. In der "Ostthüringer Zeitung" bezeichnete Tischner seinen AfD-Kontrahenten neulich sogar als "westdeutschen Zugereisten".

Gleichzeitig sieht Tischner für die hohen Zustimmungswerte zur AfD vor allem die Bundesregierung in der Verantwortung. Die Menschen fühlten sich "bevormundet", etwa durch das Heizungsgesetz, das ein "Brandbeschleuniger" gewesen sei. Das Gesetz sieht vor, fossile Energieträger beim Heizen in den nächsten Jahren schrittweise zu ersetzen – wenngleich beispielsweise funktionierende Gasheizungen weiterlaufen dürfen, solange sie funktionieren.

Den vor allem von links geäußerten Vorwurf, die CDU habe dadurch zum Rechtsruck beigetragen, dass sie selbst ihre "Brandmauer" zur AfD zunehmend einreiße, weist Tischner hingegen zurück. Die CDU setzte beispielsweise im Thüringer Landtag mit Stimmen der AfD eine Senkung der Grunderwerbsteuer durch (11) – doch das sieht Tischner nicht als Problem an: "Jede Partei muss ihre Position vertreten. Wir können unsere Überzeugungen doch nicht über Bord werfen, nur weil die AfD mit Zustimmung droht."

Linke-Kandidat Walter warnt vor rechter Szene

Für die Linke von Ministerpräsident Ramelow kandidiert Leon Walter, der mit 22 Jahren noch sehr jung ist und anders als Tischner noch nicht im Landtag sitzt. Das ist sicher ein Nachteil, doch Walter hat Ambitionen. Er will eine Alternative anbieten, weil die CDU seiner Ansicht nach die AfD nur kopiere, beispielsweise in der Migrationspolitik. Menschen würden dadurch nicht nach Greiz kommen, dabei brauche die Region dringend Zuwanderung, sagt er gegenüber unserer Redaktion: "Wir haben beispielsweise viel zu wenig Ärzte."

Zugleich warnt Walter vor einer "gewaltbereiten rechten Szene" in der Region, die es schon vorher gegeben habe. Immer wieder werden in Thüringen – wie auch andernorts – Parteibüros angegriffen, auf das Haus eines gegen Rechtsextremismus engagierten SPD-Lokalpolitikers im Landkreis Gotha gab es im Februar sogar einen mutmaßlichen Brandanschlag. Mit Höckes Kandidatur erhöhe sich das Gefahrenpotenzial für Greiz noch einmal, glaubt Leon Walter. Für seinen eigenen Wahlkampf ist er jedenfalls vorgewarnt: "Ich muss über Sicherheitspersonal nachdenken."

Verwendete Quellen

Heftige Kritik nach TV-Duell mit Höcke: Nur die CDU feiert sich selbst

Am Donnerstagabend haben sich die beiden Landtagswahlkandidaten der CDU, Mario Voigt, und der AfD, Björn Höcke, im TV duelliert. Daraufhin hagelte es Kritik aus vielen politischen Lagern.
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