Ricarda Lang (Grüne) war am Sonntag im Sommerinterview von "Berlin direkt" zu Gast. Dabei musste sie sich harten Fragen zum Anspruch der Grünen im Abgleich mit der Wirklichkeit gefallen lassen. Zwar verpasste die Grünen-Chefin viele Chancen, politische Gestaltungsvorschläge zu machen – bei der Frage nach einer Koalition mit der Union ließen ihre Antworten jedoch wenig Interpretationsspielraum. Außerdem hatte Lang eine eindringliche Warnung mitgebracht.
Am Wochenende gab es deutschlandweit hohe Temperaturen, "Schön Wetter" machte Moderatorin Diana Zimmermann zum Start ins Interview allerdings nicht: Die erste Frage legte direkt den Finger in die Wunde: Zimmermann erinnerte ihren Gast
"Hat Sie das vorbereitet auf das, was den Grünen momentan passiert?", wollte die Moderatorin sodann wissen und spielte damit auf die schlechten Umfrageergebnisse der Grünen an, die nur bei rund 13 Prozent stehen. Lang antwortete selbstbewusst: "Ich glaube, es war vor allem für mich ein Auftrag, dass am Anfang noch sehr wenig Vertrauen da war, auch weil ich sehr neu im Wahlkreis war." Sie habe die letzten drei Jahre genutzt, um Vertrauen aufzubauen und kämpfe dafür, dass es beim nächsten Mal besser wird.
Grüne vom hohen Ross holen
Auch mit ihrer nächsten Frage versuchte Moderatorin Zimmermann, die Grünen ein Stück weit vom hohen Ross zu holen: "Sie wollen die Grünen zu einer Volkspartei machen, Sie selbst sagen, zu einer führenden Kraft der linken Mitte. Und doch hängen Sie in der Nische fest, städtisch, akademisch, ein bisschen besserwisserisch, oder Sie sind als Verbotspartei verschrien", leitete sie ein und wollte wissen, warum es Lang als Vorsitzende nicht gelungen sei, dieses Image abzulegen.
"Ich glaube, jetzt geht es vor allem darum, was wir aus der Vergangenheit lernen", meinte Lang. Das Ergebnis der Europawahl sei sehr schlecht gewesen. "Ich glaube, das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass die Menschen einen Denkzettel verpassen und dann auch noch das Gefühl haben, die haben das nicht mehr mitbekommen", gab sie sich selbstkritisch. Ganz konkret wurde es dann aber noch nicht: Man wolle das Ergebnis "auswerten" und "aus Fehlern lernen".
Phrasen über Phrasen
Selbst auf Nachfrage konkretisierte die Bundesvorsitzende nicht wirklich: "Wir erleben gerade, dass es eine immer größere Entfremdung von großen Teilen des Parteiensystems und den Bürgerinnen und Bürgern gibt." Das treffe auch andere Parteien. Man müsse mehr auf die Sorgen der Menschen eingehen. Nicht nur an dieser Stelle verpasste Lang die Chance, Gestaltungsvorschläge für konkrete Politik zu machen.
Thematisch ging es dann zunächst um die anstehenden Landtagswahlen im Osten. "Warum gelingt es Ihnen so wenig, ein Angebot im Osten zu machen, das die Menschen da annehmen?", fragte die Moderatorin.
Lang sprach die ungleiche Vermögensverteilung an und die Tatsache, dass Parteien im Osten weniger "verankert" seien. Es bringe nichts an einer "Angleichungsthese" festzuhalten, um "mehr Gerechtigkeit zwischen Ost und West" zu schaffen. Außerdem brauche es "neue Arten der Partizipation, der Einbindung, der Ansprache". In welcher Form? Das sagte sie nicht.
Eindringliche Warnung
Den Phrasen hielt die Moderatorin entgegen: "Es ist so, dass Sie tatsächlich im Osten nicht nur nicht punkten, sondern Sie sind gerade im Osten ein echter Wutmagnet." Lang gab sich selbstkritisch: "Wenn jemand zu mir in die Bürgersprechstunde kommt und sagt: 'Ich kann mir eine Miete nicht leisten', bringt es nichts, dass ich aufzähle, was wir alles Tolles in der Regierung gemacht haben. Sondern ich muss sagen: 'Was müssen wir machen, damit es wirklich reicht?'"
Das Rezept: "Mehr Zuhören" und "die Sorgen der Menschen ernst nehmen." Die Grünen würden aber auch von anderen zum Feindbild gemacht. Dazu sagte sie: "Davor kann ich nur warnen." Gerade bei den Wahlen im Osten werde die Koalitionsfähigkeit unfassbar wichtig sein. "Was jetzt Friedrich Merz gesagt hat – wer die Demokratie schützen will und eigentlich bei den Grünen, bei der SPD, bei den Linken ist, der solle die CDU wählen – diese Leihstimmenkampagne, die ist zutiefst gefährlich", stellte Lang klar.
Man spiele mit dem Feuer. Am Ende drohten in diesen Ländern Parlamente, in denen nur noch BSW, AfD und CDU sitzen. "Das kann sich niemand wünschen", meinte sie. Die Grünen seien ein "Garant für stabile Mehrheitsverhältnisse".
Wenig Belastbares beim Thema Migration
Zimmermann ging zum Thema Migration über: "Wie viel hat der Sinkflug der Grünen mit der Migrationsfrage zu tun?", fragte sie. Lang negierte: "Ich glaube nicht, dass das der Grund dafür ist". Dennoch wolle man die Sorgen derer ernst nehmen, die sagen 'Wir haben die Kapazitäten gar nicht mehr in den Kommunen'. Man werde pragmatische Lösungen suchen, sich aber nicht in eine Debatte um das Abschleifen von Rechtsstaatlichkeit begeben. Entmenschlichung könne keine Antwort sein.
"Wir Grüne waren die Ersten, die uns in der Bundesebene und in der Bundesregierung dafür eingesetzt haben, dass die Kommunen mehr finanzielle Unterstützung bekommen, wenn es um die Aufnahme von Geflüchteten geht", erinnerte Lang. Außerdem habe man sich für die Aufhebung von Arbeitsverboten eingesetzt.
Lang spricht von "schwierigen Entscheidungen"
Zimmermann ging dazwischen: "Das ist ja nicht die Forderung der Mehrheit der Menschen. Die wollen einfach weniger Migration." Lang fuhr fort, die Grünen hätten auf europäischer Ebene "schwierige Entscheidungen" mitgetragen, die auch in Deutschland umgesetzt werden müssten. "Aber nicht, weil eine gesellschaftliche Stimmung das verlangt, sondern weil die Realität es verlangt." Man lasse sich bei solchen Fragen nicht von der AfD leiten. Man dürfe der AfD keine Deutungshoheit bei diesem Thema geben.
"Dann haben die demokratischen Parteien ehrlich gesagt versagt", sagte sie. Sie rate den Wählerinnen und Wählern, sich das Wahlprogramm der AfD wirklich anzuschauen. Bei Forderungen wie einem Austritt aus der EU, müsste diese Partei nicht Alternative für Deutschland, sondern Armut für Deutschland heißen, so Lang.
Junge Menschen übersehen
Als Zimmermann Lang damit konfrontierte, dass die Grünen besonders in der Gunst der jungen Wählerinnen und Wähler stark verloren haben, obwohl sie einst "Jugendpartei schlechthin" waren, räumte Lang ein, man habe die jungen Menschen im Krisenmodus übersehen. Besonders nach der Pandemie hätten viele das Gefühl gehabt, nicht gesehen zu werden. Man habe das Versprechen "jetzt seid ihr mal dran" nicht eingelöst. "Das müssen wir jetzt einlösen", kündigte die Grünen-Chefin an. Dabei gehe es vor allem um Bezahlbarkeit des Lebens und Bildung.
Zimmermann kam daraufhin auf das Thema Klimapolitik zu sprechen. Im vergangenen Jahr habe es einen Rekord an neu eingebauten Gasheizungen gegeben und der Absatz von E-Autos sei dramatisch eingebrochen. "Lassen die Bürger Sie nun spüren, was sie vorher nicht hören wollten?", fragte die Moderatorin hart.
Lang fordert sozialere Klimapolitik
Lang reagierte: "Nein. Ich glaube, dass es in der Bevölkerung immer noch eine große Zustimmung gibt für Klimaschutz." Man müsse das Thema wieder zum "wahlentscheidenden" Thema machen. Im Bereich Verkehr passiere noch zu wenig und man brauche beispielsweise ein besseres europäisches Nachtzugnetz, beim Ausbau der erneuerbaren Energien schaffe man aber die selbstgesteckten Ziele.
"Die Klimapolitik muss sozialer werden", forderte Lang. Vertrauen in den Staat sei dabei eine Grundvoraussetzung für Veränderungsbereitschaft. Wie genau Klimapolitik sozialer werden sollte? Lang blieb erneut auf der Meta-Ebene und lieferte keine Antwort.
Kanzlerfrage: Optimistisch oder vermessen?
Zimmermans Ton blieb auch bei der Frage nach der möglichen Kanzlerkandidatur von Robert Habeck hart. Ob es Optimismus oder Vermessenheit sei, wollte sie wissen. Lang sagte dazu: "Erstmal steht diese Entscheidung noch aus. Wir werden die in diesem Jahr fällen." Man werde mit einer Person an der Spitze in den Wahlkampf gehen, weil das Vertrauen und Klarheit bringe. Man sei nicht mehr in einer Zeit, in der nur für Parteien mit 30 Prozent eine Kanzlerkandidatur möglich sei.
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Zimmermann brachte die Frage nach einer möglichen Koalition mit der Union auf den Tisch und fragte: "Ist das eigentlich schlau, aufeinander loszugehen, wenn man im nächsten Jahr vielleicht gemeinsam koalieren muss?" Langs Antwort war an dieser Stelle eindeutig: Man dürfe nur wegen des Blicks auf mögliche Koalitionen, nicht aufhören, Klartext zu sprechen.
Koalition mit der Union?
Die Union moniere einen großen Teil der Probleme, die sie selbst herbeigeführt habe. Als Beispiele nannte sie die Gasabhängigkeit von Russland und zu viel Bürokratie. Auf europäischer Ebene habe man aber bereits mit der gemeinsamen Wahl von Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin gezeigt, dass man als Demokraten zusammenstehen könne und in der Lage sei, Kompromisse zu machen.
"Ich glaube, wir als Grüne haben bewiesen, dass wir da verlässliche Partner sind", so Lang. Zimmermann interpretierte wohl ganz richtig: "Das klingt, als wenn Sie sich eine Koalition mit der Union durchaus vorstellen könnten."
Insgesamt blieb die Performance von Lang deutlich unter ihren Kompetenzen zurück. Vielleicht gab sie sich aber auch extra zurückhaltend, um sich die Koalition mit der Union offenzuhalten.
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