Mehrere Landesverbände der AfD und ihre Jugendorganisation wurden vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft. Andere sind ein Verdachtsfall. Wir erklären, was das bedeutet, welche Konsequenzen die Einstufung hat und warum die AfD trotzdem noch bei Wahlen antreten darf.
Die AfD hat bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen mehr als 30 Prozent der Stimmen eingefahren. In Thüringen wurde sie sogar stärkste Kraft. In beiden Bundesländern wird die AfD vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft. Das ist auch in Sachsen-Anhalt und bei der Jungen Alternative (JA) der Fall. In sechs anderen Bundesländern - und auch auf Bundesebene - wird die AfD als sogenannter Verdachtsfall geführt.
Das ist eine von drei Kategorien, mit denen der Verfassungsschutz arbeitet. "Der Verfassungsschutz ist unser Inlandsgeheimdienst. Er hat die Aufgabe, Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu erkennen und zu beobachten", erklärt Politikwissenschaftler Dierk Borstel im Gespräch mit unserer Redaktion. Die drei Kategorien lauten Prüffall, Verdachtsfall und Beobachtungsfall.
Das bedeutet die Einstufung durch den Verfassungsschutz
In der Regel folgen die drei Stufen aufeinander, das ist aber nicht unbedingt notwendig. "Der Prüffall ist die erste Stufe, wenn die ersten Hinweise auftauchen, dass eine Organisation verfassungsfeindlich sein könnte", sagt Borstel. Der Verfassungsschutz darf in dieser Kategorie nur öffentliche Quellen auswerten und analysieren. Das sind zum Beispiel Internetseiten, Parteiprogramme, öffentliche Stellungnahmen und Interviews.
"Wenn sich im Prüfverfahren bestätigt, dass es sich um eine extremistische Organisation handeln könnte, wird die Sache in der Regel zu einem Verdachtsfall", sagt Borstel. Ab diesem Zeitpunkt hat der Verfassungsschutz mehr "Werkzeuge", die er einsetzen darf: nämlich nachrichtendienstliche Mittel. Dazu zählt zum Beispiel der Einsatz sogenannter V-Leute.
"Dabei werden entweder Verfassungsschutzmitarbeiter in die Partei eingeschleust oder es werden Mitglieder der Partei bezahlt, um entsprechende Informationen zu liefern", erklärt Borstel. Auch das Observieren oder Abhören von Einzelpersonen ist möglich. Der Verfassungsschutz muss aber immer verhältnismäßig arbeiten, also das mildeste Mittel einsetzen.
Die AfD hat bei mehreren Landesverbänden bereits die dritte Stufe erreicht – sie wird als gesichert extremistischer Fall beobachtet. "Der Verdacht hat sich also bestätigt: Die Partei ist in aktiv kämpferischer Art und Weise gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet", sagt der Politikwissenschaftler.
Die Extremismustheorie
Die Ziele, die in diesen Landesverbänden der AfD verfolgt werden, stehen also im Widerspruch zu den Grundideen unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates. Diese Grundideen sind zum Beispiel Meinungsfreiheit, Menschenwürde, Religionsfreiheit, Gleichberechtigung und Vielfalt. "Die Einschätzung beruht auf der sogenannten Extremismustheorie", erläutert Borstel.
Anwendung fand diese Theorie beispielsweise auch, als das Bundesverfassungsgericht 1956 die kommunistische KPD verbot. "Extremistisch ist, wer für einen neuen, grundlegend anderen Staat kämpft, der mit unseren Werten nicht vereinbar ist", erklärt Borstel. Manche Ideen und Ziele der AfD seien völkisch, rechtsextrem oder rassistisch.
Zum Beispiel verbreitet die AfD die Vorstellung eines biologisch konstruierten deutschen "Volkes", welches sich angeblich gegen eine "korrupte Machtelite" wehren muss. Außerdem erweckt die AfD immer wieder den Eindruck, dass andere Kulturen nicht so wertvoll seien wie die deutsche.
Durch Aussagen wie "Deutschland ist kein Rechtsstaat mehr" oder der Verschwörung, das eigene Staatsvolk solle ausgetauscht werden, zweifelt die AfD demokratische Prinzipien an.
Einstufung durch den Verfassungsschutz: Worte allein reichen nicht aus
Es reiche aber nicht aus, die freiheitlichen und demokratischen Werte unseres Staates nicht anzuerkennen, sagt Borstel: "Hinzukommen muss eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung." Es dürfe also nicht nur bei Worten bleiben, auch Taten müssten folgen.
Bei der AfD hat der Verfassungsschutz das in einigen Landesverbänden bereits gesichert festgestellt. Die AfD ist damit ein Beobachtungsobjekt und darf weiter mit geheimdienstlichen Mitteln beobachtet werden.
Eingeschleuste Personen können zum Beispiel weiter aus Gruppenchats berichten. Meistens sind noch mehr Maßnahmen erlaubt, als es bei Verdachtsfällen der Fall ist. Parlamentarier dürfen nur in Ausnahmefällen beobachtet werden.
AfD darf weiter bei Wahlen antreten
Direkte Konsequenzen folgen aus der Einstufung durch den Verfassungsschutz nur wenige. "Die Partei ist dadurch nicht verboten, sie darf weiter bei Wahlen antreten und die Abgeordneten dürfen weiter im Parlament bleiben", sagt Borstel. Für ein Verbot von Parteien ist das Bundesverfassungsgericht zuständig.
Das wäre ein eigenes Verfahren und könnte von der Bundesregierung, dem Bundesrat oder dem Bundestag auf den Weg gebracht werden. "Der Verfassungsschutz ist auf das Beobachten beschränkt, es geht nicht ums Bekämpfen", sagt der Experte. Kommt es aber zu einem Verbotsverfahren, dann spielen die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes eine Rolle.
"Bei einem Verbotsverfahren wird dabei aber nicht nur geprüft, ob es tatsächlich extremistische Bestrebungen gibt, sondern auch, ob die Organisation in der Lage ist, sie umzusetzen – ob es also tatsächlich eine Bedrohungslage gibt", erklärt Borstel.
Darum schadet die Einstufung durch den Verfassungsschutz der AfD
Ein Verbotsverfahren ist bislang noch nicht auf den Weg gebracht worden. Experte Borstel ist sich trotzdem sicher, dass die Einstufung als "gesichert rechtsextrem" der AfD schadet, "vor allem in der Mitte der Bevölkerung". Dort könnte das Label "gesichert rechtsextrem" Menschen abschrecken, die sonst vielleicht die AfD gewählt hätten. Für Menschen, die im öffentlichen Dienst arbeiteten, wirft die Einstufung laut Borstel besondere Fragen auf.
"Denn Beamte stehen in einem besonderen Treueverhältnis zum Staat. Eine Zugehörigkeit zu einer offensichtlich verfassungsfeindlichen Organisation stellt grundsätzliche Fragen an ihren Beamtenstatus", erklärt er.
Das bedeute nicht, dass ein Beamter, der AfD-Mitglied sei, sofort seine Position verliere. Es könne aber zu Dienstprüfungen kommen und auch bei Einstellungsverfahren könnte sich eine AfD-Mitgliedschaft negativ auswirken.
Anhänger und Vertreter der AfD würden sich selbst als die sogenannten "wahren Demokraten" sehen. "Durch die Einstufung des Verfassungsschutzes haben alle ein Argument, die sagen: Wir haben es hier mit einer antidemokratischen Partei zu tun." Dennoch habe die Wahl in Ostdeutschland gezeigt, dass der Schaden mittlerweile begrenzt ist. "Einem Drittel der Wählerschaft war die Einstufung offensichtlich egal, das ist eine neue Qualität", sagt Borstel.
Warum ist die AfD auf Bundesebene kein Beobachtungsfall?
Auf Bundesebene führt der Verfassungsschutz die AfD seit 2021 als Verdachtsfall. Dass sie auf Bundesebene und in einigen anderen Bundesländern noch nicht als "gesichert rechtsextrem" gilt, erklärt Experte Borstel so: "Die AfD ist noch im Wandel. Wir haben mittlerweile ein eindeutig rechtsextremes Spektrum, sie wurde aber nicht aus einem klassischen rechtsextremen Milieu heraus gegründet."
Es gäbe bis heute in der Partei auch ein rechtskonservatives und nationalliberales Spektrum. In den unterschiedlichen Landesverbänden habe sich der rechtsextreme Flügel unterschiedlich stark durchgesetzt.
"In manchen dominiert der Flügel beispielsweise noch nicht die Vorstände", erklärt der Politikwissenschaftler. Es gebe einen Richtungsstreit, bei dem sich die verfassungsfeindlichen Bestrebungen durchsetzen könnten.
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Um auf Bundesebene auch als "gesichert rechtsextrem" zu gelten, müsse sich der Verdacht für die gesamte Breite bestätigen. "Wir haben aber immer noch Akteure in der AfD, die versuchen, sich gegen diesen rechtsextremen Flügel in irgendeiner Weise zu positionieren", sagt Borstel. Ob das glaubwürdig ist, sei eine andere Frage – aber der Verfassungsschutz müsse solche Äußerungen zunächst einmal ernst nehmen.
Die AfD kann in Thüringen die Politik blockieren
Dass der Verfassungsschutz eine so große Partei wie die AfD, die bei Wahlen erfolgreich ist, beobachtet, ist laut Borstel ein Novum. "Der Verfassungsschutz beobachtet verfassungsfeindliche Bestrebungen aus allen Richtungen, beispielsweise auch von links oder aus dem islamistischen Milieu. Bisher haben wir aber in der Regel über Parteien gesprochen, die es geschafft haben, in wenige Landtage zu kommen oder auf kommunaler Ebene Mandate zu gewinnen."
Das sei beispielsweise bei der NPD oder der DKP der Fall gewesen. "Wir hatten aber noch keine Partei, die mehrheitsfähig war und diese Einstufung hatte", sagt er. Das habe zur Folge, dass man nicht nur über eine unangenehme Oppositionspartei spreche, sondern über eine Partei, die Politik im großen Stil blockieren kann.
In Thüringen hat die AfD eine Sperrminorität. Bei Entscheidungen, für die es eine Zwei-Drittel-Mehrheit braucht, kann die AfD mit mehr als einem Drittel aller Abgeordneten wichtige Entscheidungen blockieren, also sperren. "Dadurch hat sie unmittelbar Zugang zu staatlichen Stellen. Das haben viele in der Tragweite noch nicht erkannt", sagt Borstel.
Über den Gesprächspartner
- Prof. Dr. Dierk Borstel ist Professor für praxisorientierte Politikwissenschaften im Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften der FH Dortmund.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Dierk Borstel
- amadeu-antonio-stiftung.de: Verfassungsfeindlichkeit: Was ist demokratiefeindlich an der AfD?
- openjur.de: BVerfG, Urteil vom 17.08.1956 - 1 BvB 2/51
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