Regieren will mit der AfD niemand – und dennoch könnte sie nach den Landtagswahlen im Osten mehr Macht haben. Der Grund: In Thüringen hat sie eine Sperrminorität sicher. Was das bedeutet und warum die anderen Parteien nun vor einem Dilemma stehen.
Niemand will mit der AfD koalieren. Schon vor der Landtagswahl in Sachsen und Thüringen hatten alle Parteien diesen Umstand klargemacht. Zumindest am Tag nach der Wahl ist ein Kurswechsel in dieser Frage auch nicht in Sicht.
Und trotzdem: Die AfD, die in beiden Bundesländern vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, hat nach der Wahl faktisch erstmals politische Gestaltungsmacht auf Länderebene – zumindest in Thüringen.
Der Grund dafür heißt "Sperrminorität". Was das bedeutet, wie die Lage in den jeweiligen Bundesländern ist und was das für die anderen Parteien bedeutet.
Was ist eine Sperrminorität?
Ganz allgemein versteht man unter einer Sperrminorität, dass eine Minderheit einen Entscheidungsprozess blockieren kann. Mit Bezug auf die AfD und die Landtagswahlen ist das der Fall, wenn die Partei ein Drittel plus einen der Sitze im jeweiligen Landtag erobert.
Konkret hat die AfD damit die Möglichkeit, alle Entscheidungen und Wahlen im jeweiligen Landtag, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern, zu blockieren.
Hat die AfD in beiden Landtagen eine Sperrminorität?
Nein. In Thüringen ist der AfD die Sperrminorität sicher. Dem vorläufigen Endergebnis zufolge hat sie dort 32 der 88 Landtagssitze geholt. In Sachsen wiederum war die Lage zunächst unklar, am Montagmorgen wurde jedoch vermeldet, dass das Wahlergebnis dort nach Angaben der Landeswahlleitung korrigiert werden muss.
Das Ergebnis dieser Korrektur: Aufgrund eines Softwarefehlers hatten sowohl die AfD als auch die CDU je einen Sitz mehr zugeteilt bekommen, als ihnen eigentlich zusteht. Nach Abzug dieses einen Sitzes verlor die AfD die Hürde für die Sperrminorität haarscharf.
Was kann die AfD mit einer Sperrminorität blockieren?
In Thüringen braucht es zum Beispiel eine Zweidrittelmehrheit für Verfassungsänderungen. Darüber hinaus könnten auch bestimmte Ämter nicht besetzt werden. So muss etwa die Spitze des Landesrechnungshofs mit Zweidrittelmehrheit aller Parlamentarier gewählt werden.
Auch können der Parlamentspräsident und seine Stellvertreter nur von zwei Dritteln aller Abgeordneter abgewählt werden. Kritisch wird es vor allem mit Blick auf die Justiz. In Thüringen könnte die AfD künftig die Berufung von Verfassungsrichtern verhindern.
Auch der sogenannte Richterwahlausschuss muss mit zwei Dritteln der bei der Entscheidung im Plenum anwesenden Abgeordneten gewählt werden. Dieser ist für die Justiz in Thüringen extrem wichtig, weil er über die Berufung von Richtern auf Lebenszeit entscheidet.
Zudem kann sich der Landtag auch nicht mehr selbst auflösen, wenn die AfD das nicht will. Theoretisch ist eine Auflösung auch dadurch möglich, dass dem Ministerpräsidenten oder der Ministerpräsidentin das Vertrauen entzogen wird.
In der Praxis ist das allerdings nicht so einfach. Denn in der Geschäftsordnung des Thüringer Landtages heißt es etwa, dass es nur dann zu Neuwahlen kommt, wenn, nachdem dem Ministerpräsidenten das Vertrauen entzogen worden war, nicht innerhalb von drei Wochen ein Nachfolger gewählt wurde. Und diese Wahl kann jede Fraktion im Landtag mit einem einfachen Antrag erzwingen.
Gleichzeitig heißt es in den Regeln für die Wahl des Ministerpräsidenten, dass dieser in den ersten zwei Wahlgängen die absolute Mehrheit benötigt. Sollte das nicht gelingen, ist laut Geschäftsordnung "gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält".
Die AfD könnte dieses Regelwerk ausnutzen und jeweils im dritten Wahlgang einen eigenen Kandidaten aufstellen. Wollen die anderen Parteien verhindern, dass dieser gewählt wird, müssen sie einen Gegenkandidaten aufstellen, der fraktionsübergreifend mehr Stimmen holen kann, als der AfD zur Verfügung stehen. Thüringen hätte einen neuen Ministerpräsidenten und die Neuwahlen wären passé.
Warum ist eine AfD-Sperrminorität so heikel?
Verfassungsänderungen passieren auch in den Landesparlamenten nicht am laufenden Band. Aber zum Beispiel bei der Nachbesetzung von Richterinnen und Richtern in Thüringen kann es sich die Regierung schlicht nicht erlauben, diese auszusitzen, bis die AfD nicht mehr bei der Besetzung des Richterwahlausschusses mitreden darf. Schließlich könnte darunter der Rechtsstaat leiden.
Doch die Alternative wäre, dass die Regierungsparteien mit der AfD über diese Punkte verhandeln müssten. Das käme de facto einem Ende der AfD-Brandmauer und der Abgrenzungsstrategie gegenüber den Rechtspopulisten gleich.
Besonders für die CDU, die nach jetzigem Stand in Thüringen eine potenzielle Regierung anführen dürfte, würde das zum Problem werden.
Verwendete Quellen
- dpa
- AFP
- Homepage des Thüringer Landtags: Geschäftsordnung des Thüringer Landtags
- Homepage des Landtags Sachsen: Geschäftsordnung des Landtags Sachsen
- Verfassungsblog.de: Sperrminorität kommt vor dem Fall Wie der Rechtsstaat in Thüringen, Sachsen und Brandenburg blockiert werden könnte
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