Die Ampel-Parteien hatten mit der Union darüber verhandelt, mit einer Grundgesetz-Änderung das Bundesverfassungsgericht besser gegen Einflussnahme zu schützen. Die Union hat die Gespräche jetzt abgebrochen.

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Die Ampel-Parteien fürchten bei einem weiteren Erstarken der AfD, dass diese Einfluss auf die Judikative nehmen könnte. Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP hatte nach dem Bekanntwerden von geheimen Treffen der AfD in Potsdam Anfang Februar für einen "lagerübergreifenden Vorschlag" geworben, um das Verfassungsgericht besser zu schützen. Zunächst zeigte sich die CDU offen für entsprechende Gespräche. Für eine Verfassungsänderung muss sie zustimmen. Nötig für eine Grundgesetz-Änderung wäre jeweils eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Und das wäre nur durch Mithilfe der Union möglich.

Nun hat die Union den Plänen aus der Ampelkoalition eine Absage erteilt. Nach Abwägung von Vor- und Nachteilen sehe die Unionsfraktion derzeit keine zwingende Notwendigkeit für eine Verfassungsänderung, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Andrea Lindholz (CSU), dem ARD-Hauptstadtstudio.

Stimmt das? Ist das Bundesverfassungsgericht ausreichend geschützt?

Experte: So kann das Bundesverfassungsgericht manipuliert werden

Fabian Michl ist Inhaber der Professur für Öffentliches Recht und das Recht der Politik an der Juristenfakultät der Universität Leipzig. Gegenüber unserer Redaktion erklärt er: "Das Bundesverfassungsgericht ist im Grundgesetz geregelt und damit als Institution zwar vor Demokratiefeinden gut geschützt, da das Grundgesetz nur mit Zwei-Drittel-Mehrheiten geändert werden kann." Wichtige Vorschriften über die Organisation des Gerichts, den Status der Richterinnen und Richter und die Richterwahl seien allerdings nur in einem einfachen Gesetz, dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz, enthalten und könnten damit von einer demokratiefeindlichen (einfachen) Mehrheit im Bundestag geändert werden. Hier kann die AfD Einfluss nehmen, sollte sie Teil einer Regierung werden – oder sogar die absolute Mehrheit erhalten.

Anfällig für Manipulationen seien vor allem die Vorschriften über den Richterstatus, so Michl: "Die zwölfjährige Amtszeit, das Ruhestandsalter und der Ausschluss der Wiederwahl, die mit einfacher Mehrheit geändert werden könnten." Auch die Organisation, und das heißt: Die Einteilung des Gerichts in zwei Senate mit je acht Mitgliedern könnte durch eine demokratiefeindliche Mehrheit verändert und so das Gericht in seiner Arbeit behindert oder sogar "lahmgelegt" werden.

Besonders anfällig: Die Richterwahl

Außerdem kann die Richterwahl geändert werden. Das heißt konkret: Statt dem herkömmlichen Verfahren – zwei Drittel der abgegebenen Stimmen im Bundestag und zwei Drittel der Stimmen des Bundesrates – könnte die AfD in der Regierung mit einer einfachen Mehrheit eine neue Regelung per Gesetz beschließen. Damit könnten leichter Richter ernannt werden, die der Regierung freundlich gesonnen sind, da sie keine Zustimmung der Opposition mehr benötigten.

Hier gibt es im europäischen Vergleich Grund zur Besorgnis: "Gerade die Erfahrung in Polen zeigt, dass rechtsautoritär-populistische Kräfte mit vermeintlich 'technischen' Gesetzesänderungen die Verfassungsgerichtsbarkeit lahmlegen oder sogar gleichschalten können, etwa indem sie Amtszeiten verkürzen, um ihnen hörige Richter in das Gericht zu wählen", so Rechtsexperte Michl.

Wie sinnvoll ist der Vorschlag der Ampel-Partei, das Bundesverfassungsgericht besser zu schützen?

Diese Frage hängt laut Fabian Michl davon ab, für wie wahrscheinlich man es hält, dass die AfD allein oder im Zusammenspiel mit anderen demokratiefeindlichen Kräften eine einfache Mehrheit im Bundestag erhält. "Davon sind wir im Moment gewiss weit entfernt. Aber die Erfahrungen in Polen und Ungarn zeigen, dass man nicht früh genug vorsorgen kann."

Dort haben rechtspopulistische Parteien starken Einfluss auf die Gerichte genommen. In Polen etwa hatte die jahrelang regierende PiS-Partei den Rechtsstaat so weit ausgehebelt, dass die EU Gelder gesperrt hatte, weil der Europäische Gerichtshof und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in mehreren Urteilen zu dem Schluss gekommen sind, dass polnische Gerichte nicht mehr unabhängig arbeiten können.

Gefahr, dass durch Grundgesetz-Änderung Verfassungsfeinden geholfen wird

Gleichzeitig warnt Rechtsexperte Michl aber davor, beim Versuch, das Bundesverfassungsgericht zu schützen, die Demokratiefeinde auch noch aufzuwerten. Sollte etwa die Zwei-Drittel-Mehrheit bei der Richterwahl im Grundgesetz verankert werden, würde das auch bedeuten, dass die AfD bereits mit einem Drittel der Stimmen im Bundestag die Ernennung von neuen Richtern dauerhaft blockieren könnte. Die Richterwahl wäre dann durch die anderen Parteien nicht mehr anders zu organisieren.

"Die Demokratiefeinde mögen zwar von Mehrheiten weit entfernt sein. Dass sie aber mehr als ein Drittel der Mandate im Bundestag erringen, ist nicht völlig ausgeschlossen", so Michl. Diese Möglichkeit wäre der AfD bei einer verfassungsrechtlichen Regelung gegen ihren Willen auch nicht mehr zu nehmen. Michl plädiert daher dafür, den Richterstatus und die grundlegende Organisation des Gerichts im Grundgesetz abzusichern, die qualifizierten Mehrheiten für die Richterwahl aber nicht anzutasten.


Über den Experten:

  • Fabian Michl ist Inhaber der Professur für Öffentliches Recht und das Recht der Politik an der Juristenfakultät der Universität Leipzig.

Quellen:

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

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