Zehn Jahre nach ihrer Gründung erobert die AfD im thüringischen Sonneberg erstmals ein kommunales Spitzenamt in Deutschland. Wer ist der neue Landrat – und was bedeutet seine Wahl?
Nun ist es amtlich: Der erste Landrat der AfD kommt aus Thüringen. Genauer gesagt: aus Sonneberg, einem Landkreis im fränkisch geprägten Südzipfel des Bundeslandes. Dort wurde der AfD-Kandidat Robert Sesselmann am Sonntag in der Stichwahl zum Landrat gewählt. Ausgerechnet der kleinste Landkreis in den neuen Bundesländern schlägt nun bundespolitische Wellen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu einer Kommunalwahl, deren Auswirkungen bis nach Berlin reichen.
Welche Themen haben den Wahlkampf dominiert?
Regionale Themen spielten im Wahlkampf keine Rolle – zumindest nicht für die AfD. Sie bediente stattdessen das Ressentiment. Und das klang so: Deutschland dürfe nicht zum "Weltsozialamt" werden, kriminelle Ausländer müssten sofort abgeschoben, Friedensverhandlungen mit Russland aufgenommen, die Sanktionspolitik beendet werden. Auch die Energie- und Wärmewende sei zum Scheitern verurteilt. Es sei besser, sie zu stoppen.
Auf Plakaten war zu lesen: "Diesel ist super!", "Grenzen sichern!" oder "Weil unsere Frauen kein Freiwild sind". Wenn man so will: Klassiker des Rechtspopulismus. Und Dinge, auf die ein Landrat keinen Einfluss hat.
Ein Widerspruch? Nein, findet Marcel Lewandowsky. Der Politikwissenschaftler sieht darin eine Strategie. "Die AfD wird nicht wegen ihres kommunalpolitischen Profils gewählt. Es fehlt ihr an Themen, mit denen sie mobilisieren kann", sagt Lewandowsky unserer Redaktion. Also greift sie auf vermeintliche Aufreger-Themen zurück – egal, ob die nun auf Landes- oder Bundesebene entschieden werden. "Die AfD hat, gerade im Osten, eine eingefleischte Unterstützerschaft und weiß, wie sie die mobilisieren kann", so der Politik-Experte.
Wer ist der neue Landrat Robert Sesselmann?
Sesselmann wurde 1973 in Sonneberg geboren und ist in Südthüringen aufgewachsen. Als Jugendlicher startete er als Skilangläufer für den SC Motor Zella-Mehlis, später studierte er Jura in Leipzig und arbeitete als Rechtsanwalt in seiner Heimatregion.
2016 wurde Sesselmann Mitglied der AfD, 2019 Mitglied des Thüringer Landtags. Dort ist der Mann, dessen Name nun in allen Medien zu lesen ist, offenbar unauffällig geblieben. Andere Abgeordnete bezeichneten ihn dem "Spiegel" (Bezahlinhalt) gegenüber als "schlichten Typen" und Hinterbänkler. Bis auf seine biografischen Angaben und seine Parlamentsreden ist über Sesselmann eher wenig bekannt – womöglich auch, weil er den Medien offenbar ungern Interviews gibt.
Seit 2018 ist Sesselmann auch Beisitzer im Landesvorstand der AfD. Der Verfassungsschutz in Thüringen stuft die Landes-AfD seit 2021 als "gesichert rechtsextrem" ein. Auch Sesselmann scheut die Nähe zu besonders radikalen Figuren in seiner Partei nicht: Nach seinem Wahlsieg trat Sesselmann mit dem Thüringer Landesvorsitzenden
Kurz vor der Stichwahl war bekannt geworden, dass die Polizei gegen den AfD-Kommunalpolitiker ermittelt: Sesselmann soll einen Mann, der CDU-Plakate aufhing, bedroht haben. Das berichtete die "Bild".
Wie "mächtig" wird Sesselmann als Landrat sein?
Die deutschen Landkreise sind unter anderem Träger von Krankenhäusern oder weiterführenden Schulen, kümmern sich um Abfallentsorgung oder den Erhalt und Ausbau der Kreisstraßen. Der Landrat steht an der Spitze der Kreisverwaltung und ist damit vor Ort durchaus eine wichtige Person. Allerdings kann er die lokale Politik nicht alleine bestimmen. Das wichtigste Organ eines Landkreises ist der Kreistag – also sozusagen das Parlament des Kreises. Der Kreistag trifft die grundlegenden Entscheidungen, die der Landrat ausführen muss.
Deswegen kann auch der neue AfD-Landrat Sesselmann nicht einfach "durchregieren": Im Sonneberger Kreistag stellt die AfD derzeit 9 von 40 Kreisräten. Von einer eigenen absoluten Mehrheit ist sie damit weit entfernt. Will Sesselmann seine eigenen Anliegen durchsetzen und nicht vom Rest des Kreistags überstimmt werden, ginge das nur in Zusammenarbeit mit anderen Fraktionen.
Hinzu kommt: Viele Aufgaben führen die Kreise im Auftrag des Bundes oder der Landesregierung aus: zum Beispiel die Unterbringung von Asylbewerbern. Hier müssen sie Vorgaben von Bund und Land befolgen. Zudem verfügen Kreise kaum über eigene Finanzmittel. Zur Finanzierung ihrer Aufgaben sind sie auf Überweisungen der jeweiligen Landesregierung angewiesen.
Wie fallen die Reaktionen auf Landes- und Bundesebene aus?
Vor allem negativ. Sie reichen von Entsetzen und Ratlosigkeit – vor allem im linken politischen Spektrum – bis hin zu Erklärungsversuchen. Es gibt auch Stimmen, die anmahnen, die Wahl nicht überzubewerten. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schrieb beim Kurznachrichtendienst Twitter: "Das ist ein Tiefpunkt unserer Politik seit dem Fall der Mauer".
Die lokale CDU benannte als Grund für die Niederlage ihres eigenen Landratskandidaten auch die eigene Partei: "Das ist nicht nur ein Denkzettel, sondern eine volle Breitseite - aber nicht gegen den CDU-Kreisverband Sonneberg, sondern gegen die CDU auf Bundesebene", sagte die Sonneberger Kreisvorsitzende Beate Meißner der Deutschen Presse-Agentur.
Thüringens Ministerpräsident
Geradezu euphorische Stimmung dagegen bei der AfD: Der rechtsextreme Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke sprach von einem "politischen Wetterleuchten" und "Schwung", den man mitnehme. AfD-Bundeschef Tino Chrupalla schrieb bei Twitter: "Das war erst der Anfang".
Was lässt sich aus der Wahl ablesen – und was nicht?
Die tatsächliche Macht, die die AfD mit dem Sieg Sesselmanns in den Händen hält, ist überschaubar. Mit rund 56.800 Einwohner ist der Landkreis Sonneberg der kleinste Landkreis in den östlichen Bundesländern und der zweitkleinste bundesweit. Wie erwähnt kann der neue Landrat wichtige Entscheidungen nur in Zusammenarbeit mit anderen Parteien und mit der Landesregierung umsetzen.
Anderseits: Die AfD trägt nun Verantwortung. Und die kann sie nutzen. "Es ist nicht nur ein symbolischer Erfolg. Der Wahlsieg kann zu einer weiteren Etablierung der AfD beitragen", sagt Politikwissenschaftler Lewandowsky im Gespräch mit unserer Redaktion. Wenn der neue Landrat nicht den Scharfmacher und Spalter gebe, sondern eher gemäßigt-präsidial auftrete, könnte sich das für die AfD auszahlen, glaubt Lewandowsky.
Und auch wenn der Landkreis Sonneberg nur sehr klein ist: Die Abstimmung vor Ort könnte als Stimmungstest für die Wahl im nächsten Jahr dienen, sagt Lewandowsky. Dann sind die Thüringer aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Umfragen sehen die dortige AfD – einen der radikalsten Landesverbände – in Führung.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Marcel Lewandowsky
- Deutsche Presse-Agentur
- bild.de: Bedrohte AfD-Abgeordneter einen Plakat-Kleber?
- spiegel.de: AfD-Sieg in Thüringen: Ein Landkreis mit "hohen Risiken"
- Website von Robert Sesselmann
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