GDL-Chef Claus Weselsky ist der umstrittenste Gewerkschafter Deutschlands. Wenn seine Lokführer streiken, steht der Bahnverkehr still. Im Interview sagt er, warum das Thema Arbeitszeitverkürzung für ihn so wichtig ist. Und wie es zusammen geht, Arbeiterführer und gleichzeitig CDU-Mitglied zu sein.

Ein Interview

Die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) ist in Berlin an mehreren Standorten untergebracht – auch im Gebäude des Beamtenbundes (dbb) in der Friedrichstraße. Bis zum Bahn-Tower am Potsdamer Platz ist es von hier nur ein Katzensprung. Das Büro von Claus Weselsky befindet sich im vierten Stock. Der GDL-Chef kommt mit dem Aufzug nach unten ins Foyer, um den Reporter abzuholen.

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Weselsky hat gute Laune. Der letzte Streik seiner Lokführer liegt erst wenige Tage zurück und wurde nach 120 Stunden vorzeitig beendet. Bahn und GDL wollen die Gespräche wieder aufnehmen. Zeit, mal nachzufragen: War es das jetzt mit den Streiks bei der Bahn?

Herr Weselsky, ab Montag verhandeln Deutsche Bahn und GDL wieder. War die Eskalation zuvor notwendig?

Claus Weselsky: Ja, sie war sogar zwingend erforderlich. Die Bahn ist mit der Ansage in die Tarifrunde gestartet, über bestimmte Dinge erst gar nicht reden zu wollen – etwa die Arbeitszeitverkürzung um drei Stunden, die für uns extrem wichtig ist. Wenn die andere Seite aber von vornherein erklärt: Wir sind nicht zu Verhandlungen bereit. Ja, wie soll dann ein Kompromiss möglich sein? Dann bleibt nur der Streik.

Die Bahn ist Ihnen aber entgegengekommen, auch bei den Arbeitszeiten.

Das waren Angebote fürs Schaufenster, ohne Wert. Die Bahn hat eine freiwillige Absenkung der Wochenarbeitszeit um gerade mal eine Stunde auf 37 Stunden angeboten – ohne vollen Lohnausgleich. Und sie sollte nicht für alle Beschäftigten gelten. Die Bahn redet sich raus, dass eine Absenkung der Arbeitszeit erst möglich wäre, wenn sie genug Arbeitskräfte hat – also am Sankt-Nimmerleins-Tag. Dabei sind wir uns mit privaten Konkurrenten der Bahn in diesem Punkt längst einig geworden. Es geht also.

Claus Weselsky: "Ich wurde auch schon als Einheizer aus Sachsen bezeichnet"

Sie gelten als streitbar. Eine große Tageszeitung hat getitelt: Claus Weselsky, der Scharfmacher.

Ich wurde auch schon als Einheizer aus Sachsen bezeichnet. Wissen Sie: Wenn konsequentes Handeln und Haltung auch in stürmischen Zeiten so betitelt werden, kann ich damit wunderbar leben. Ansonsten aber bin ich sehr konservativ und sehr realistisch – und ein strategisch denkender Mensch. 97 Prozent unserer Mitglieder haben sich in einer Urabstimmung für den Arbeitskampf ausgesprochen. Und ich bin nur ihnen gegenüber Rechenschaft schuldig, niemanden sonst.

Sie tragen aber auch eine Verantwortung für Millionen Menschen, die täglich die Bahn nutzen.

Natürlich, das gilt aber genauso für den Bahn-Vorstand, bei dem ich keine Lernkurve erkennen kann, im Gegenteil. Ich nenne das beratungsresistent. Es gibt in der Bevölkerung viel Frust über die Bahn – und das liegt am jahrzehntelangen Missmanagement. Wir streiken nicht aus Jux und Tollerei. Wir wollen bessere Arbeitsbedingungen für unsere Mitglieder. Und das ist auch im Sinne der Kunden.

Welches konkrete Angebot hat Ihnen die Bahn gemacht, damit Sie zurück an den Verhandlungstisch kommen?

Es gibt jetzt ein sogenanntes Einstiegspapier, das Elemente enthält, die vorher verweigert worden sind – etwa Gespräche über die Wochenarbeitszeit oder einen Tarifvertrag für die Fahrzeuginstandhaltung. Die Bahn stellt also keine Vorbedingungen mehr. Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Ich sage aber auch: Das hätten wir schon im Oktober zu Beginn der Tarifrunde haben können.

"Die Bahn ist als Arbeitgeber nicht attraktiv genug"

Ein Bahn-Streik kostet laut Ökonomen 100 Millionen Euro pro Tag. Umfragen zeigen, dass der GDL-Streik in der Bevölkerung zuletzt mehrheitlich auf Ablehnung stieß. Hat das eine Rolle in Ihren Überlegungen gespielt?

Das kennen wir alles. Es ändert aber nichts an den Fakten. Das Problem ist doch: Die Bahn ist als Arbeitgeber nicht attraktiv genug, sonst wären die Leute ja da. Sind sie aber nicht. Also müssen wir die Arbeitsbedingungen verbessern.

Und das geht nur mit weniger Arbeit?

Wer im System Bahn arbeitet, unterliegt ganz speziellen Bedingungen. Ein Zugbegleiter kann nicht mal die Kinder spontan aus der Kita abholen. Er oder sie arbeitet nicht von 9 bis 17 Uhr im Büro und hat das Glück, dass die Kantine im gleichen Gebäude ist. Oder hat immer pünktlich Feierabend. Es braucht einfach Schutzfunktionen – und da sind wir bei der Arbeitszeit. Wir sagen ja nicht: 35-Stunden-Woche für alle. Es geht uns um Schichtarbeiter.

Der letzte Streik hat in der Politik parteiübergreifend Empörung ausgelöst. Es gab sogar Forderungen, das Streikrecht einzuschränken.

Das nenne ich Populismus. Dieselben Politiker, die jetzt laut aufjaulen, waren es, die die Bahn privatisiert haben. Die dann zugeschaut haben, wie unfähige Manager das Eisenbahnsystem kaputtgespart und so in die Grütze gefahren haben. Wer Streiks verhindern will, muss Bahner eben wieder verbeamten, bitte schön. Wollen die Damen und Herren aber auch nicht.

"Ich bin als Gewerkschafter nicht bereit, dass unsere Leute Verzicht üben sollen, während sich oben die Taschen gefüllt werden"

Claus Weselsky, GDL-Vorsitzender

Sie haben die Bahn-Bosse als „Nieten in Nadelstreifen“ bezeichnet, DB-Personalvorstand Martin Seiler haben Sie „Vollpfosten“ genannt. Ist das hilfreich für die anstehenden Gespräche?

Beide Seiten sind professionell genug und können damit umgehen. Ich bin schon lange dabei – und überblicke damit auch, was im System Eisenbahn passiert ist. Früher konnten Sie die Uhr nach der Bahn stellen. Das kann man heute gar nicht mehr glauben. Und was mich besonders ärgert: Im Bahn-Tower wird die Eisenbahnerfamilie an einem einzigen Tag beschworen – wenn Tarifverhandlungen anstehen und es heißt, dass alle den Gürtel enger schnallen sollen. Vorher streicht das Management aber noch Bonus-Zahlungen ein und erhöht sich das Grundgehalt um 14 Prozent. Ich bin als Gewerkschafter aber nicht bereit, dass unsere Leute Verzicht üben sollen, während sich oben die Taschen gefüllt werden.

Anstehende Verhandlungen: "Ich bin immer optimistisch"

Ab Montag heißt es: verhandeln. Wie optimistisch sind Sie, dass Sie bis Anfang März – solange gilt Friedenspflicht – ein Ergebnis erzielen?

Ich bin immer optimistisch, auch wenn ich weiß, dass ein Tarifkonflikt eine eigene Dynamik und eigene Regeln hat. Wir haben im Hintergrund verschiedenste Gespräche geführt, auch mit dem Bahn-Vorstand. Das Papier, das jetzt vorliegt, lässt den Schluss zu, dass beide Seiten in den Verhandlungen einen Kompromiss erzielen wollen.

Und wenn nicht?

Dann erhöht sich der Druck auf beide Seiten. Dann müssen wir erklären, warum es nicht geklappt hat. Ich kann aber sagen: Unsere Mitglieder sind bereit, in den Arbeitskampf zu ziehen. Denn sie wollen eine gute Eisenbahn, eine, die im Sinne der Kunden ist. Ich erwarte, dass der Bahn-Vorstand das System wieder in Ordnung bringt. Denn es waren auch die Pfennigfuchser, die Betriebswirte, die es zugrunde gerichtet haben.

"Für mich ist konservativ kein Schimpfwort"

Sie sind seit 2007 Mitglied der CDU. Wie passt das zusammen: konservativ und gleichzeitig Arbeiterführer?

Für mich ist konservativ kein Schimpfwort. Die Zehn Gebote aus der Bibel waren das erste Gesetz, das das Zusammenleben von Menschen regelt – und die sind meiner Ansicht nach auch heute noch wahr und richtig. Ich komme aus der DDR und bin da parteilos geblieben. Das wollte ich auch im vereinten Deutschland so halten. Ein früherer Vorgesetzter sagte dann aber mal zu mir: Es ist gut, wenn man parteipolitisch verankert ist – auch, um ein Netzwerk zu haben. Dann blieb für mich nur die CDU. Wenn es um die GDL geht, ist die Frage, welcher Partei ich angehöre, aber zweitrangig.

Die aktuelle Tarifauseinandersetzung ist die letzte für Sie, im Herbst endet ihre Zeit an der Spitze der GDL. Wie kann man sich den Rentner Claus Weselsky vorstellen?

(lacht) Das muss der Rentner Claus Weselsky selbst noch rausfinden. Aber im Ernst: Ich bin in unserem Dachverband DBB noch stellvertretender Vorsitzender – und die Wahlperiode geht bis 2027. Aber klar: Bei der GDL bin ich erstmal raus. Und ich weiß auch: Wenn ich nicht gefordert werde, fährt mein Körper wie ein Computer runter. Es ist also wichtig, einen Plan zu haben. Ich habe das Glück, dass meine Frau schon im Ruhestand ist – und mir vormacht, wie es geht. Sie hat einen vollen Terminkalender, macht Dinge, für die früher keine Zeit war. Sie verwirklicht sich, schenkt den Enkeln viel Zeit. Das werde ich auch machen.

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