- Deutschland will seine Energiequellen angesichts der Energiekrise und der angestrebten Klimawende in der Wirtschaftspolitik weiter diversifizieren.
- Dafür will die Ampel-Koalition unabhängiger von fossilen Energieträgern aus diktatorischen und autoritären Regimen wie etwa Russland zu werden.
- Um das zu schaffen, braucht Deutschland andere Partner – etwa Senegal.
Nach dem Gas-Stopp durch Russland in Folge westlicher Sanktionen im vergangenen Jahr mussten andere Gaslieferanten gesucht werden. Der ungemein ehrgeizige Plan, in Zukunft auf rund 50 Milliarden Kubikmeter russischen Erdgases im Jahr zu verzichten, zwingt dazu. Der Blick richtete sich deshalb auch nach Westafrika.
In den Senegal und Mauretanien. Genau an der Meeresgrenze zu Mauretanien, zehn Kilometer von der nordsenegalesischen Küstenstadt Saint-Louis entfernt, erstreckt sich das riesige Becken Tortue/Ahmeyim mit geschätzten 420 Milliarden Kubikmetern Erdgas. Dieses Gasfeld hat längst das Interesse der Bundesrepublik geweckt.
Seit acht Jahren bereits wird das Gasfeld für eine künftige Kommerzialisierung von dem Energiemulti BP, der US-amerikanischen Explorationsfirma Kosmos Energy und den beiden westafrikanischen Regierungen erschlossen. Eine schwimmende Anlage, die auf hoher See bohren, produzieren und zwischenlagern soll, ist bereits zu großen Teilen installiert.
Gasvorkommen weckt Begehrlichkeiten
Von einer küstennah gelegenen Verladestation (FLNG) an der Seegrenze von Senegal und Mauretanien soll dann Flüssigerdgas (LNG) zeitnah exportiert werden. Und das für mindestens 20 Jahre. Die FLNG-Station ist darauf ausgelegt, pro Jahr etliche Millionen Tonnen LNG auf den Markt zu bringen. Das weckt freilich Begehrlichkeiten.
Neben der früheren Kolonialmacht Frankreich, Italien, Portugal oder Polen ist auch Deutschland in Senegal vorstellig geworden, um Ersatzlieferungen für das russische Erdgas zu verabreden.
Bundeskanzler Scholz reiste im vergangenen Mai eigens nach Dakar, der Hauptstadt des Senegals, und besprach Details mit Staatspräsident Macky Sall. Die Bundesregierung suchte damals wie heute – trotz gut gefüllter Gasspeicher – dringend nach neuen Quellen für den fossilen Rohstoff. Sall machte indes klar: Wer etwas vom Gas-Kuchen abhaben will, sollte sich auch finanziell an der Ausbeutung und der Infrastruktur beteiligen.
"Gasdeal" mit Senegal
Wie die Plattform "Klimareporter" unter Berufung auf die senegalesische Regierung in Dakar im November 2022 berichtete, sollen zunächst 2,5 Millionen Tonnen Flüssigerdgas pro Jahr nach Deutschland geliefert werden, was vier Prozent des hiesigen Verbrauchs entspricht. Bis 2030 könnten es zehn Millionen Tonnen jährlich sein.
Offenbar ist nun aber mehr bekannt: So soll laut "Klimareporter" der deutsche Energielieferant Uniper mit der staatlichen senegalesischen Öl- und Gasfirma Petrosen verhandeln, was deren Generaldirektor Thierno Seydou Ly unlängst dem Spiegel bestätigte. Auch Ly habe dabei klargemacht: Wer als Kunde eine Vorzugsbehandlung bekommen möchte, der müsse auch Geld investieren.
Das Gasprojekt ist sehr umstritten – national wie international
Kritiker in beiden Ländern bemängeln, dass der "Gasdeal" den Ausbau von Solar- und Windenergie in Senegal ausbremse – ein ursprüngliches Ziel der deutschen Entwicklungspolitik.
Vor allem die Staaten Europas, auch Deutschland, setzten sich auf der vorletzten Klimakonferenz in Glasgow im vorvergangenen Jahr noch dafür ein, Erdgasprojekten aus Klimaschutzgründen Steine in den Weg zu legen. Dies scheint angesichts der Energiekrise obsolet geworden zu sein. "Deutschland kann einem Deal nur zustimmen, wenn die senegalesische Seite der Gasförderung als Brückentechnologie zur Förderung Erneuerbarer Energien zustimmt", sagt der im Senegal geborene SPD-Bundestagsabgeordneter Karamba Diaby auf Anfrage.
Auch liegt vor Mauretaniens Küste, bis hinunter nach Senegal, das größte bekannte Kaltwasser-Riff der Welt. "In den umliegenden Meeresgebieten leben bedrohte Hai-, Schildkröten- und Walarten, und viele Wasservögel machen hier auf ihrer Reise entlang eines ihrer wichtigsten globalen Zugkorridore Halt, um zu fressen", berichtet "Klimareporter". Kritiker sorgen sich um dieses einzigartige Ökosystem, da die Erdgas-Infrastruktur – Bohrplattform, Pipelines, Terminals, Wellenbrecher – die Ökosysteme schädigen könnte.
Aktivist Yero Sarr warnt vor Folgen
Der senegalesische Aktivist Yero Sarr von "Fridays for Future Senegal" ist ein Gesicht des Widerstandes in Senegal. Sarr warnte unter anderem vor den Folgen des Gasprojekts für die Küstenbevölkerung. Beinahe jede Familie dort sei auf Fischfang angewiesen. Durch die Meereserwärmung in Folge des fortschreitenden Klimawandels gingen die Fischbestände bereits zurück. Mit der Gasförderung drohten noch stärkere Einbußen. Die Bohrungen führten zu Sperrungen einiger Meeresregionen. Die Lebensgrundlage der Fischer – etwa jeder sechste Arbeitsplatz in Senegal hänge daran – sei damit bedroht. Würden diese Menschen arbeitslos, könne das zu neuen Fluchtbewegungen in Richtung Europa führen.
In der Ampel-Koalition positionieren sich die Grünen und die von ihnen geführten Ministerien für Wirtschaft und Auswärtiges inzwischen zunehmend deutlich gegen das Projekt, während die FDP es unterstützt. Tenor der Grünen: Den Fokus nicht auf neue Gasfeldern legen, sondern auf die Unterstützung von nachhaltigen Transformationsprojekten.
Die Kritik am Gasprojekt versteht SPD-Politiker und Senegalexperte Diaby nicht
SPD-Mann Diaby will einen anderen Blick in die Debatte bringen. "Energietechnisch hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht viel geändert. Schicke Hotels, moderne Wohnkomplexe und kleine Dörfer in Senegal kochen nach wie vor mit Feuerholz, Holzkohle oder Pflanzenresten." Im Senegal nutzen laut Diaby noch immer 58 Prozent der städtischen und 86 Prozent der ländlichen Bevölkerung diese Form von Biomasse zum Kochen und Heizen. Die Alternative sei Gas aus Gasflaschen, erhältlich an der Straßenecke.
Daher sei ein Übergang zu Erneuerbaren Energien notwendig, aber in den nächsten Jahren nicht realisierbar. "Das Land wirtschaftet bereits mit mehr als 20 Prozent Erneuerbaren Energien. Für einen Ausbau darüber hinaus fehlt allerdings die notwendige Infrastruktur", erklärt Diaby, der daher kritisch fragt: "Sollte Senegal also auf eine Modernisierung verzichten, weil wir dem Land vorschreiben, dass es von nun an nur noch über Erneuerbare Energien verfügen darf?"
Mit den Einnahmen aus den Gaserlösen will die senegalesische Regierung in Infrastruktur und Erneuerbare Energien investieren, ist sich Diaby sicher. Diese Absicht hört man auch aus dem Senegal.
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Von der Gasförderung profitiert auch die junge Bevölkerung
Der Senegal besteht zu 50 Prozent aus Menschen unter 19 Jahren. "Ohne Zukunftschancen ist die Jugend ein Pulverfass. Die Unzufriedenheit der Menschen in ländlichen Gebieten und ihr Mangel an Ressourcen ist auf Dauer ein großer Instabilitätsfaktor für das an sich stabile Land", sagt Diaby, der zum Studium in die damalige DDR kam und blieb. Sollte der Senegal als Stabilitätsanker für Westafrika kippen, kann das laut Diaby dramatische Spill-Over-Effekte für die gesamte Region zur Folge haben.
Dass die Lebensgrundlage der lokalen Fischer bedroht sein könnte, dazu sagt Diaby: "Ich habe aus meinen Gesprächen mit Klimaaktivisten, Regierungsvertretern und der Wirtschaft mitgenommen, dass ein Großteil der Kritiker aus dem Senegal keine grundsätzlichen Argumente gegen die Gasproduktion vortragen. Sie mahnen vielmehr an, dass bei der Vermarktung der Gasquellen Transparenz herrschen und die Bevölkerung eindeutig davon profitieren sollte."
Der SPD-Politiker sieht Deutschland als einen "verantwortungsvollen Abnehmer", der unterstützen könnte, die Einnahmen zielgerichtet zu verwenden. "Denkbar wären direkte Investitionen in den Ausbau der Erneuerbaren Energien für die Zukunft und der dazugehörigen notwendigen Infrastruktur, im Sinne einer Just Energy Transition Partnership."
Der "verlässliche" Partner Deutschland würde das Land nicht als reinen Rohstoffexporteur ausnutzen wie andere Staaten. Vielmehr sollte Deutschland das Land in Bezug auf nachhaltige Arbeitsplätze und Wertschöpfung vor Ort unterstützt. Es sollte eine "Partnerschaft auf Augenhöhe" sein zwischen Deutschland und Senegal, die den Namen auch wert ist.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Karamba Diaby (SPD)
- Klimareporter.de: Die Senegal-Connection
- Spiegel.de: Erdgas aus dem Senegal: Der Lieferant
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