Reparatur als Mittel zu mehr Nachhaltigkeit und langlebigeren Produkten – das will die EU jetzt mit einem Recht auf Reparatur fördern. Wie dieses Recht genau aussehen könnte, wird derzeit noch in Brüssel diskutiert. Und kann ein Gesetz überhaupt ein Umdenken, raus aus der Wegwerfgesellschaft, einläuten?
Über eine Million Tonnen Elektroschrott haben die Deutschen 2020 laut Statistischem Bundesamt produziert. Vier Prozent mehr als noch im Jahr zuvor. Das entspricht 12,5 Kilogramm an alter Elektronik pro Einwohner. Damit liegt Deutschland ein gutes Stück über dem europäischen Durchschnitt von 10,5 Kilogramm pro Person.
Ein Zustand, an dem sich etwas ändern muss, vor allem vor dem Hintergrund des stetig voranschreitenden Klimawandels, heißt es von vielen Umweltverbänden. Derweil locken Hersteller weiter mit der neuesten Technik und noch höheren Energieeffizienzklassen. Heißt es in diesem Fall nicht Konsum gleich Umweltschutz?
Reparatur ist fast immer besser als Neukauf
Katrin Meyer vom Verein "Runder Tisch Reparatur" beantwortet diese Frage mit Nein. Denn fast immer sind in die Produktion von Elektrogeräten bereits mehr Energie und Ressourcen geflossen, als die Energieeffizienz einsparen könnte. "Deshalb gilt häufig das Prinzip nicht, ich kaufe mir ein energieeffizientes Gerät und mache damit was für die Umwelt. Das ist in 99 Prozent nicht der Fall."
Mit der Aussage steht Meyer nicht allein da. Julius Neu, Referent für Rohstoffpolitik, Wirtschaft und Menschenrechte bei der NGO (Non-Governmental Organisation, zu Deutsch Nichtregierungsorganisation) "Inkota", sieht das genauso. Für ihn wird der Energieeffizienz-Effekt überschätzt. "Das führt dazu, dass viele beim Kauf eines neuen Gerätes das Gefühl haben, auch noch etwas Gutes für die Umwelt zu tun. Aber in den meisten Fällen ist eine Reparatur und eine Verlängerung der Nutzungszeit die nachhaltigere Alternative."
Dies scheint auch die EU erkannt zu haben. Sie hat Ende November 2023 das Recht auf Reparatur auf den Weg gebracht. Seitdem wird im Trilog zwischen Rat, Parlament und Kommission um die genaue Ausgestaltung des Gesetzes gestritten. Das Parlament hat schon eine relativ genaue Vorstellung davon, wie ein Recht auf Reparatur aussehen könnte. Der Rat will hingegen keinen so engen Rahmen vorgeben und setzt auf Flexibilität sowie die Mündigkeit des Bürgers.
Diese Position vertritt auch die DIHK. "Der Rat strebt mehr Flexibilität an, was sich mit unserer Position als Deutsche Industrie- und Handelskammer deckt. Das Parlament hingegen setzt sich für wesentlich strengere Regeln ein", sagt Sprecherin Katharina Hurka.
Die Sorge bei der DIHK ist groß, dass sich das Recht auf Reparatur zu einem Bürokratiemonster entwickeln könnte. Schon jetzt gebe es "viel Unsicherheit bei den Unternehmen, gerade bei Gesetzen, die im Rahmen des Green-Deals verabschiedet wurden. Viele Unternehmer sehen aktuell mit einem gewissen Pessimismus in die Zukunft. Wie der Anspruch auf Reparatur aufgenommen wird, hängt jetzt sehr von der Umsetzung ab. Ist es bürokratiearm oder ist es mit neuen Pflichten und mit mehr Papierkram für die Unternehmen verbunden", führt Hurka weiter aus.
Kostenfaktor Reparatur
Dinge reparieren ist selbstverständlich nicht neu. Es aus Umweltschutzgründen zu tun allerdings schon. "Reparatur drückt in der Regel auch eine andere Wertschätzung für Dinge aus, in denen viele Ressourcen und Energie drinstecken", meint Meyer. "Die Leute haben früher auch nicht repariert, weil sie so wahnsinnig ökologisch eingestellt waren, sondern weil es günstiger war, als etwas neu zu kaufen", ergänzt Neu.
Und genau da liegt der sprichwörtliche Hund begraben. Reparatur kostet Geld – häufig eine Menge. Neu sagt: "Die Umfragen zeigen: Heute verhindert vor allem der hohe Preis Reparaturen." Ein entscheidender Grund, warum die Reparaturbranche in Deutschland in manchen Bereichen kaum noch existent ist. "Es war vielfach einfach ökonomisch nicht mehr attraktiv gewesen zu reparieren", erklärt Meyer.
Ein entscheidender Kostenfaktor bei der Reparatur sind häufig die Ersatzteile. Ein Punkt, der laut Meyer in dem EU-Kommissionsvorschlag nicht genug berücksichtigt wird. "Hersteller müssen ihre Ersatzteile zur Verfügung stellen und das zu einem Preis, der es nicht unmöglich macht, Geräte zur reparieren."
Außerdem sollen die Hersteller die Ersatzteile vorrätig haben, heißt es im Gesetzesentwurf. "Ersatzteile dürfen nicht nur für ein paar Jahre, sondern sollten über die gesamte Nutzungsdauer allen Marktakteuren zugänglich sein. Entscheidend dabei ist, dass ihr Preis transparent, nachvollziehbar und angemessen ist", fasst Neu zusammen.
Die Hersteller sind laut DIHK nicht begeistert von der langen Lagerungspflicht für Ersatzteile. Dies bedeute einen hohen logistischen Aufwand. Dazu kommen noch die Kosten für die Vorhaltung, die am Ende wohl der Kunde tragen müsse. "Produkte könnten teurer werden, wenn Reparaturen und Ersatzteile eingepreist werden müssen", sagt DIHK-Sprecherin Hurka.
Aber eben diese billigen Elektrogeräte, die ihre Garantiezeit selten überleben, sind das Problem, meint Neu. Er plädiert für etwas teurere, aber langlebigere Produkte. "Wenn man auf zehn, fünfzehn Jahre rechnet, wird man oft günstiger wegkommen, wenn man ein Gerät hat, welches in der Anschaffung ein bisschen mehr kostet, aber dafür länger hält und gut reparierbar ist. Aber natürlich nur, wenn die Reparatur selbst nicht zu solchen Fantasiepreisen stattfindet, wie es jetzt teilweise der Fall ist."
Reparaturbonus – ein Haushaltsmonster?
Damit niemand einen Kredit aufnehmen muss, wenn er seinen Toaster reparieren lassen will, gibt es den sogenannten Reparaturbonus. Für Neu und Meyer sollte dieser ein ganz klarer Bestandteil beim Recht auf Reparatur sein. Und neu ist das Konzept auch nicht.
In Frankreich und in Österreich gibt es ihn bereits seit Jahren. Die Österreicher bekommen sogar bis zu 200 Euro für eine Reparatur vom Staat. Aber auch in Deutschland gibt es einen staatlichen Zuschuss. Vorreiter war hier das Bundesland Thüringen, wo es bis zu 100 Euro Bonus gibt. Sachsen hat jetzt nachgezogen. Und in Berlin und Bremen soll der Reparaturbonus bald kommen. Warum gibt es ihn dann noch nicht bundesweit?
Für seine Umsetzung verantwortlich ist das Bundesumweltministerium (BMUV). An dessen Spitze sitzt Ministerin Steffi Lemke (Grüne), die hinter dem Recht auf Reparatur steht. Vom Ministerium heißt es auf Anfrage unserer Redaktion: "Die Bundesregierung hat das Recht auf Reparatur im Koalitionsvertrag verankert. Für das Recht auf Reparatur gibt es nicht die eine Regelung oder ein Regelwerk. Vielmehr ist das Recht auf Reparatur ein ganzes Bündel an Instrumenten auf Bundes- und EU-Ebene. Das BMUV arbeitet an diesen verschiedenen Instrumenten sowohl auf EU-Ebene als auch national."
Zum Reparaturbonus schreibt das Ministerium: „Für die Stärkung des Rechts auf Reparatur sind im kommenden Bundeshaushaushalt 2024 nach heutigem Stand Fördermittel von insgesamt fünf Millionen Euro eingeplant. Die flächendeckende Einführung eines Reparaturbonus wie in Österreich planen wir daher in Deutschland nicht."
Das ist auch kaum verwunderlich, denn auf Nachfrage nannte das BMUV eine Summe von zwei Milliarden Euro, die ihrer Schätzung nach ein Reparaturbonus auf Bundesebene kosten würde. "Der gesamte Haushalt des BMUV in diesem Jahr beläuft sich auf rund 2,4 Milliarden Euro", heißt es weiter.
Neu sieht diese Aussage kritisch. Das BMUV geht bei seiner Berechnung davon aus, dass etwa die Hälfte der 40 Millionen Bundeshaushalte einen Reparaturbonus von 100 Euro in Anspruch nehmen würde. "Der bundesweite Reparaturbonus könnte nach unseren Berechnungen auch mit deutlich weniger Geld realisiert werden", ordnet Neu ein. Sein Team kommt bei einer Anlehnung an die Zahlen aus Österreich auf eine Summe von 200 bis 300 Millionen Euro. "In der jetzigen Haushaltslage würde sicher auch ein dreistelliger Millionenbetrag schmerzen. Aber dieser wäre aus sozialer und ökologischer Sicht gut investiert."
Reparaturförderung vom Hersteller, nicht vom Staat
Frankreich geht beim Reparaturbonus einen anderen Weg. Hier wird der Hersteller im Zusammenhang mit der erweiterten Herstellerverantwortung zur Kasse gebeten. Eigentlich regelt diese, dass Hersteller auch nach dem Ende der Nutzung ihrer Produkte dafür verantwortlich sind. Also, dass sie zurück in den Ressourcenkreislauf gelangen – Stichwort Recycling. Dafür müssen die Hersteller Geld zahlen. Frankreich nimmt einen Teil dieses Geldes und finanziert damit die Reparatur.
Eine sinnvolle Lösung, findet Meyer – vor allem bei einem zögerlich agierenden BMUV. "Wenn bei uns das Umweltministerium sagt: 'Ja gerne, aber wir haben kein Geld', dann könnte man Frankreich als Vorbild nehmen", denn "öffentlich finanzierte Boni könnten schnell wieder abgeschafft werden. Das französische System ist etwas nachhaltiger." Neu fügt hinzu: "Es ist absolut richtig, die Hersteller an den Kosten zu beteiligen."
Nicht überzeugt ist die DIHK. Hurka sagt: "Das Gesetz soll zu einem Mentalitätswandel beitragen. Wir als DIHK fragen uns, ob Gesetze dafür wirklich der richtige Weg sind. Wenn der Kunde unbedingt das neueste Produkt haben will, dann würde er sich das wahrscheinlich auch in Zukunft kaufen. Ein solches Gesetz, wie den Anspruch auf Reparatur, könnte man, gerade wenn noch Leistungen bezuschusst werden sollen, als Markteingriff werten."
Sollte sich das BMUV oder die EU doch noch zu einem Reparaturbonus durchringen und sollten die Hersteller die Ersatzteile sowie die nötigen Informationen zur Reparatur vorhalten, gibt es immer noch ein entscheidendes Problem. "Im Bereich Reparatur gibt es einen Fachkräftemangel. Der Nachwuchs fehlt. Aber auch die schlechten Reparaturbedingungen und die dadurch sinkende Nachfrage führen dazu, dass Werkstätten schließen", sagt Neu.
Ein Punkt, den DIHK-Sprecherin Hurka bei dem Recht auf Reparatur ebenfalls kritisch sieht. "Hier stellt sich die Frage, ob überhaupt die Fachkräfte zur Verfügung stehen, die diese Reparaturleistungen erbringen können? Sind das Know-how und die Expertise eigentlich so verfügbar, wie es sich der Gesetzgeber vorstellt? Gerade in dem Bereich werden Fachkräfte oft von konkurrierenden Branchen abgeworben."
Kommt das Recht auf Reparatur vielleicht gar nicht mehr?
Ob das Recht auf Reparatur in absehbarer Zeit als Gesetz von der EU verabschiedet wird, ist zudem unklar. Hurka erklärt: "Die Wahl zum EU-Parlament ist Anfang Juni. Eigentlich ist die Deadline, bis zu der Gesetze es durch den Trilog geschafft haben müssen, bereits Anfang Februar. Da das Gesetz noch die Verhandlungen zwischen Parlament und Rat vor sich hat, wird die Zeit für eine erfolgreiche Verabschiedung vor der Wahl knapp."
Darüber hinaus ist die deutsche Wirtschaft gespaltener Meinung zu solch einem Reparatur-Gesetz. "Einige Unternehmen finden den Ansatz gut. Auf der anderen Seite gibt es auch Firmen, die das Gesetz mit Sorge betrachten. Das betrifft zum Beispiel Einzelhändler, die befürchten, dass sie mit dem neuen Gesetz Verantwortung für importierte Produkte übernehmen müssen."
Ein nüchternes Fazit zieht bislang Katrin Meyer: "In Deutschland ist noch nicht viel passiert. Man sieht zwar den politischen Willen, beispielsweise bei Frau Lemkes Ministerium, die das Recht auf Reparatur gerne zur Chefsache machen wollen würde. Die anderen Ministerien blockieren jedoch bei wichtigen Gesetzgebungsprozessen." Aber Meyer ist froh, dass das Thema auf der Agenda steht und vielleicht bald in den Alltag der Bürger in Deutschland Einzug findet. "Es gibt noch viel zu tun."
Neu spannt beim Recht auf Reparatur einen großen Bogen. "Das Ganze hat einen globalen Gerechtigkeitsaspekt. Denn die Kosten für unsere Art zu konsumieren, auch bei Elektrogeräten, fallen vor allem in Ländern des globalen Südens an. Dort findet der Rohstoffabbau für Metalle statt. Dort wird das Wasser verschmutzt und Menschen vertrieben für neue Minenprojekte. Gleichzeitig sind diese Länder von den Auswirkungen der Klimakrise am stärksten betroffen. Deshalb ist das Thema Reparatur, das erstmal sehr lokal klingt, ein Baustein für einen global gerechteren Umgang mit Rohstoffen, den wir brauchen."
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Katrin Meyer vom Verein "Runder Tisch Reparatur" – Koordinatorin und Leiterin der Geschäftstelle Berlin
- Gespräch mit Julius Neu von der NGO "Inkota" – Referent Rohstoffpolitik, Wirtschaft und Menschenrechte
- Gespräch mit Katharina Hurka von der "Deutschen Industrie- und Handelskammer – Referatsleiterin Europäische Umwelt- und Rohstoffpolitik, Bereich Energie, Umwelt, Industrie
- Schriftliche Anfrage an das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz
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