Fast aus dem Nichts in den Elyséepalast eingezogen und nun mal eben Frankreichs Parteilandschaft auf den Kopf gestellt: Emmanuel Macrons Erfolg ist schon fast unheimlich. Die Gründe sind vielfältig – auch der Zufall und ein Schreckgespenst spielen eine Rolle.

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Vor diesem denkwürdigen Sonntag war Emmanuel Macron nur Frankreichs Präsident – jetzt hat er richtig viel Macht. In der ersten Runde der Parlamentswahlen katapultierten die Wähler seine Bewegung "La République en Marche" (REM) zur mit 33 Prozent stärksten Partei.

Das Mehrheitswahlrecht verwandelt den Erfolg in eine absolute Mehrheit im Parlament. Mit mehr als 400 von 577 Sitzen darf REM nach der zweiten Runde am kommenden Sonntag rechnen.

Im Rennen um die Präsidentschaft noch der Überraschungssieger, nun totaler Triumphator und Totengräber des Parteiensystems der V. Republik: Was hat diesen 39-Jährigen so erfolgreich gemacht?

1. Die Zeit war reif für eine Revolution

Von François Hollande wird wenig in Erinnerung bleiben, und wenn dann wohl nichts positives.

Seine Affäre mit einer Schauspielerin vielleicht, für die sich der Ex-Präsident gerne auf einen Motorroller schwang. Oder sein trauriger Blick. Und seine Beliebtheitswerte, die so schlecht waren wie bei keinem Präsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg. Nur ganze 14 Prozent der Franzosen waren im Juni 2016 mit Hollande zufrieden.

Aber der glücklose Präsident war nur das Symbol einer tiefer gehenden Krise. "Der Zorn der Bürger über die Machtlosigkeit und die Niederlagen der Regierungen der letzten Jahrzehnte hat sich langsam entwickelt, doch Hollande hat das traurige Privileg, diesen Zorn zum Ausbruch gebracht zu haben", schrieb "Le Figaro" 2015.

Macron erkannte die Abwendung von den etablierten Kräften und gründete im April 2016 seine eigene Partei En Marche, die keine Partei sein sollte, sondern eine Bewegung.

2. Er gehört zur Elite - steht aber nicht für sie

Macron hat eine typische Politikerkarriere hinter sich: Abitur an einer Pariser Eliteschule, Studium am renommierten Sciences-Po, dann eine Ausbildung an der Kaderschmiede ENA in Straßburg.

Er arbeitete im Finanzministerium und später in einer Investmentbank, bevor er 2012 Berater und zwei Jahre später Wirtschaftsminister im Kabinett Hollande wurde.

"Er kommt aus der politischen Elitenschmiede, das merkt man an seinem Wesen und den Kleidern", sagt Dr. Marcus Obrecht von der Universität Freiburg im Gespräch mit diesem Portal.

"Gleichwohl: Er ist 39, jung und unverbraucht, dynamisch. Er steht für ein anderes Frankreich, ein dynamisches mit Start-Up-Mentalität, dieses Frankreich hat das erste Mal eine Identifikationsfigur."

Tatsächlich hört sich Macron manchmal an wie Steve Jobs, wie die "Zeit" einmal anmerkte. Das klingt dann so: "Wir brauchen Menschen, die unmögliche Dinge erträumen, die vielleicht scheitern, manchmal Erfolg haben, auf jeden Fall aber Ambitionen haben."

Den Optimismus wertet Frankreich-Experte Obrecht als geschicktes gewählte Strategie: "So trägt er nicht die Krise und den ökonomischen Niedergang auf dem Rücken."

3. Der Zufall meinte es gut mit ihm

Anfang des Jahres sah François Fillon wie der sichere Sieger der Präsidentschaftswahlen aus, der Konservative führte in Umfragen komfortabel. Dann zerstörte der Skandal um die illegale Beschäftigung seiner Frau seine Chancen und die seiner Partei.

Es war der wohl wichtigste einer Reihe von Zufällen, die Macron im Wahlkampf zum Vorteil gerieten. Es sei auch nicht vorhersehbar gewesen, dass Hollande nicht noch einmal antritt, erinnert Obrecht.

Außerdem: Die Linken haben mit Hamon einen Kandidaten des linken Parteiflügels gewählt, so wurden weitere Stimmen in der Mitte frei. "All das hat Macron ins Amt getragen."

4. Gespür für den Moment

Bei allen Zufällen – "es braucht auch das Flair für den Moment", sagt Marcus Obrecht. Dieses Gefühl für Stimmungen und das richtige Timing hat Macron eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

"Er hat gemerkt, dass das Links-Rechts-Schema nicht mehr funktioniert, und eine Politik der Mitte zu einem Zeitpunkt in die politische Waagschale geworfen, in dem sie fruchtbar war. Das wäre sie auch gewesen, wenn er nicht Präsident geworden wäre, dann wäre er jetzt Anführer einer bedeutenden Oppositionspartei."

Wie gut der Zeitpunkt für die Gründung von "En Marche" gewählt war, zeigen auch die zahlreichen Überläufer: Aus der Parti Socialiste (PS) folgten Macron viele zu "En Marche", wie Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian und Parlamentspräsident Claude Bartolone.

5. Ein gelungener Start

Die ersten Schritte auf internationalem Parkett brachten Macron viel Aufmerksamkeit ein – vor allem seine Treffen mit Donald Trump und Wladimir Putin. Den russischen Präsidenten empfing der Neuling mit Pomp, aber auch mit klaren Ansagen gegen die "Propaganda-Organe" Russia Today und Sputnik.

Für Trump gab es einen sehr festen Händedruck und eine Portion Spott: Den Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkommen kommentierte Macron mit dem Spruch "Make our Planet great again".

Nichts, was direkten Einfluss auf die Wahlen am Sonntag hatte, urteilt Frankreich-Experte Marcus Obrecht. "Aber es war schon wichtig, dass er mit Trump und Putin auf Augenhöhe agiert hat und eine intellektuelle Führerschaft beanspruchen kann."

Innenpolitisch habe Macron seine Ankündigungen bislang eingehalten und auch keine Fehler bei der Aufstellung der Wahllisten gemacht. Ein kleiner Skandal um den REM-Generalsekretär Richard Ferrand blieb die Ausnahme und schadete dem neuen Präsidenten nicht.

"Er macht bislang eine gute Figur", sagt Obrecht. "Er symbolisiert das, was ein französischer Präsident besitzen sollte: Distanz und gleichzeitig Nähe zum Volk."

Die dicken Bretter stehen allerdings schon vor der Tür des Elyséepalasts: Noch im Sommer will Macron Steuern und Renten reformieren sowie das Arbeitsrecht flexibilisieren.

Dann entscheidet sich, welchen Weg seine Präsidentschaft nimmt.

6. Das Schreckgespenst namens Cohabitation

Nach der Wahl zum Präsidenten schlossen viele Journalisten ihre Kommentare mit einem Fragezeichen ab: Wird er auch eine Mehrheit im Parlament zustande bekommen? Über dem Erfolg kreiste der Schatten der "Cohabitation".

So nennen es die Franzosen, wenn sich der Mann im Elyséepalast einer konkurrierenden Mehrheit in der Nationalversammlung gegenübersieht. Ein ungeliebter Zustand, auch bei den Wählern.

Deswegen haben seit 1981 alle französischen Präsidenten bei den Parlamentswahlen zunächst eine absolute Mehrheit erhalten. So jetzt auch Macron.

"Er soll eine Chance bekommen, sein Programm umzusetzen. Ohne politische Mehrheit wäre er ja eine ‚lame duck‘", sagt Obrecht.

7. Eine Prise Glamour

"66 Millionen Geliebte" habe Macron, so schrieb eine französische Zeitung scherzhaft. Auch wenn das angesichts der Wahlbeteiligung von nur 50 Prozent großzügig übertrieben scheint: Für die Regenbogenpresse ist Macron schon jetzt eine Ikone.

Die Beziehung mit der 24 Jahre älteren Brigitte Macron garantiert ihm Schlagzeilen in den Hochglanzmagazinen wie "Gala" und "Paris Match". Eine Präsenz, die ihm nicht schadet, meint Marcus Obrecht.

"In Teilen kommt ihm die Aufmerksamkeit sicher zugute, das verleiht ihm Singularität." Allerdings komme es in Frankreich traditionell nicht gut an, wenn Politiker ihr Privatleben zu sehr in die Öffentlichkeit zerren.

"Sarkozy hat das permanent gemacht und damit Schiffbruch erlitten. Mit Ausnahmen hat Macron das gut gemacht, wenn über ihn und seine Frau geschrieben wird, dann ohne sein großes Zutun."

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