Impeachment, Corona, nun brennt es in den Metropolen - die USA schlittern von einer Krise in die nächste. Im Wahlkampf tut US-Präsident Trump nichts dafür, das Land zu einen - im Gegenteil. Auch für die jüngsten Unruhen hat er einen Schuldigen ausgemacht.
Die "New York Times" attestiert den USA schon jetzt "ein Jahr des nationalen Traumas". Dabei ist 2020 noch nicht einmal zur Hälfte vorbei.
Begonnen hatte das Jahr mit dem Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Donald Trump und der Gefahr eines Krieges mit dem Iran. Dann traf das Coronavirus die Vereinigten Staaten mit voller Wucht, erst vor wenigen Tagen überstieg die Zahl der Toten die Marke von 100.000. Die Pandemie löste wiederum eine Wirtschaftskrise aus, mehr als 40 Millionen US-Amerikaner meldeten sich arbeitslos.
Nun brechen die Narben von Rassismus und sozialer Ungerechtigkeit in den USA wieder auf. In zahlreichen Städten kommt es seit Tagen zu Unruhen. Über all dem steht ein Präsident, der das Land nicht zu einen sucht, sondern dessen Spaltung vertieft - und der im November wiedergewählt werden möchte.
Proteste dauern an
In der Nacht zum Montag erschütterten Proteste die USA in der sechsten Nacht in Folge. Ausgelöst wurden sie vom Tod des Schwarzen George Floyd nach einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis. In der Großstadt im Bundesstaat Minnesota gerieten die Demonstrationen über Nächte hinweg außer Kontrolle. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wurde in Minnesota die gesamte Nationalgarde mobilisiert.
Von der Ost- bis zur Westküste der Vereinigten Staaten verbreiteten sich die Proteste wie ein Lauffeuer in andere Metropolen, in deren Innenstädten es zu Ausschreitungen und Plünderungen kam. Neben Minnesota riefen auch zahlreiche andere Bundesstaaten ebenso wie die Hauptstadt Washington die Nationalgarde zur Hilfe, die zur Reserve der US-Streitkräfte gehört. Soldaten zogen auf.
Der Rassismus in den USA
Systematischen Rassismus haben die USA nie überwunden. Der Polizeieinsatz gegen Floyd, festgehalten auf Video, hat nun aber für einen kollektiven Aufschrei der Empörung gesorgt.
Acht Minuten und 46 Sekunden lang drückte ein weißer Polizist sein Knie auf Floyds Nacken. Floyds flehentliche Worte - "Ich kann nicht atmen" - sind zum Kampfruf der Demonstranten geworden. Sie dürften das Lebensgefühl vieler Afroamerikaner ausdrücken - nicht nur wegen der jahrhundertelangen Diskriminierung. Schwarze und andere Minderheiten sind es auch, die die Coronakrise besonders hart getroffen hat.
Trump und die Suche nach Sündenböcken
Im November steht in den USA die Präsidentenwahl an,
Für diese Krise hat der republikanische Präsident seine Sündenböcke längst ausgemacht: China und die Weltgesundheitsorganisation WHO.
Auch für die Unruhen nach Floyds Tod hat Trump nun einen Schuldigen gefunden. "Die Gewalt und der Vandalismus werden von der Antifa und anderen gewaltsamen Gruppen des linken Flügels angeführt", verkündete er am Samstag. Am Sonntag kündigte Trump per Tweet an, die USA würden die Antifa als Terrororganisation einstufen.
Wer steht hinter den Protesten?
Wie das genau funktionieren soll, ließ Trump offen. Zur antifaschistischen Bewegung bekennen sich in den USA zahlreiche linke und linksradikale Aktivisten.
Das Problem: Die Antifa hat weder Mitglieder noch eine Organisations- oder gar Führungsstruktur. Ohnehin hat Trump seinen Vorwurf durch nichts belegt.
Ein schwarzer Demonstrant - der seinen Namen nicht nennen wollte - sagte der dpa am Sonntagabend vor dem Weißen Haus, nicht die Antifa stehe hinter den Protesten. "Das sind einfach Bürger, die die Schnauze voll haben."
Auch die demokratische Kongressabgeordnete Ilhan Omar - seit langem selbst ein Ziel von Verbalattacken des Präsidenten - sagte am Sonntag, bei den Protesten gehe es um weit mehr als um den Fall Floyd.
So viele Menschen hätten Ungerechtigkeit, Brutalität und Vernachlässigung erfahren. "Die Leute haben es satt." Nötig seien landesweite Reformen. "Dieser Präsident hat den Schmerz und die Angst, die viele seiner Bürger empfinden, nicht wirklich verstanden."
Hardliner Trump
Die Unruhen nach Floyds Tod lenken von der Corona-Pandemie ab, deren Folgen in den USA noch lange nicht abzusehen sind. Trump gibt sich jetzt als Hardliner, der Recht und Ordnung durchsetzen will - notfalls mit Gewalt.
Für Empörung sorgte ein Tweet, in dem Trump dem demokratischen Gouverneur von Minnesota, Tim Walz, den Einsatz des Militärs anbot und hinzufügte: "Wenn es Schwierigkeiten gibt, werden wir die Kontrolle übernehmen, aber wenn die Plünderungen beginnen, beginnt das Schießen."
Die Zeitschrift "New Yorker" kommentierte: "Die Drohung des Präsidenten, das US-Militär auf Zivilisten schießen zu lassen, ist das Gegenteil von Führung."
Die angeblichen Schwächlinge
Es ist Teil von Trumps Wahlkampfstrategie, die Demokraten als Schwächlinge darzustellen, die der Kriminalität keinen Einhalt gebieten.
Die Ausschreitungen bestätigen das nun aus seiner Sicht. "Wie kommt es, dass all diese Orte, die sich so schlecht verteidigen, von liberalen Demokraten geführt werden?", twitterte Trump am Samstag. "Zeigen Sie Härte und kämpfen Sie." Am Sonntag schrieb der Republikaner an die Adresse von demokratischen Gouverneuren und Bürgermeistern: "Legen Sie eine härtere Gangart ein."
Er fügte hinzu: "Die Welt schaut zu und lacht Sie und den Schläfrigen Joe aus." Gemeint ist Trumps voraussichtlicher Herausforderer bei der Wahl im November, der demokratische Ex-Vizepräsident Joe Biden.
Trump
Bei den Protesten wird Trump für den Rassismus in den USA mitverantwortlich gemacht. "Der Präsident ist ein Teil davon", sagte eine schwarze Demonstrantin vor dem Weißen Haus. Ein anderer Demonstrant meinte, Trump sei natürlich nicht Ursprung des Problems. Der Präsident trage aber dazu bei, dass es nicht angegangen werde. Der Afroamerikaner - der als "US-Bürger und Patriot" zitiert werden wollte - sagte über Trumps Äußerungen zu angeblichen Hintermännern der Proteste: "Ich bin hier. Aber ich gehöre nicht zur Antifa."
Sollte Trump "einfach schweigen"?
Trump-Kritiker meinen seit langem, dass nicht Antifaschisten, sondern Rechtsextremisten die größte Bedrohung für die USA darstellten. Sie erinnern in diesen Tagen auch an Trumps Äußerungen nach einem Aufmarsch von Rechtsradikalen in Charlottesville im Bundesstaat Virginia im August 2017, bei denen eine Gegendemonstrantin getötet worden war. Trump hatte danach gesagt, es habe auf beiden Seiten "sehr gute Menschen" gegeben.
Die demokratische Bürgermeisterin von Atlanta, Keisha Lance Bottoms, meinte am Sonntag mit Blick auf Trumps Aussagen zu den jüngsten Unruhen: "Das ist wie eine Neuauflage von Charlottesville" - auch in Atlanta kam es in den vergangenen Tagen zu Ausschreitungen. "Er sollte aufhören zu reden", sagte Bottoms. "Er spricht, und er macht es schlimmer. Es gibt Zeiten, in denen man still sein sollte. Und ich wünschte, er würde einfach schweigen." (Can Merey/Christiane Jacke/dpa/mf) © dpa
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