- Das rechtliche Geschlecht kann man in Deutschland bislang nur in einem aufwendigen Verfahren ändern. Viele Betroffene empfinden es als demütigend.
- Die Initiatorinnen und Initiatoren einer Petition haben 85.000 Unterschriften für eine Änderung des Transsexuellengesetzes gesammelt.
- Die Ampel-Koalition verspricht eine Reform – und will die Geschlechtsänderung mit einem Selbstbestimmungsgesetz deutlich vereinfachen.
Die Passkontrolle am Flughafen, die Ticketkontrolle in der U-Bahn, die Beantragung eines Ausweises im Rathaus: Für die große Mehrheit der Menschheit stellen diese Alltagssituationen kein Problem dar. Anders geht das vielen Menschen, deren äußerliche Erscheinung nicht zum Geschlecht auf ihrem Ausweis passt. Der Pass und der Name darauf besagen, dass die Person ein Mann ist, sie kleidet sich aber weiblich? Nicht selten führt das zu einem Spießrutenlauf, im besten Fall zu ein paar unangenehmen Fragen, im schlimmsten Fall zu Diskriminierung oder sogar Gewalt.
Transpersonen sind Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. So wie Rick. Er galt bei der Geburt als weiblich, hat seinen Geschlechtseintrag später aber löschen lassen. "Jedem Mensch sollte es freigestellt sein, sein Geschlecht zu bestimmen", sagt der 24-Jährige, der auch im Podcast "transphilosophisch" über das Thema spricht. "Das ist nichts, worüber der Staat zu bestimmen hat."
Petition mit mehr als 85.000 Unterschriften übergeben
Rick sitzt am Donnerstagnachmittag auf der Wiese vor dem Berliner Reichstag, wo Betroffene eine Kundgebung veranstalten – und Unterschriften übergeben. Mehr als 85.000 Menschen haben die Petition #Selbstbestimmung2022 unterschrieben. Ihre Forderung: eine Abschaffung des Transsexuellengesetzes (TSG).
Das Gesetz stammt aus dem Jahr 1980 und schreibt vor, wie eine Person ihren Vornamen und ihre Geschlechtszugehörigkeit ändern kann. Nötig ist dafür ein Verfahren vor einem Amtsgericht. Ein Richter oder eine Richterin muss entscheiden, ob der Wunsch der Geschlechtsänderung glaubhaft und dauerhaft ist. Nötig sind zudem zwei Gutachten von psychologischen Sachverständigen. Ihnen müssen die Betroffenen unter anderem Fragen beantworten, die viele von ihnen als intim und grenzüberschreitend empfinden – etwa zu den eigenen sexuellen Vorlieben oder zur Art der Unterwäsche.
Dieses Verfahren empfinden viele Betroffene als nicht mehr zeitgemäß: Es sei zu teuer, zu umständlich und nicht zuletzt erniedrigend und diskriminierend. "Keine Ärzt*in, keine Gutachter*in, kein Gericht weiß besser über die Geschlechtsidentität einer Person Bescheid als sie selbst", heißt es im Text der Petition. Die Transfrau und Grünen-Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer hat aus Protest gegen das Gesetz bisher keine rechtliche Geschlechtsänderung vornehmen lassen.
Ampel-Koalition plant Selbstbestimmungsgesetz
FDP und Grüne haben im Mai 2021 im Bundestag beantragt, das TSG zu reformieren. Die damalige große Koalition lehnte das ab. Inzwischen regiert mit der Ampel jedoch eine andere Koalition – und SPD, Grüne und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag bereits beschlossen, das Transsexuellengesetz durch ein Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen.
Der Bundestagsabgeordnete Hakan Demir nimmt am Donnerstag vor dem Reichstag die Unterschriftenliste entgegen. Noch in diesem Jahr wolle man eine Gesetzesänderung auf den Weg bringen, sagt der SPD-Politiker: "Transrechte sind Menschenrechte. Und Menschenrechte sind nicht verhandelbar."
Für die Änderung des Geschlechtseintrags soll nach den Plänen der Ampel-Koalition künftig eine Selbstauskunft beim Standesamt ausreichen. Das lange und kostspielige Verfahren über die Gerichte und Gutachter wäre dann nicht mehr nötig. Die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen sollen zudem vollständig von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden, heißt es im Koalitionsvertrag.
Die Reform ist nicht unumstritten – auch wenn die Argumente und die Vehemenz der Gegnerinnen und Gegner sich unterscheiden. Die AfD hat die generelle Ablehnung des angeblichen "Gender-Wahnsinns" zu ihrem politischen Thema gemacht. Doch auch unter Frauenrechtlerinnen wird über den Umgang mit Transpersonen diskutiert. Die bekannte Feministin Alice Schwarzer zum Beispiel findet es falsch, wenn sich Betroffene schon bei "einfachen Geschlechterrollen-Irritationen" für schwerwiegende Operationen oder Hormonbehandlungen entscheiden. So steht es im Buch "Transsexualität", das Schwarzer mit herausgegeben hat und das bei Transpersonen auf große Ablehnung stößt.
Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag räumt ein, dass es Änderungsbedarf beim Transsexuellengesetz gebe. Auch das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrere Regelungen des TSG für verfassungswidrig erklärt. Die Unionsparteien lehnen eine Geschlechtsänderung per Selbstauskunft aber ab. Die Gesellschaft habe ein legitimes Interesse, dass das Geschlecht eines Menschen eindeutig und langfristig ist.
"Mit dieser Entscheidung macht es sich niemand leicht"
Wird das eigene Geschlecht mit der Gesetzesänderung also zur Nebensächlichkeit, die man nach Belieben auf dem Standesamt ändern kann, ganz wie es einem passt? Betroffene bestreiten das. Nur ein Prozent der Transpersonen würden ihren Geschlechtseintrag mehrmalig ändern lassen, sagt Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans*.
Auch Karoline Haufe, Vorstandsmitglied des Vereins "Trans-Kinder-Netz", ärgert sich über die Kritik, die Geschlechtsänderung könne in Zukunft zu einfach sein. Ihr Verein will Kindern und Jugendlichen eine Stimme verschaffen, die mit der eigenen Geschlechtsidentität hadern. "Kein Kind sucht sich das aus", sagt sie. "Dazu hängt an diesem Thema viel zu viel Diskriminierung dran. Mit dieser Entscheidung macht es sich kein Kind, macht es sich keine Familie leicht."
Verwendete Quellen:
- Kundgebung zum "TransDayofVisibility"
- Bundesregierung.de: Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP
- Change.org: #Selbstbestimmung2022 – TSG abschaffen
- Gesetze-im-internet.de: Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz - TSG)
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