Die Bundesregierung will die Änderung von Geschlecht und Vornamen erleichtern. Das neue Selbstbestimmungsgesetz soll Menschen helfen, die sich nicht mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. CSU-Politikerin Andrea Lindholz kritisiert die Pläne scharf.

Ein Interview

Der Bundestag berät am Mittwoch erstmals eine wichtige gesellschaftliche Reform der Ampel-Koalition: das neue Selbstbestimmungsgesetz. Den Geschlechtseintrag im Personenregister soll man in Zukunft einfacher ändern können. Wer zum Beispiel bei der Geburt als weiblich eingestuft wurde, sich aber selbst als Mann fühlt, soll den Eintrag und den Vornamen dann künftig selbst beim Standesamt auf "männlich" ändern lassen können. Das soll die Grundrechte von trans- und intergeschlechtlichen sowie nichtbinären Menschen stärken.

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Kritik an der Reform kommt unter anderem aus der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Deren stellvertretende Vorsitzende Andrea Lindholz (CSU) sagt im Interview mit unserer Redaktion: Die Bundesregierung schießt mit ihrem Gesetzentwurf über das Ziel hinaus.

Frau Lindholz, die Bundesregierung sieht im Selbstbestimmungsgesetz einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Grundrechte von trans- und intergeschlechtlichen Menschen. Warum sind Sie gegen das Gesetz?

Andrea Lindholz (CSU). © dpa/Wolfgang Kumm

Andrea Lindholz: Wir kritisieren, dass es damit jedem Menschen möglich sein soll, das rechtliche Geschlecht zu wechseln. Das alte Transsexuellengesetz ist in Teilen verfassungswidrig und es ist auch sinnvoll, dies zu überarbeiten. Mit diesem Gesetzentwurf schießt die Ampel aber völlig über das Ziel hinaus.

Warum?

Wenn es jedem möglich ist, auf bloßen Zuruf beim Standesamt das Geschlecht jedes Jahr zu ändern, entwertet man auch das biologische Geschlecht gänzlich. Allein das Gefühl einer Person soll darüber entscheiden, welchem Geschlecht man angehört. Das geht einfach zu weit. Bevor ich in den Bundestag gekommen bin, habe ich mich als Rechtsanwältin mit Familienrecht beschäftigt. Daher weiß ich: Solche Entscheidungen können auch nicht beim Standesamt getroffen werden, die Standesbeamten sind damit auch überfordert. Sie sind ein Fall für die Familiengerichte.

99 Prozent der Menschen werden von dieser theoretischen Möglichkeit wahrscheinlich keinen Gebrauch machen: Sein rechtliches Geschlecht wechselt man ja nicht aus Spaß. Aber für die Menschen, die sich mit dem zugewiesenen Geschlecht falsch fühlen, ist die Möglichkeit wahrscheinlich sehr wichtig.

Ja, diese Menschen brauchen ein erleichtertes Verfahren, trotzdem stellt sich die Frage: Will man das rechtliche Geschlecht praktisch aufgeben? Die Betroffenen sehen in erster Linie sich. Das ist auch vollkommen in Ordnung. Der Gesetzgeber muss aber die Gesellschaft in Gänze betrachten. Es geht hier um den personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag, der für das rechtliche Zusammenleben wichtig ist, zum Beispiel für die Identifikation einer Person.

Inwiefern?

In unserem Zusammenleben legen wir Wert auf bestimmte Identitätsmerkmale, dazu gehört auch das Geschlecht. Die Geschlechtszuordnung durch ein Gefühl zu ersetzen, ist politisch nicht tragbar. Das Bundesverfassungsgericht hat im Übrigen auch nicht gefordert, dass die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht ins Belieben gestellt werden kann. Das Bundesverfassungsgericht erachtete es als legitim objektivierbare Kriterien bei der Geschlechtszugehörigkeit anzulegen. Es gibt keinen Grund, das biologische Geschlecht aufzugeben.

Bisher ist die Änderung des Geschlechtseintrags nur möglich, wenn die Betroffenen zwei Gutachten einholen, für die sie zum Teil sehr intime Fragen beantworten zu müssen. Das empfinden die Betroffenen als erniedrigend.

Ich weiß aus meiner Erfahrung als Rechtsanwältin, dass diese Verfahren für die Betroffenen sehr schwierig sein können und viele sie als entwürdigend empfinden. Deswegen kann auch ich mir gut vorstellen, die bisherige Gesetzeslage zu ändern. Wir schlagen zum Beispiel vor, dass Betroffene in Zukunft zwei Beratungsgespräche führen müssen. Aber bei Kindern kann man nicht die gleichen Maßstäbe anlegen. Ärzte wären wohl auch eher geneigt medizinische Eingriffe vorzunehmen, wenn das rechtliche Geschlecht schon anders geregelt ist. Hier muss man aufpassen. Gesetze senden Signale aus.

Wie meinen Sie das?

Wenn das Gesetz so kommt wie geplant, können die Eltern künftig entscheiden, mit welchem Geschlecht ihr Kind im Personenregister eingetragen wird. Über 14-Jährige sollen ihr Geschlecht mit Zustimmung der Eltern selbst ändern lassen können. Dabei wissen wir doch, dass man in der Pubertät manchmal schwierige Phasen durchmacht und sich fragt: Wo gehöre ich hin? Wer bin ich? Die Bundesregierung sendet mit so einem Gesetz ein fatales Signal aus: Sie sagt damit, dass das Geschlecht praktisch frei wählbar ist. Das stimmt so nicht und das finde ich verantwortungslos.

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Andrea Lindholz: "Das ist ein massiver Eingriff in unser Zusammenleben und in den Rechtsverkehr"

Die Bundesregierung argumentiert, sie habe zahlreiche Bedenken in ihrem Gesetzentwurf ausgeräumt: Es gilt weiterhin das Hausrecht. Saunabetreiber könnten es einer Transfrau zum Beispiel immer noch verbieten, eine Frauensauna zu betreten.

Ja, das Hausrecht mag weiterhin gelten. Aber gleichzeitig gilt ja auch ein Diskriminierungsverbot. Was gilt also im Einzelfall? Der Bund verlagert die schwierigen Entscheidungen auf die Länder oder auf die Vereine. Welche Regeln für die Umkleidekabinen gelten, muss dann zum Beispiel jeder Sportverein für sich regeln. Welche Regeln gelten in der Schule? Das ist alles ungeklärt. Wenn der Gesetzgeber ein Gesetz ändert, muss er für Rechtssicherheit sorgen. Dieses Gesetz würde aber nur Rechtsunsicherheit schaffen. Außerdem würde es Missbrauch ermöglichen.

Wie könnte denn ein Beispiel für einen Missbrauch des Gesetzes aussehen?

Was passiert zum Beispiel mit einem männlichen Straftäter, der sich als Frau fühlt? Kommt er in den Strafvollzug für Männer oder in die Frauenabteilung? Solche Fälle gab es schon, das hat uns unter anderem die CDU-Justizministerin von Brandenburg, Susanne Hoffmann, berichtet. Oder nehmen wir den Asylbewerberbereich: Angenommen, ein Mann soll abgeschoben werden. Wenn er mehr als zwei Monate vor dem die Abschiebung begründenden Ereigniss, also zum Beispiel der Begehung einer Straftat, erklärt, jetzt eine Frau zu sein, kann das die Abschiebung erschweren. Er wäre dann in seinem Herkunftsstaat nicht mehr identifizierbar. Das Gesetz sollte für Transsexuelle gemacht werden, aber die Ampel-Koalition sprengt nun jeden Rahmen.

Bundesjustizminister Marco Buschmann sagt: Mit diesem Gesetz wird niemandem etwas weggenommen und niemand werde einer Gefahr ausgesetzt. Warum lassen Sie das nicht gelten?

Hier wird etwas sehr Grundsätzliches, nämlich das rechtliche Geschlecht, aufgelöst und durch die Beliebigkeit der eigenen Geschlechterwahl ersetzt. Das ist ein massiver Eingriff in unser Zusammenleben und in den Rechtsverkehr. Wenn eine Person jedes Jahr ihr Geschlecht ändern kann, welche Folgen hat das dann für das Verhältnis von Staat und Bürgern? Für die Steuern, für die Kfz-Anmeldung, für die Krankenkasse? Es hat auch Auswirkungen für die Sicherheit im Rechtsverkehr. Was die Bundesregierung vorhat, ist ein echt schlechtes Gesetz, das Rechtsunsicherheit mit sich bringt. Der Anspruch des Bundesgesetzgebers sollte ein anderer sein.

Über die Gesprächspartnerin

  • Andrea Lindholz wurde 1970 in Bonn geboren und studierte Jura in Frankfurt und Würzburg. Seit 2013 ist die Fachanwältin für Familienrecht für die CSU Mitglied im Bundestag (Wahlkreis Aschaffenburg). Seit 2021 ist sie als stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion für die Themen Recht, Inneneres, Vertriebene, Aussiedler und deutsche Minderheiten zuständig.
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