- Monatelang wurde diskutiert, nun hat das Parlament entschieden: Im Kampf gegen die Corona-Pandemie kommt zunächst keine allgemeine Impfpflicht.
- Nach einem Schlagabtausch fällt ein Kompromissvorschlag dafür durch.
- Gesundheitsminister Karl Lauterbach reagiert enttäuscht und auch die Krankenhausgesellschaft blickt düster in die Zukunft.
Der Entwurf für die Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht in Deutschland ist im Bundestag gescheitert. Den Vorschlag für eine Pflicht zunächst ab 60 Jahren lehnten am Donnerstag 378 Abgeordnete ab, dafür votierten 296 Abgeordnete und neun enthielten sich.
Für eine allgemeine Impfpflicht als Vorsorge für den Herbst hatte sich auch Kanzler
SPD, FDP und Grüne hatten Kompromiss-Entwurf vorgelegt
Um eine Mehrheit zu erreichen, hatten Abgeordnete aus SPD, FDP und Grünen noch einen Kompromiss-Entwurf vorgelegt. Dafür weichten die Befürworter einer Impfpflicht ab 18 Jahren ihren Vorschlag auf und einigten sich mit einer Abgeordnetengruppe, die für eine mögliche Impfpflicht ab 50 eintrat, auf eine gemeinsame Initiative. Dieser Vorschlag wurde als einziger ausgearbeiteter Gesetzentwurf zur Abstimmung gestellt, verfehlte aber eine Mehrheit. Zuvor waren auch mehrere Anträge gegen eine Impfpflicht abgelehnt worden.
Konkret sahen die Pläne vor, dass für alle ab 60 Jahren eine Pflicht kommen sollte, bis zum 15. Oktober über einen Impf- oder Genesenennachweis zu verfügen. Für 18- bis 59-Jährige, die nicht geimpft sind, sollte zunächst eine Beratungspflicht kommen. Über die Pflichten, Beratungs- und Impfangebote sollten die Krankenkassen bis 15. Mai die Bürger informieren.
Unions-Antrag fällt ebenfalls durch
Seit Beginn der Pandemie war eine allgemeine Impfpflicht lange über Parteigrenzen hinweg ausgeschlossen worden. Angesichts schleppender Impfungen sprachen sich Ende vergangenen Jahres Scholz und die Ministerpräsidenten doch dafür aus. Aktuell haben mindestens 63,2 Millionen Menschen oder 76 Prozent aller Einwohner den Grundschutz mit der nötigen zweiten Spritze. Die Impfkampagne ist aber nahezu zum Erliegen gekommen. Bereits seit Mitte März greift eine Impfpflicht für Beschäftigte in Kliniken und Pflegeheimen.
In der Aussprache unmittelbar vor der Abstimmung im Bundestag hatten sich Befürworter und Gegner einer allgemeinen Impfpflicht einen heftigen Schlagabtausch geliefert. Nachdem der Vorschlag für eine Impfpflicht ab 60 gescheitert war, fiel auch ein Antrag der Union durch.
Für diesen stimmten am Donnerstag 172 Abgeordnete, dagegen votierten 497 und neun Abgeordnete enthielten sich. Der Antrag forderte zunächst den Aufbau eines Impfregisters und sprach sich für einen "gestuften Impfmechanismus" aus, den Bundestag und Bundesrat bei verschärfter Pandemielage in Kraft setzen könnten. Er könnte dann auch eine Impfpflicht vorsehen, aber nur für gefährdete Bevölkerungsgruppen. Die Unionsfraktion selbst hat 197 Abgeordnete.
Lauterbach: Bekämpfung von Corona im Herbst wird nun viel schwerer
Bundesgesundheitsminister
Der FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann sagte im Sender Phoenix, man habe um einen Kompromiss gerungen. Es sei darum gegangen, nicht mit leeren Händen dazustehen. Es handle sich um einen demokratischen Prozess. Der Gesprächsfaden dürfe nun nicht abreißen. Zumindest eine Beratungspflicht müsse durchgesetzt werden. Ullmann hatte für eine Impfpflicht zunächst für Menschen ab 60 Jahren geworben.
Krankenhausgesellschaft: "Wir stehen vor einem Scherbenhaufen"
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) reagierte ebenfalls enttäuscht auf das Scheitern der Impfpflicht. Die Corona-Impfpflicht sei von den Fraktionen "zerredet und zur parteitaktischen Manövriermasse" gemacht worden, sagte der Vorstandsvorsitzende der Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, der "Rheinischen Post". "Schlussendlich stehen wir jetzt vor einem Scherbenhaufen, den alle Parteien zu verantworten haben", sagte Gaß.
Dies gelte "sowohl hinsichtlich der Impfkampagne, als auch der Akzeptanz der Bevölkerung für politische Entscheidungen". Das Scheitern der Impfpflicht lastete Gaß insbesondere der Bundesregierung an, die es versäumt habe, dem Bundestag einen eigenen mehrheitsfähigen Antrag vorzulegen.
Gaß forderte die Parteien in Bund und Ländern auf, sich schon jetzt auf die Situation im Herbst vorzubereiten. "Wir müssen dann wieder mit steigenden Infektionszahlen rechnen", sagte er. "Denn das Schlimmste wäre, wieder so unvorbereitet in eine Welle zu geraten wie im vergangenen Jahr."
Auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) zeigte sich enttäuscht von dem Abstimmungsergebnis und warnte vor den Folgen. "Damit rückt das Ziel einer notwendigen, hohen Impfquote in der Gesamtbevölkerung in weite Ferne", erklärte SoVD-Präsident Adolf Bauer.
Ähnlich äußerte sich auch der Handelsverband Deutschland. Hauptgeschäftsführer Stefan Genth erklärte am Donnerstag in Berlin: "Es ist sehr bedauerlich, dass im Bundestag keine Einigung für eine Corona-Impfpflicht erzielt werden konnte. Aus Sicht des Handels ist eine hohe Impfquote nach wie vor das vielversprechendste Mittel, um zu verhindern, dass wir im kommenden Herbst wieder vor ähnlichen Herausforderungen und Maßnahmen wie in den vergangenen beiden Jahren stehen." (dpa/afp/mbo/thp)
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