Die SPD feiert ihr 160-jähriges Bestehen. Die historischen Errungenschaften der Sozialdemokratie würdigen heute auch ihre politischen Konkurrenten. Doch das Jubiläum der ältesten Partei im Deutschen Bundestag steht auch im Zeichen der Frage: Wozu braucht es die SPD in der Zukunft?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Busch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

160 Jahre sind keine besonders runde Zahl für ein großes Jubiläum. Allerdings, sagt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert: "Wenn man ein so stolzes Alter erreicht hat, muss man die Feste feiern, wie sie fallen."

Mehr aktuelle News

Und so feiert die SPD in diesen Tagen ihr 160-jähriges Bestehen: Am 23. Mai 1863 wurde sie gegründet – damals noch als "Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein" (ADAV). 160 Jahre später ist die SPD damit die älteste der wichtigen deutschen Parteien – und zudem die aktuelle Kanzlerpartei. Bundeskanzler Olaf Scholz wird am Dienstag im Willy-Brandt-Haus zu seinen Genossinnen und Genossen sprechen. Die Feierlichkeiten sollen der Partei laut Kühnert auch helfen, sich ihrer selbst zu vergewissern: Was haben wir geleistet? Und wozu braucht es uns in der Zukunft?

CDU-Chef Friedrich Merz: "SPD ist unverzichtbarer Streiter für Gerechtigkeit und Demokratie"

Zunächst aber ein Blick zurück: Als Ferdinand Lassalle 1863 in Leipzig den ADAV aus der Taufe hob, war Sachsen noch ein Königreich und ein deutscher Nationalstaat kaum absehbar. Der ADAV, später auch die von August Bebel und Wilhelm Liebknecht angeführte Sozialdemokratische Arbeiterpartei und schließlich ab 1890 die SPD verstand sich als politische Vertretung der Arbeiterklasse. Leitend waren die Ideen von Karl Marx.

Doch wie das Land und seine Leute veränderte sich auch die Partei, so wechselhaft wie die deutsche Geschichte war auch die der SPD: In der Weimarer Republik waren die Sozialdemokraten die staatstragende Kraft und stellten mit Friedrich Ebert den Reichspräsidenten. Doch die krisengeplagte Weimarer Republik scheiterte spätestens am 23. März 1933: Der Reichstag stimmte für das Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten und besiegelte damit das Ende der Demokratie. Nur die SPD unter ihrem damaligen Vorsitzenden Otto Wels stimmte gegen das Gesetz. Viele Sozialdemokraten bezahlten dafür mit dem Leben.

Heute zollen auch politische Konkurrenten der SPD den höchsten Respekt für diese Standhaftigkeit: "Die deutschen Sozialdemokraten haben in den vergangenen 160 Jahren die dunkelsten Stunden deutscher Geschichte erlebt. Sozialdemokraten wurden verfolgt und ermordet, weil sie für ihre Sache einstanden", sagte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz gegenüber unserer Redaktion: "Die SPD ist immer wieder aufgestanden. Sie ist ein unverzichtbarer Streiter für Gerechtigkeit und Demokratie."

Die SPD rang immer wieder mit sich selbst

Nach dem Zweiten Weltkrieg schwankten die Sozialdemokraten zwischen Krisen und Wahlerfolgen, zwischen dem Festhalten an klassenkämpferischen Wurzeln und dem Ziel, zur massentauglichen Volkspartei zu werden. Zwei Personalien zeigen, wie sehr die Partei dabei auch immer wieder mit sich selbst ringen musste.

Oskar Lafontaine führte die SPD 1995 bis 1999 als Vorsitzender mit einem klaren linken Profil. Nachdem die Partei 1998 im Bund an die Macht gekommen war und sich der "Genosse der Bosse" Gerhard Schröder als Kanzler einem wirtschaftsfreundlichen Kurs verschrieben hatte, verließ Lafontaine im Streit die SPD und baute die linke Konkurrenzpartei auf. Schröder wiederum liegt mit der aktuellen Parteiführung über Kreuz – wegen seiner unverbrüchlichen Freundschaft zum russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Zu den Feierlichkeiten zum 160. Geburtstag hat die SPD-Führung alle noch lebenden früheren Vorsitzenden eingeladen. Mit zwei Ausnahmen: Lafontaine und Schröder.

Lesen Sie auch: Oskar Lafontaine im Interview: "Frage mich, ob es nicht besser gewesen wäre, in der SPD zu bleiben"

Kevin Kühnert: "Soziale Gerechtigkeit steht wieder im Mittelpunkt"

Der größte Einschnitt der vergangenen 20 Jahre war für die SPD die Agenda 2010. Mit dem unternehmerfreundlichen Reformprogramm wollte die damalige rot-grüne Bundesregierung Deutschland zum wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort sanieren. Privatisierung, Deregulierung, schlanker Staat, die Verlagerung von Risiken auf das Individuum: Das alles sei damals auch eine sozialdemokratische Erzählung geworden, räumt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ein.

Im Großen und Ganzen gelang dieses Vorhaben – allerdings zum Preis harter sozialer Einschnitte. Daran hatte die SPD lange zu knabbern. Inzwischen hat sie sich von der Erzählung gelöst. "Die klassische Politik der sozialen Gerechtigkeit steht wieder im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung", sagt Kühnert. Man spreche wieder mehr über Verteilungsfragen.

Transformation weckt Hoffnungen und Ängste

Inzwischen ist die SPD wieder an der Macht – und nicht nur das: Nach dem Wahlsieg von 2021 riefen führende Sozialdemokraten gar ein "sozialdemokratisches Jahrzehnt" aus. Bundeskanzler Olaf Scholz soll möglichst auch nach 2025 vom Kanzleramt aus das Land in die Zukunft steuern.

Allerdings hat jede Zeit ihre eigenen Herausforderungen. "Transformation" lautet das Schlagwort der 2020er-Jahre, das sowohl Hoffnungen als auch Ängste weckt. Vor allem im Osten Deutschlands, wo die SPD das Fundament für ihren Wahlsieg 2021 legte, sind viele Menschen nach aufreibenden und turbulenten Jahrzehnten veränderungsmüde.

Deutschland soll klimaneutral werden, aber ein starker Industriestandort bleiben. Die SPD will sich nicht mit Reförmchen zufriedengeben, aber gleichzeitig alle Menschen mitnehmen. Die Transformation müsse "für alle gerecht, zum Wohle der breiten Mehrheit" gelingen, sagt Kevin Kühnert. Das klingt ein bisschen wie die Quadratur des Kreises. Oder vielleicht nach der passenden Herausforderung für eine krisenerprobte Partei?

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.