• Im Februar 2011 hat Hessen das Tragen der Burka im öffentlichen Dienst verboten, Bayern ist diesem Beispiel mit einem eigenen Gesetz gefolgt.
  • Bundesweit gilt seit 2017 ein Verbot der Vollverschleierung für Beamte und Soldaten sowie bei Identitätskontrollen.
  • Der Nutzen von Verhüllungsverboten bleibt umstritten.

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In der öffentlichen Diskussion ist meist von einem "Burkaverbot" die Rede, wenn es um die Vollverschleierung geht. Gemeint sind damit Burka und Nikab.

Der Nikab genannte Gesichtsschleier lässt den Blick frei, während die Burka ein Ganzkörper-Schleier ist, der auch die Augen hinter einer Art Stoffgitter versteckt.

Burkatragen in Deutschland gesetzlich geregelt

In Bayern sind Nikab und Burka zum Beispiel an Kindergärten und Schulen verboten, aber auch im öffentlichen Dienst, an Hochschulen und in Wahllokalen. Artikel 23b des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) erlaubt es Gemeinden, die Verschleierung in Einzelfällen auch bei Vergnügungsveranstaltungen oder Massenansammlungen zu untersagen.

Bundesweit gilt seit 2017 ein Verschleierungsverbot für Beamte und Soldaten. Nach §17a, Abs. 2 des Versammlungsgesetzes ist es außerdem verboten, bei bestimmten Veranstaltungen so gekleidet zu sein, dass eine "Feststellung der Identität" verhindert wird.

Viele Gesetzte gegen Verschleierung in Europa

Auch im europäischen Ausland gibt es vielerlei gesetzliche Maßnahmen gegen die Gesichtsverschleierung.

Genaue Zahlen gibt es nicht, doch es besteht Einigkeit darüber, dass sie sehr niedrig sind. In den Niederlanden geht man von maximal 200 bis 400 Burka- oder Nikab-Trägerinnen aus. In Belgien leben etwa eine Million Muslime, nur etwa 300 Frauen verhüllen ihr Gesicht. Das französische Verbot von Burka und Nikab bezieht sich auf schätzungsweise 2.000 Vollverschleierte unter den fünf Millionen Muslimen im Land.

Verstöße werden nicht erfasst

Noch niedriger werden die Zahlen, wenn es um die Durchführung der Verbotsgesetze geht. Anfragen unserer Redaktion bei den zuständigen Ministerien in Hessen und Bayern laufen ins Leere.

Das bayerische Justizministerium etwa sieht sich nicht in der Lage, Angaben zur Zahl von Strafverfolgungen oder Verurteilungen in Bezug auf das Verschleierungsverbot zu machen: In den Justizgeschäfts- und Strafverfolgungsstatistiken wür­den Verstöße gegen die entsprechenden Vorschriften nicht gesondert ausgewiesen.

Der Jurist und Islamwissenschaftler Mathias Rohe betont im Gespräch mit unserem Portal, er sei "sehr gut vernetzt in allen Bundesländern", habe aber noch nie von einer Anklage oder gar Verurteilung im Zusammenhang mit Verhüllungsverboten gehört: "Wenn so etwas passiert, erfahre ich das – aber es gibt nichts."

Volksabstimmung in der Schweiz

Dass das Thema trotzdem und weiterhin umstritten ist, zeigt sich derzeit in der Schweiz. Dort kommt es am 7. März zu einer landesweiten Volksabstimmung – die Initiatoren fordern ein vollständiges Verbot der Verhüllung.

Doch gegen wen richtet sich diese Initiative? Der schweizerische Islamwissenschaftler Andreas Tunger-Zanetti hat herauszufinden versucht, wie viele Nikab-Trägerinnen es in der Schweiz gibt.

Er und seine Studentinnen kamen auf eine Zahl "zwischen 21 bis 37, eher weniger als mehr". Und bei diesen, so der Wissenschaftler im Gespräch mit unserem Portal, handle es sich vor allem um junge Erwachsene, die dabei seien, ihre Religiosität "auszuprobieren": Meistens sei die Verhüllung "eine individuell, jederzeit korrigierbare Entscheidung."

Noch wichtiger: Der Ganzkörperschleier hat bei den etwa 500.000 Muslimen der Schweiz keinen Rückhalt: "Die Angehörigen wissen, dass das Tragen der Nikab Schwierigkeiten bringt, und raten schon deshalb davon ab, auch die meisten übrigen Muslime sind dagegen."

Das Frauenbild hinter der Burka – "eine Katastrophe"

Dem stimmt Islamwissenschaftler Rohe zu. Er fügt an, oft seien vollverschleierte Frauen "Konvertitinnen aus anderen Religionen, die glauben, sich 150-prozentig anpassen zu müssen". Die Pflicht zum Tragen der Burka sei eine "verschwindend kleine Minderheitsmeinung unter den Muslimen" – weshalb ein Verbot keinen konkreten Nutzen habe.

"Das weibliche Rollenbild, das hinter der Burka steckt", ist in Rohes Augen "eine Katastrophe" – mit Gesetzen sei es aber nicht zu bekämpfen: "Es ist die Aufgabe der Zivilgesellschaft, damit umzugehen." Der "Provokation Burka" müsse die Gesellschaft "mit kühlem Kopf und Verstand" begegnen, man können schließlich "niemanden zur Kommunikation zwingen."

Burka-Gesetze bieten Raum für Rechtspopulismus

Im Gegenteil sieht Rohe auch eine Gefahr in der Burka-Gesetzgebung: Anderen Gesellschaftsgruppen ermöglichten die gesetzlichen Einschränkungen, mit dem Thema "ihr Diskriminierungssüppchen zu kochen". In der Tat bietet die Verschleierungsdiskussion rechtspopulistischen Gruppen immer wieder Nährstoff für fremdenfeindliche Agitation.

Die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei macht das deutlich: Im Jahr 2020 ist die Zahl der islamfeindlichen Straftaten in Deutschland auf mindestens 901 Fälle gestiegen – um knapp zwei Prozent im Vergleich zu 2019. 77mal kam es zu Anschlägen auf Moscheen oder zu Schändungen der islamischen Gotteshäuser. Offensichtlich gibt es hier – im Gegensatz zum Verschleierungsverbot – belegbare Rechtsverletzungen in hoher Zahl. Und damit wohl auch den größeren staatlichen Handlungsbedarf.

Quellen:

  • Bayerisches Gesetz über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Landesstraf- und Verordnungsgesetz – LStVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Dezember 1982.
  • Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versamm¬lungs-gesetz), zuletzt geändert durch Art. 6 G v. 30.11.2020 I 26008.
  • Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Jelpke u.a. und der Fraktion DIE LINKE. Islamfeindlichkeit und antimuslimische Straftaten im vierten Quartal 2020. BT-Drucksache 19/26078. Antwort der Bundesregierung – Schreiben vom 1.2.2021.
Über die Experten:
Prof. Dr. Mathias Rohe ist Jurist und Islamwissenschaftler. Er ist Direktor des Erlanger Zentrums für Islamische Religionslehre – der einzigen Institution dieser Art in Europa – und lehrt außerdem am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Erlangen.

Der Islamwissenschaftler Dr. Andreas Tunger-Zanetti ist Geschäftsführer des Zentrums für Religionsforschung der Universität Luzern. Er ist Mitglied im Beirat des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft und des schweizerischen Forums junger Christen und Muslime. Tunger hat im Januar 2021 beim Zürcher Verlag „Hier und Jetzt“ das Buch „Verhüllung. Die Burka-Debatte in der Schweiz“ veröffentlicht.

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