Soziale Netzwerke verschärfen in der Coronakrise ihre Vorgehensweise gegen falsche und fragwürdige Inhalte. Dabei spielt auch eine Befragung von Usern eine Rolle. US-Präsident Donald Trump bekam die neuen Regeln bei Twitter bereits zu spüren.

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Es mangelt nicht an fragwürdigen Meldungen in sozialen Netzwerken – erst recht, seit das Coronavirus die ganze Welt in Aufruhr versetzt.

Dass die größten deutschen Supermarktketten ihre Öffnungszeiten drastisch reduzieren, erwies sich ebenso als Fake News wie die Behauptung, eine Impfaktion von Bill Gates habe in Indien für 490.000 gelähmte Kinder gesorgt. 5G-Masten sollen für die Verbreitung des Virus verantwortlich sein, ein wirksames Medikament den Menschen vorenthalten werden – das sind weitere Beispiele für Verschwörungstheorien.

In den sozialen Netzwerken können sich solche Falschmeldungen rasend schnell verbreiten – und so auch im realen Leben große Schäden anrichten. Vor diesem Hintergrund haben die Branchenriesen Twitter und Facebook ihre Vorgehensweise teilweise überdacht.

Warnhinweise – auch bei Äußerungen des US-Präsidenten

Man wolle die Verbreitung von möglicherweise schädlichen und missverständlichen Inhalten begrenzen, schrieben die Twitter-Mitarbeiter Yoel Roth und Nick Pickles in einem Blog-Eintrag Mitte Mai. Der Konzern kann seitdem fragwürdige Tweets mit eigenen Informationen oder expliziten Warnhinweisen versehen. Dafür verweist das Unternehmen auf eine eigene Seite zu COVID-19 und auf die Informationen von seriösen Organisationen.

Ist von diesen Regeln auch der US-Präsident betroffen? Was zum Beispiel würde passieren, wenn Donald Trump seine Idee, Desinfektionsmittel zu injizieren, statt auf einer Pressekonferenz über sein Lieblingsmedium Twitter verbreitet hätte? Die Regeln würden für jeden gelten, stellte Yoel Roth dazu in einem Tweet klar: auch für "world leaders".

Der Beweis folgte am vergangenen Dienstag. Einen Tweet des Präsidenten, in dem er von angeblichem Betrug in Kalifornien bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen sprach, versah das Unternehmen mit dem Hinweis: Trump stelle in diesem Fall unbewiesene Behauptungen auf.

Nutzer finden: Eher Kommentieren als Löschen

Twitter kündigt auch die Löschung von Falschinformationen als möglichen Weg an – allerdings ohne genauer zu erklären, unter welchen Umständen das passieren kann. Kommentieren und Warnen statt Löschen – das scheint die Twitter-Devise im Umgang mit fragwürdigen Informationen zu sein.

Das Unternehmen teilt auf Anfrage unserer Redaktion mit: Aus Befragungen wisse man, dass Nutzerinnen und Nutzer wollen, dass Twitter sich einschaltet. Sie wollten aber nicht, dass es darüber entscheidet, was wahr und falsch ist.

"Angesichts der weltweiten Verbreitung von Falschinformationen und fragwürdigen Aussagen zu 5G und COVID-19 konzentrieren wir uns darauf, die Informationen zu diesem Thema zu kennzeichnen", teilt ein Twitter-Sprecher weiter mit. "Zunächst werden wir uns auf COVID-19 fokussieren." Wie viele Warnhinweise vergeben oder wie viele Tweets gelöscht werden – dazu macht Twitter keine Angaben.

Auch wenn noch viele Fragen offen sind: Die Vorgehensweise ist neu. Bisher hatten die Betreiber der sozialen Netzwerke die Verantwortung für Inhalte oft abgelehnt. Nun haben die besonderen Umstände der Coronakrise offenbar zu einem Umdenken geführt.

Die Autorin und Fakten-Checkerin Karolin Schwarz sagt im Gespräch mit unserer Redaktion, dass Social-Media-Plattformen bereits seit Jahren um den richtigen Umgang mit Hass und gefährlichen Falschmeldungen ringen. Allerdings gebe es noch keine einheitliche Strategie. "Ohnehin reagieren die Plattformen meist nur auf öffentlichen Druck."

Facebook arbeitet mit Faktenprüfern

Facebook löscht eigenen Angaben zufolge Informationen, die eine direkte Gefahr für die Gesundheit darstellen und daher von den Gesundheitsbehörden gemeldet werden. "Bereits seit 2018 entfernen wir solche Inhalte – etwa Falschinformationen über Masern in Samoa, die einen Ausbruch der Krankheit hätten begünstigen können", erklärt ein Sprecher auf Anfrage unserer Redaktion. "Seit Januar haben wir diese Richtlinien auch auf Falschinformationen über COVID-19 angewandt."

Bei Verschwörungstheorien, die keine direkte Gesundheitsgefahr darstellen, arbeite man mit Faktenprüfern zusammen. Dafür erhält Facebook in Deutschland Unterstützung von der Recherche-Plattform Correctiv und der Deutschen Presse-Agentur. "Sobald ein Beitrag von den Faktenprüfern angezweifelt und als falsch markiert wird, verringern wir dessen Verbreitung im News Feed, sodass weniger Leute ihn sehen, und zeigen Warnhinweise sowie weiterführende Informationen an", so der Sprecher. "Wir benachrichtigen zudem Personen, die diese Inhalte bereits geteilt haben oder dies beabsichtigen."

50 Millionen Beiträge allein im April betroffen

Eigenen Angaben zufolge hat Facebook im April weltweit Markierungen und Warnungen zu rund 50 Millionen Beiträgen im Zusammenhang mit COVID-19 angezeigt. Die Bemühungen gegen Fake News würden auch die Unternehmenstöchter Messenger, WhatsApp und Instagram betreffen. Bei Instagram könne man zum Beispiel Hashtags einschränken oder blockieren, die zur Verbreitung von Falschinformationen verwendet werden. "Wir entfernen außerdem Benutzerkonten mit COVID-19-Bezug aus dem Bereich Empfehlungen und arbeiten daran, Inhalte mit COVID-19-Bezug aus dem Bereich Entdecken zu entfernen, sofern sie nicht von einer glaubwürdigen Gesundheitsorganisation veröffentlicht wurden", so der Sprecher.

"Anstrengungen reichen nicht aus"

Was die neuen Twitter-Regeln angeht, müsse man abwarten, in welcher Größenordnung und in wie vielen Ländern Falschinformationen gekennzeichnet werden, sagt Expertin Karolin Schwarz. "Insgesamt reichen die bisherigen Anstrengungen nicht aus und sind oft nicht transparent genug." Andere wichtige Plattformen wie YouTube und TikTok würden zudem "noch erheblich zögern, neue Regeln oder Funktionen einzuführen".

Gegenwind für seine Regeln ist Twitter trotzdem schon gewiss. Nachdem sein Tweet gekennzeichnet worden war, schimpfte Donald Trump, das Unternehmen mische sich in den Wahlkampf ein. Er wolle die sozialen Netzwerke künftig regulieren oder sogar schließen, drohte der US-Präsident am Mittwoch.

Über die Expertin: Karolin Schwarz arbeitet als freie Autorin, Journalistin, Fakten-Checkerin und Trainerin – unter anderem für das ARD-Magazin Kontraste und Buzzfeed. Im Februar 2020 erschien ihr Buch "Hasskrieger: Der neue globale Rechtsextremismus".

Verwendete Quellen:

  • Facebook, Pressestelle
  • Twitter, Pressestelle
  • Gespräch mit Karolin Schwarz – Cyber&Co
  • CNN Business: Trump threatens to "regulate" social media platforms. His options may be limited
  • Twitter-Blog: Updating our Approach to Misleading Information
  • Twitter-Account von Yoel Roth
  • Twitter-Account von Donald Trump

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