- Dieser Tage ist die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner nirgendwo so hoch wie im Nordosten Bayerns.
- In der Landeshauptstadt München und weiteren bayerischen Großstädten ist zugleich der Wert unter 50 gesunken
- Wie kann das sein? Warum gehen in einem Bundesland mit überall identischen Regeln die Inzidenz-Werte so weit auseinander?
Die Corona-Kurve biegt sich wieder nach unten, die positive Tendenz ist augenscheinlich. So lag die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz, laut dem Robert-Koch-Institut am Freitagmorgen bei 79,9 für ganz Deutschland.
Ihr bisheriger Höchststand war am 22. Dezember mit 197,6 erreicht worden.
Die meisten Bundesländer verzeichnen laut RKI derzeit sinkende Sieben-Tages-Inzidenzen. So auch in Bayern. Doch fünf der zehn Corona-Hotspot-Regionen Deutschlands liegen im Freistaat, darunter mit den Landkreisen Tirschenreuth (Sieben-Tage-Inzidenz: 363,7), Hof (337,5; sowie die kreisfreie Stadt Hof mit 327,3 selbst) und Wunsiedel (287,7) die Kreise mit den bundesweit höchsten Sieben-Tage-Inzidenzen.
Zugleich ist die Landeshauptstadt München (46,9) mittlerweile unter den Wert 50 gesunken, ebenso andere bayerische Großstädte wie Ingolstadt (34,2), Regensburg (30,0) und Erlangen (27,5).
Aber wie kann das sein? Warum gehen in einem Bundesland mit identischen Regeln – darunter besonders scharfe wie eine FFP2-Maskenpflicht in Geschäften und im Nahverkehr – die Inzidenz-Werte so weit auseinander?
Drei mögliche Ursachen für höhere Infektionszahlen im Nordosten Bayerns
Die Unterschiede haben wenig bis gar nichts mit einfachen Erklärungen zu tun. Wie dem Klischee der pflichtbewussten Städter und der ignoranten Landbewohner.
"Ein systematischer Unterschied zwischen den einwohnerbezogenen COVID-19-Fallzahlen in Stadt und Land kann nicht festgestellt werden", schrieb das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung bereits im August 2020 in einer Analyse zur regionalen Ausbreitung des Coronavirus. Langzeitdaten des Instituts für ganz Deutschland zeigen: Daran hat sich auch in der zweiten Welle nichts geändert.
Folglich sind die Ursachen weniger strukturell denn vielmehr individuell: Für die derzeit hohen Infektionszahlen im Nordosten Bayerns sind wohl vor allem drei Faktoren verantwortlich:
- Virusmutation: Sowohl die Landkreise Tirschenreuth, Hof und Wunsiedel als auch die Stadt Hof weisen auf ihren Websites darauf hin, dass bei auffällig vielen Neuinfektionen – bis zu 50 Prozent – Virusmutationen festgestellt wurden, vor allem der Ableger B.1.1.7. Diese Variante aus Großbritannien gilt Studien zufolge als besonders ansteckend.
- Lokale Ausbrüche: "Spürbar ist, dass sich die Fälle verlagern von älteren Personengruppen in Heimen hin zu jüngeren Personen im Arbeitsverhältnis", sagte der Tirschenreuther Landrat Roland Grillmeier (CSU) dem Lokalsender TV Aktuell. Der Landkreis beobachte ein "diffuses Ausbruchsgeschehen" in Betrieben im gesamten Landkreis. Dazu kommt: In der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Tirschenreuth gab es einen Corona-Ausbruch. 44 der am Mittwoch vermeldeten insgesamt 83 positiv getesteten Menschen lebten in der Unterkunft, zuvor hatten die Gesundheitsbehörden alle Bewohner testen lassen. Die gesamte Einrichtung steht mittlerweile unter Quarantäne. Und im Zusammenhang mit einer Grundschule im Hofer Land wurden bis Donnerstag sieben Fälle bekannt.
- Grenznähe: Alle in Bayern derzeit vom Coronavirus besonders betroffenen Regionen grenzen an Tschechien. "Die Zusammenhänge zu unserer Nachbarregion sind klar erkennbar", sagte der Hofer Landrat Oliver Bär (CSU). "Die hohen Inzidenzwerte, beispielsweise in unserer Nachbarregion Eger mit einer 7-Tage-Inzidenz von über 1.000, haben sich insbesondere auch auf den Eintrag nach Deutschland bemerkbar gemacht". Zudem stehen laut dem örtlichen Gesundheitsamt viele Fälle mit Virusmutation im Zusammenhang mit Unternehmen, in denen tschechische Pendler arbeiten.
Theorien, dass die Grenzgänger aus Tschechien für die hohen Fallzahlen in Ostbayern verantwortlich sein könnten, stoßen bei Experten indes auf Skepsis. "Mir scheint das keine reale Möglichkeit zu sein", sagt der Leiter des Biologie-Zentrums der Akademie der Wissenschaften in Prag, Professor Libor Grubhoffer.
Die Pendler hielten sich überwiegend im unmittelbaren Grenzgebiet auf. "Es ist zweifellos möglich, dass sie an einer sporadischen Einschleppung der Infektion beteiligt sind, aber es dürfte kein Krankheitsimport von grundlegender epidemiologischer Bedeutung sein", erläutert Grubhoffer. Wie für andere Einreisende aus Hochrisikogebieten gilt auch für Pendler seit dem 24. Januar eine Testpflicht.
Bis zu 23.000 Tschechen pendeln nach Bayern
Jeden Tag fahren Tausende Berufspendlerinnen und -pendler aus Tschechien nach Bayern. Sie arbeiten als Ärztinnen und Pfleger im Gesundheitswesen, als Handwerker, bei der Müllabfuhr oder bei Reinigungsdiensten. Viele Branchen Bayern – wie auch in Sachsen – sind auf die Arbeitskräfte aus Tschechien angewiesen. Ganz vorn steht das Gesundheitswesen inklusive des Pflegebereichs.
Nach Bayern würden normalerweise mehr als 23.000 Tschechen pendeln. "Momentan können wir davon etwa zehn Prozent abziehen, aber die meisten kommen nach wie vor", berichtet Richard Brunner, Leiter der IHK im oberpfälzischen Cham.
Seit Beginn der Pandemie sind im östlichen Nachbarland mehr als 16.000 Corona-Infizierte gestorben. Im europaweiten Vergleich liegt Tschechien laut der EU-Agentur ECDC mit knapp 897 Neuinfektionen binnen 14 Tagen je 100.000 Einwohner im Spitzenfeld. In Deutschland lag dieser Wert zuletzt bei 285 (Stand: 4. Februar).
Dabei sind diese Werte wie auch die Zahlen des RKI vor allem eines: eine Momentaufnahme.
Verwendete Quellen:
- Mitteilungen und Informationen der Landkreise Tirschenreuth, Hof und Wunsiedel sowie der kreisfreien Stadt Hof
- TV Aktuell: "Tirschenreuth: Landrat Roland Grillmeier zur aktuellen Situation im Landkreis"
- Material der Deutschen Presse-Agentur
- Corona-Dashboard des Robert-Koch-Instituts
- Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung: "Corona Regional"
- European Centre for Disease Prevention and Control: "COVID-19 situation update for the EU/EEA, as of week 4, updated 4 February 2021"
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