- Die Gefahr der Verbreitung von Infektionskrankheiten wie COVID-19 ist in Flüchtlingsunterkünften besonders groß.
- Die Impfkampagnen schreiten nach dem Empfinden vieler gerade in diesen Einrichtungen nicht schnell genug voran.
- Wir haben in den Bundesländern nachgefragt: Sowohl der Impffortschritt als auch die Aufklärungskampagnen sind regional sehr unterschiedlich.
Die Corona-Impfungen in der höchsten Prioritätsgruppe sind in Deutschland weit fortgeschritten. So sind die Bewohner von Pflegeeinrichtungen und Altenheimen zum größten Teil vollständig immunisiert. Zur nächsten Prioritätsgruppe 2 zählen auch Geflüchtete, die in Sammelunterkünften wohnen.
Durch das enge Zusammenleben vieler Menschen in solchen Gemeinschaftseinrichtungen können sich Infektionskrankheiten schnell verbreiten. Darum gehen nach dem Empfinden vieler die Impfungen der Bewohner von Flüchtlingsunterkünften gegen COVID-19 nicht schnell genug voran.
Geflüchtete bei Impfkampagnen nicht vernachlässigen
Vertreter von Flüchtlingsorganisationen und Oppositionspolitiker wie Berivan Aymaz von den NRW-Grünen und Florian von Brunn von der bayerischen SPD warfen den jeweiligen Landesregierungen vor, Geflüchtete in den Impfkampagnen zu vernachlässigen.
Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass Sammelunterkünfte für Flüchtlinge anders behandelt werden als andere Einrichtungen derselben Prioritätsgruppe. Asylbewerber-Unterkünfte würden aktuell ebenso von den mobilen Impfteams besucht wie beispielsweise "Wohnheime der Eingliederungshilfe, Werkstätten für behinderte Menschen und Einrichtungen der Psychiatrie", heißt es etwa vom Ministerium für Soziales und Integration in Baden-Württemberg auf Anfrage unserer Redaktion.
Asylbewerber bei Impfungen meist nicht gesondert erfasst
Wie weit der Impffortschritt konkret in Bezug auf Geflüchtete in den einzelnen Bundesländern ist, lässt sich jedoch nur schwer genau beziffern. "Da das Merkmal 'Asylbewerber' bei der Impfung nicht erfasst wird, ist hier keine repräsentative Angabe möglich", teilte uns etwa das Bayerische Innenministerium mit.
Die Impfverordnung des Bundes spricht zusammenfassend von "Personen, die insbesondere in Flüchtlings- und Obdachloseneinrichtungen oder in sonstigen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe oder in Frauenhäusern untergebracht oder tätig sind". Auch die Parameter für die Meldungen an das Robert-Koch-Institut sehen keine Unterscheidung nach Nationalität oder Aufenthaltsstatus vor.
Einige Bundesländer erfassen detailliertere Angaben, um eine genauere Planung und Organisation ihrer Impfkampagnen zu ermöglichen. Doch hier beziehen sich die zentral gesammelten Informationen häufig nur auf die Aufnahmeeinrichtungen der Länder selbst. Unterkünfte, die in der Verantwortung der Kommunen stehen, sind darin nicht berücksichtigt.
In den Bundesländern, aus denen Zahlen bekannt sind, sind die Corona-Impfkampagnen aktuell unterschiedlich weit fortgeschritten, wie die folgenden Beispiele verdeutlichen:
Nordrhein-Westfalen
Nach Angaben des Sozialministeriums von Nordrhein-Westfalen haben mit Stichtag 3. Mai in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes 349 Bewohnerinnen und Bewohner vor Ort eine Erstimpfung erhalten. Das entspreche 7,2 Prozent der betreffenden Gruppe.
Möglicherweise hätten jedoch mehr Bewohner bereits ein Impfangebot wahrgenommen. Sofern am Ende einer Impfaktion der Kreise Impfstoff übrig bleibe, seien die Teams nämlich angehalten, diese "niedrigschwellig für Personen mit höchster oder hoher Impfpriorität zu verwenden." Dazu zählen auch Geflüchtete aus den entsprechenden Einrichtungen.
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Niedersachsen
In Niedersachsen wurden in vier von sieben Aufnahmeeinrichtungen des Landes Impfungen vorgenommen. Mit Stand vom 4. Mai haben dort 122 Personen die Erstimpfung erhalten. Für die übrigen Standorte und Außenstellen war laut Auskunft der Landesaufnahmebehörde noch nicht ausreichend Impfstoff verfügbar.
Ab nächster Woche beginnt Niedersachsen damit, die Coronaschutzimpfung in die Erstuntersuchung in den Ankunftszentren zu integrieren. Unmittelbar nach der Ankunft werde dann "im ärztlichen Gespräch über die Impfung aufgeklärt und bei Bereitschaft die Erstimpfung durchgeführt".
Rheinland-Pfalz
In Rheinland-Pfalz sollen die COVID-19-Impfungen in den Aufnahmeeinrichtungen erst ab dem 10. Mai beginnen. Nach den ursprünglichen Planungen hätten an allen Standorten bereits "umfangreiche Impfungen sowohl der Bewohnerinnen und Bewohner als auch der Mitarbeitenden stattfinden sollen", informierte uns das Integrationsministerium des Landes.
Die Verzögerung habe sich vor allem durch die geänderten Impfempfehlungen bezüglich des Impfstoffs von AstraZeneca und den Lieferstopp für Dosen von Johnson&Johnson ergeben.
Länder bemühen sich um Aufklärung
Der entscheidende Faktor für den nur langsamen Fortschritt der Impfkampagnen in Flüchtlingsunterkünften ist laut Auskunft der Länder aktuell der Impfstoffmangel. Laut Flüchtlingsrat NRW sei jedoch teilweise auch die Impfbereitschaft unter Flüchtlingen sehr gering. Es seien daher mehr verlässliche und mehrsprachige Informationen von behördlicher Seite notwendig.
Die meisten Länder haben bislang keine Angaben zur Impfbereitschaft in belastbarem Umfang erfasst. Lediglich die Landesaufnahmebehörde Niedersachsens konnte uns konkrete Daten nennen. Bei den Geflüchteten, die bereits ein Impfangebot erhalten hätten, liege die Impfbereitschaft bei rund 20 Prozent.
Als Hauptargumente gegen eine Impfung würden demnach "vor allem die Erfahrung mit milden Krankheitsverläufen genannt, oder aber auch, dass weniger Vertrauen in die Impfstoffe aufgrund der schnellen Entwicklung und Zulassung besteht".
Das Informationsangebot ist in den Ländern momentan ebenfalls unterschiedlich breit. Der Flüchtlingsrat sieht etwa in Nordrhein-Westfalen großen Nachholbedarf. Hessen hat dagegen bereits ein breites Spektrum an Informationsformaten in zahlreichen Sprachen aufgestellt.
Verwendete Quellen:
- Bundesregierung: Diese Reihenfolge gilt bei der Impfung
- Robert-Koch-Institut: Digitales Impfquotenmonitoring zur COVID-19-Impfung
Auskünfte der folgenden Stellen auf Anfrage unserer Redaktion:
- Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen
- Flüchtlingsrat NRW e.V.
- Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie
- Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration
- Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz
- Landesaufnahmebehörde Niedersachsen
- Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg
- Hessisches Ministerium des Innern und für Sport
- Hessisches Ministerium für Soziales und Integration
- Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren Schleswig-Holstein
- Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Berlin
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