- Vor kurzem führte Spanien als erstes Land weltweit Tempo 30 innerhalb von Ortschaften ein.
- Welche Folgen hat so ein Tempolimit für den Verkehr und für die Lebensqualität?
- Verkehrsexperten ziehen ein erstes Fazit.
Mit einzelnen Modellversuchen hatten die Spanier bereits gute Erfahrungen gemacht - nun führte das Land in allen Städten eine allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h ein. Ausgenommen sind lediglich Straßen mit mehreren Spuren für eine Richtung. Es ist eine weltweit einzigartige Regelung.
Fast in allen Ländern Europas gilt innerorts Tempo 50. Allerdings gibt es regionale Ausnahmen. In Frankreich etwa können Städte und Gemeinden über Verkehrsberuhigungsmaßnahmen entscheiden. 2005 gründete sich dort ein Netzwerk mit dem Namen "Ville 30". Mittelgroße Städte wie Angers oder Fontenay-aux-Roses setzen seither flächendeckend Tempo 30 auf ihren Straßen um. Mit Lyon ist sogar eine Großstadt dabei. Und auch in Paris laufen Planungen, im kompletten Stadtkern den Verkehr auf Tempo 30 zu begrenzen.
Wäre also ein generelles Tempo-30-Gebot auch eine Option für den innerstädtischen Verkehr in Deutschland? "Grundsätzlich wäre diese Maßnahme auch auf Deutschland übertragbar", sagt Christian Winkler vom Institut für Verkehrsforschung in Berlin. Allerdings sollte "ein gesellschaftlicher Dialog, in dem Argumente für und wider ein solches Tempolimit ausgetauscht werden, initiiert werden, um bei einer Umsetzung der Maßnahme einen möglichst breiten Konsens darüber zu haben."
Warum ein generelles Tempolimit bisher an der Politik scheitert
In Deutschland wird der Verkehr streckenbezogen geregelt. Das heißt, ein Tempolimit wird meist nur für einzelne Abschnitte einer Straße genehmigt. In Berlin scheiterte etwa ein Vorstoß, Tempo 30 im kompletten Bezirk Pankow umzusetzen an der Politik. Die Senatsverwaltung wies darauf hin, dass Tempo 30 laut Straßenverkehrsordnung nur ausnahms- und abschnittsweise mit Begründung verordnet werden könne, wie der Tagesspiegel berichtete.
Genau das will der ökologische Verkehrsclub (VCD) ändern. Denn ein generelles Tempolimit von 30 km/h hätte fast nur Vorteile, wie Anika Meenken, Sprecherin des VCD, betont. Vor allem wäre da die erhöhte Verkehrssicherheit zu nennen, die auch in Spanien ein wesentliches Argument war.
"Durch Tempo 30 wird nachweislich die Anzahl als auch die Schwere der Unfälle reduziert", sagt Meenken. Untersuchungen hätten gezeigt, dass das Todesrisiko bei Tempo 30 um den Faktor Drei niedriger ist. "Vor allem Fußgänger, Ältere und Kinder werden besonders geschützt", betont Meenken.
Berechnungen zeigen, wie Tempo 30 die Straßen sicherer machen könnte
Die Gründe hierfür liegen in dem verringerten Reaktionsweg und dem kürzeren Bremsweg des Autos. Laut einer Studie des Umweltbundesamtes beträgt der Reaktionsweg bei Tempo 30 rund 8,3 Meter. Reaktionsweg bezeichnet dabei die Strecke, die ein Auto auf der Straße zwischen der Wahrnehmung einer Gefahr und dem Einleiten des Bremsvorgangs zurücklegt. Bei Tempo 50 beträgt dieser Weg 13,9 Meter.
Der Bremsweg wiederum beträgt bei Tempo 30 nur fünf Meter, bei Tempo 50 sind es bereits 13,8 Meter. Das ergibt einen kompletten Anhalteweg von 13,3 Metern bei Tempo 30. Bei Tempo 50 sind es 27,7 Meter, also mehr als das Doppelte.
Auch Christian Winkler spricht von einer Erhöhung der Verkehrssicherheit, "unter anderem durch die damit verbundene Homogenisierung der Geschwindigkeiten der verschiedenen Verkehrsarten, die sich die Straße teilen. Also neben Lkw, Pkw und Bussen vor allem Fahrräder."
Durch die geringen Geschwindigkeitsunterschiede fließt der Verkehr besser, der Verkehrsablauf wird flüssiger und entspannter. Das zeigt auch die Untersuchung des Umweltbundesamtes. Dort heißt es: "Messfahrten in Berlin ergaben tagsüber in den Tempo-30-Abschnitten eine deutlich bessere Homogenität des Verkehrsflusses als in den Tempo-50-Abschnitten."
Lesen Sie auch: Raser für fast die Hälfte aller Verkehrstoten verantwortlich
Wie das Tempolimit Platz auf den Straßen sparen kann
Das liege auch daran, dass der einzelne PKW weniger Platz beanspruche, sagt Anika Meenken. Durch die erhöhten Anhaltewege beanspruche ein PKW bei Tempo 30 im Schnitt 65,2 Quadratmeter Platz. Bei Tempo 50 erhöht sich der Raumanspruch im Straßenverkehr auf 140 Quadratmeter. Gerade angesichts des mangelnden Raums in den Städten ein wichtiges Argument, betont Meenken.
Einen weiteren Pluspunkt sieht Meenken in der Reduzierung des Verkehrslärms auf den Straßen. "Mit Tempo 30 verändert sich der Lärm um 1 bis 2 Dezibel." Was nach wenig klingt, hat große Auswirkungen. "Das menschliche Ohr nimmt dies so wahr, als ob nur noch die Hälfte an Verkehr unterwegs wäre", erklärt Meenken.
Außerdem reduziere sich der Ausstoß von Schadstoffen im Verkehr, wie etwa Stickstoffdioxide oder Feinstaub. Laut Umweltbundesamt liegen zwar nur sehr wenige Untersuchungen vor, die nicht auf Laborbedingungen fußen. Allerdings reduziere sich die Belastung, "wenn es gelingt, die Qualität des Verkehrsflusses beizubehalten oder zu verbessern."
Ampeln sind "Flaschenhals" der Straßen
Könnte es jedoch sein, dass die Straßen durch die langsamere Geschwindigkeit stärker verstopfen? Dass ein Tempolimit am Ende sogar eine höhere Verkehrsbelastung erzeugt?
"Tempo 30 verursacht keinen Stau, sondern die Menge der Fahrzeuge", erklärt Anika Meenken. Das belegt auch die Untersuchung des Umweltbundesamtes. Dort heißt es: "Die Leistungsfähigkeit von innerstädtischen Hauptverkehrsstraßen wird maßgeblich von den lichtsignalgeregelten Knotenpunkten (Ampelkreuzungen) bestimmt. Sie sind der ‘Flaschenhals’ einer Straße."
Laut Umweltbundesamt benötigt ein Fahrzeug bei Konstantfahrt mit 50 km/h exakt 7,2 Sekunden für einen 100 Meter langen Straßenabschnitt und 12,0 Sekunden mit 30 km/h. Allerdings kommen Fahrten mit konstanter Geschwindigkeit in der Realität so gut wie nie vor.
Weniger Auto – mehr Lebensqualität?
Christian Winkler sieht jedoch auch Positives daran, wenn sich Reisezeiten verlängern: "Die Nutzung des Pkw würde durch die verringerten Geschwindigkeiten an Attraktivität verlieren und Alternativen wie der öffentliche Verkehr davon profitieren. Ein solches Tempolimit könnte damit ein Baustein für die Verkehrswende in Städten sein." Und damit zu mehr Lebensqualität in den Städten führen, wie Anika Meenken betont.
Eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h erfordert sicher etwas Umgewöhnung im Verkehr. Da stellt sich die Frage, ob sich Autofahrer überhaupt an ein solches Tempolimit hielten.
"Hier bedarf es ganz sicher einer Gewöhnung an die verringerten Geschwindigkeiten", sagt Christian Winkler. "Deren Einhaltung müsste, wie zum Beispiel in Spanien, durch verstärkte Kontrollen überprüft werden."
Tatsächlich ist die Überschreitungshäufigkeit bei Tempo 30 in der Regel höher als bei Tempo 50, wie das Umweltbundesamt feststellt. Trotzdem nehme die mittlere Geschwindigkeit um bis zu 16 km/h ab.
Tempo 30: Umweltbundesamt sieht überwiegend positive Wirkungen
Das Umweltbundesamt zieht deshalb auch ein positives Fazit in seiner Untersuchung – trotz oft noch mangelhafter Datenbasis: "Nach jetziger Erkenntnislage haben die bestehenden Tempo-30-Regelungen an Hauptverkehrsstraßen überwiegend positive Wirkungen."
Wäre die Zeit also reif für ein generelles Tempolimit wie in Spanien? "Ein erster Schritt dorthin könnte sein, dass man den Kommunen das Recht gibt, die Umsetzung in die eigene Hand zu nehmen", sagt Anika Meenken.
Christian Winkler sieht die Diskussion in einer Entwicklung: "In der Vergangenheit waren entsprechende Maßnahmen sehr unpopulär in der Bevölkerung. Durch die zunehmende Debatte und Erkenntnis der Notwendigkeit für eine Verkehrswende könnte sich dies aber in Zukunft ändern."
- Dr.-Ing. Christian Winkler ist kommissarischer Abteilungsleiter Personenverkehr am Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR)
- Anika Meenken ist Sprecherin für Radverkehr und Mobilitätsbildung des ökologischen Verkehrsclubs VCD e.V.
Verwendete Quellen:
- Umweltbundesamt: Wirkungen von Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen
- ökologischer Verkehrsclub VCD: Tempo 30 für mehr Leben!
- polis-magazin.com: Tempo 30 – Spanien führt landesweit strenges Tempolimit ein
- 30kmh.eu: FR Trendsetter-Städte für 30 km/h in Frankreich
- green-zones.eu: Paris wird Tempo-30-Zone
- tagesspiegel.de: Senat hält Tempo-30-Beschluss in Pankow für "nicht umsetzbar"
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.