• Der Amazonas-Regenwald ist das größte Tropenwald-Gebiet der Erde und steckt voller Leben. Aber er ist nach wie vor bedroht.
  • Im Gespräch erklärt Wald-Expertin Gesche Jürgens, warum der Amazonas-Regenwald so wichtig für das globale Klima ist und wie man ihn auch von Europa aus schützen kann.
Ein Interview

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Der Amazonas-Regenwald erstreckt sich über insgesamt neun Länder, darunter Peru, Kolumbien, Venezuela und Bolivien - der größte Teil des Waldes liegt jedoch in Brasilien. Dass er auch als die Grüne Lunge der Erde bezeichnet wird, hat einen guten Grund. Welchen, wodurch diese Grüne Lunge bedroht wird und was man dagegen tun kann, erklärt Greenpeace-Kampaignerin und Regenwald-Expertin Gesche Jürgens im Interview.

Frau Jürgens, Sie haben selbst den Amazonas-Regenwald besucht. Was erwartet einen, wenn man den Regenwald betritt?

Gesche Jürgens: Was einen grundsätzlich erwartet, ist natürlich richtig viel Wald und je nachdem, wo man ist, auch richtig viel Wasser. Vor allem in den Teilen, die von Flüssen durchzogen sind und regelmäßig überschwemmt werden. Und obwohl man weiß, dass es der artenreichste Tropenwald der Erde ist, sieht man relativ wenig Tiere. Die Artenvielfalt merkt man eher durch die Geräuschkulisse.

So ein Regenwald ist total laut. Wenn man durch den Wald läuft, hat man ein Brummen und Summen und Fiepen und Zwitschern auf den Ohren. Aber es gibt nicht den einen Amazonas-Regenwald. Der Amazonas ist ja ein ganz diverses Ökosystem, in dem es auch unterschiedliche Waldtypen gibt. Daher kommt es ein bisschen darauf an, wo man hinfährt.

Europäische Wälder deutlich artenärmer

Was ist der Unterschied zu anderen Wäldern, zum Beispiel zu einem Wald in Mitteleuropa?

In Europa haben wir ja leider kaum noch richtige Urwälder. Die meisten Wälder, in denen wir hier in Deutschland so spazieren gehen, sind einfach aufgeforstete Plantagen, häufig auch noch Monokulturen. Trotzdem haben wir hier auch ganz tolle Waldökosysteme. Im Vergleich zum Amazonas sind sie nach aktuellem Wissensstand deutlich artenärmer, auch weil sie jünger sind. Aber sie sind genauso wichtig und brauchen viel mehr Schutz. Klimatisch gibt es natürlich auch einen Unterschied: Die Laubbäume in Deutschland verlieren im Herbst ihre Blätter und im Amazonas nicht.

Wem "gehört" denn der Amazonas-Regenwald?

Etwa 43 Prozent des Regenwaldes dort sind staatliche Gebiete, die aber teilweise Schutzgebiete oder in indigener Hand sind. Das heißt, die Indigenen haben hier eigentlich den territorialen Anspruch, weil sie dort auch schon viel länger sind. Dann sind noch etwa 20 Prozent des Amazonas-Regenwaldes öffentlich, haben aber keinen Schutzstatus. Dort herrschen Wild-West-Verhältnisse: Wer am schnellsten den Wald zerstört und Rinder darauf stellt, kann ihn behalten – so ganz grob gesagt. Leider passiert das auch.

Man kann sich in Brasilien über ein Landregister selber als Besitzer eines Stücks Land registrieren und das passiert zunehmend auch in indigenen Gebieten. Oft wissen die Indigenen, die dort teilweise in freiwilliger Isolation leben, gar nicht, dass jemand einen Anspruch auf das Land erhebt und dort einfach abholzt. Nur vier Prozent des Landes sind in privatem Besitz mit gesicherten Landtiteln. Für den Großteil, etwa 32 Prozent, gibt es keine. Die Frage der Besitzverhältnisse ist also ganz sensibel und schwierig.

Der Amazonas-Regenwald als "Klimaanlage" für Südamerika

Worin liegt die Bedeutung des Amazonas-Regenwalds für das globale Klima?

Zum einen ist er natürlich ein riesiger CO2-Speicher, was eine enorme Bedeutung für das globale Klima hat. Denn je mehr abgeholzt wird, desto mehr CO2 wird wieder in die Atmosphäre freigesetzt und das heizt die Klimakrise weiter an. Gerade die natürlichen Kohlenstoffsenken wie Wälder und Moore spielen eine ganz wichtige Rolle, denn sie nehmen große Mengen CO2 aus der Luft auf.

Zum einen müssen wir CO2 -Emissionen drastisch senken, zum anderen müssen wir natürliche Ökosysteme, die, wie eben der Amazonas-Regenwald, CO2-Speicher sind, bewahren und Wälder, die zerstört wurden, wieder nachwachsen lassen. Das ist also die zweite Seite, um der Klimakrise, aber auch dem globalen Artensterben zu begegnen. Wir befinden uns gerade in einer wahnsinnigen Krise in Bezug auf den Verlust der Artenvielfalt, weil Ökosysteme vernichtet werden. Auch hier hat der Amazonas-Regenwald eine riesige Bedeutung, denn je natürlicher ein Ökosystem ist, desto robuster ist es auch gegenüber Krisen.

Die andere große Bedeutung des Amazonas-Regenwaldes liegt in seiner Rolle als "Klimaanlage" insbesondere für Südamerika. Er generiert Regen, der dann als sogenannte "fliegende Flüsse" in den Rest von Südamerika transportiert wird. Der Amazonas-Regenwald hat also als gigantische Regenpumpe für den gesamten Kontinent eine große Bedeutung. Das hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt: Je mehr Wald zerstört wird, desto weniger Regen fällt – mit Konsequenzen unter anderem für die Landwirtschaft in Südamerika.

Inwieweit ist denn der Regenwald durch die globale Erhitzung selbst bedroht?

Ein intakter Wald hat eine viel größere Chance, sich anzupassen, als Wälder, die bereits in Mitleidenschaft gezogen sind. Das haben wir in Deutschland in den vergangenen Dürre-Jahren ja auch gesehen. Natürliche Wälder, also Laubwälder, sind viel besser in der Lage, sich selber zu kühlen oder das Wasser zu speichern. Andere "Wälder" wie Kiefernforste hingegen trocknen aus. So ist es im Amazonas-Regenwald auch. Gerade an den Rändern ist er schon sehr ausgedünnt und das sind die Gebiete, die auch viel schneller Feuer fangen, weil der Wald hier nicht mehr sein feuchtes Mikroklima bewahren kann. Das betrifft auch die Anpassungen an Klimaveränderungen, da ist es wie beim Menschen: Wenn es mir gut geht, komme ich mit Hitze auch besser klar, als wenn ich krank bin.

Ist denn eine Wiederherstellung bei einem so alten Wald überhaupt möglich oder gilt hier: Was weg ist, ist weg?

Klar: Was weg ist, ist weg. Das gilt auch bei unseren Ökosystemen in Europa. Trotzdem ist es aus ökologischer und klimatischer Sicht wichtig, wieder Wald-Ökosysteme wachsen zu lassen. Das können sie ja auch selber, das braucht dann auch gar nicht unbedingt den Menschen. Der neue Wald kann den alten nicht 1:1 ersetzen, aber es ist in Bezug auf Artenvielfalt und das Klima natürlich viel besser, die Wälder wieder wachsen zu lassen.

Hilft dabei vielleicht auch das Loslösen von menschlichen Zeitdimensionen?

Definitiv. Das ist eine total spannende Frage. Gerade findet in Deutschland eine große Diskussion statt: Wir müssen jetzt sofort wieder aufforsten! Aber die Natur kann’s halt einfach besser. Es kommt aber eben nicht so gut an, weil wir schnell etwas machen wollen und "Ich habe jetzt 10.000 Bäume gepflanzt" klingt auch besser als "Ich habe jetzt mal die Hände in den Schoß gelegt und zugeguckt, was die Natur macht."

Der Sojafußabdruck in Europa ist riesig

Was kann man denn von Deutschland aus tun, um den Amazonas-Regenwald zu schützen?

Die Ursachen für die Zerstörung des Regenwaldes sind sehr komplex, aber einfach runtergebrochen werden die meisten zerstörten Regenwaldgebiete in Amazonien für die Produktion von Fleisch genutzt. Zum einen direkt über die Rinderhaltung, also für Fleisch, das auch in Deutschland landet, vor allem aber über den Anbau von Soja, das als Futtermittel auch in Deutschland verwendet wird. Die größte Hypothek, die wir hier in Deutschland tragen, sind Fleisch und tierische Produkte. Hier muss man einfach hingucken und nach dem Motto einkaufen: weniger, aber dafür besser. Der Soja-Fußabdruck in Deutschland und Europa ist einfach riesig, egal, ob durch die Schinkenpizza oder eine Fertigkuchenmischung, in der Eier von Hühnern drin sind, die mit Soja gefüttert wurden.

Welche Erfolge gibt es denn beim Schutz des Regenwalds?

Die brasilianische Regierung unter Lula - der nun wahrlich kein großer Umweltschützer ist - hatte gezeigt, dass es möglich ist, Waldzerstörung einzudämmen. Durch einen guten Plan und durch viel Geld, das in Institutionen, Ressourcen oder kompetentes Personal gesteckt wurde. Wenn politischer Wille da ist, kann es tatsächlich zum Erfolg führen. Auch ein Soja-Moratorium wie das von 2006 kann zum Schutz beitragen, aber es muss natürlich eingebettet werden in größere Maßnahmen.

Wir müssen nachdenken, wie wir unsere Ernährung planetenverträglich gestalten. Dazu gehört, dass der Fleischkonsum drastisch runtergehen muss. Da haben gerade wir in Europa so viele Möglichkeiten, einen positiven Einfluss auf die Welt zu nehmen und wir sind hier auch in einer wahnsinnig dynamischen Zeit. Themen wie Klimakrise, Artenschwund und so weiter haben in der Zwischenzeit eine ganz andere Relevanz. Die kommende Bundestagswahl zum Beispiel. Da ist Klima das zentrale Thema. Ich glaube, dass die Menschen viel weiter sind, als das, was momentan die politischen Entscheidungsträger in ihrer eigenen Bubble wahrnehmen. Ich hoffe, wir stehen da wirklich vor einer Wende und ich glaube, wir können das alles noch wuppen. Man darf sich nur nicht vergraben, sondern muss Teil der Lösung sein. Letztendlich geht es ja um unser Überleben.

Zur Person: Gesche Jürgens (Jahrgang 1979) hat an der Universität Hagen Umweltwissenschaften und in Köln Politikwissenschaften studiert. Seit 2011 arbeitet Jürgens als Kampaignerin für Greenpeace und ist dort unter anderem für die Themen Regenwälder, Palmöl und Waldpolitik zuständig. Sie hat in Brasilien gelebt und mehrfach den Amazonas-Regenwald besucht.
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