Verkehrswende, Energiewende und ein anderer Tourismus: Was muss passieren, um die Folgen des Klimawandels in den Alpen abzufedern? Darüber haben wir mit dem Meteorologen Helmut Hojesky gesprochen, der dem Alpinen Klimabeirat vorsitzt.

Ein Interview

Am 11. Juni dieses Jahres sind rund 120.000 LKW-Ladungen an Gestein vom Tiroler Fluchthorn abgebrochen. Der Grund: auftauender Permafrost. Welche Klimafolgen spürt der Alpenstaat Österreich noch?

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Helmut Hojesky: Es sind viele. Die Bergstürze haben Sie schon erwähnt. Das Wetterobservatorium am Hohen Sonnblick, im Nationalpark Hohe Tauern im Bundesland Salzburg wurde schon vor vielen Jahren mit massiven Betonankern zusammengehalten, weil auch dort der Permafrostboden aufgeht. Der Gletscherabbruch auf der Marmolata vorheriges Jahr war ein Vorzeichen, was da noch kommen kann. Es wird zunehmend gefährlicher, sich in den Alpen zu bewegen, weil man nie weiß, was passieren wird.

"Die hundertjährigen Hochwasser treten mittlerweile alle zehn Jahre auf."

Wir haben Probleme mit extremen Wetterereignissen. Es vermehren sich Starkregenereignisse und deren Intensität und damit auch Hochwasserprobleme. Die hundertjährigen Hochwasser treten mittlerweile alle zehn Jahre auf. Lange Hitzeperioden schädigen die Ernte. Gleichzeitig werden sich die Probleme mit Spätfrost weiter verstärken. Auch das Grundwasserniveau ist besorgniserregend tief. Man muss nur ins südliche Wiener Becken schauen, in die Steinfeldgründe. Dort ist der Grundwasserspiegel seit den 1960er-Jahren mehr als zwölf Meter gesunken. In vielen Badeseen westlich von Wiener Neustadt steht nur mehr eine kleine Pfütze. Früher waren die bis zum Rand voll.

Was muss heute passieren, damit wir auch 2050 sicher und gesund im Alpenraum leben können?

Um bis 2050 Alpen zu schaffen, die klimaneutral sind und widerstandsfähig gegen Klimafolgen sind, müssen wir raus aus fossilen Energien. Es geschieht einiges, aber es ist dennoch zu wenig und zu langsam. Wenn wir nicht rasch zu einer kohlenstofflosen Wirtschaftsweise übergehen, wird es im Alpenraum mit der Anpassung verdammt schwer. Die Trinkwasserversorgung könnte gefährdet sein und die Ernteerträge werden weiter sinken. Weil die Auswirkungen alle Alpenstaaten betreffen, ist es wichtig, dass die Einzelaktionen besser vernetzt werden. Das bedeutet etwa zusammenzuarbeiten, beispielsweise um Naturschutzgebiete zu verbinden, den öffentlichen Verkehr zu stärken, Saatgut an geänderte Bedingungen anzupassen und von der Fichten-Monokultur abzurücken und Mischformen in der Forstwirtschaft umzusetzen.

Sie sitzen dem Alpinen Klimabeirat vor und haben maßgeblich am Alpinen Klimaaktionsplan mitgearbeitet. Warum brauchte es einen solchen Plan?

Der Begriff Klima ist in der Alpenkonvention ja gar nicht vorhanden. Es war daher wichtig, sich dem Thema zu widmen – quer über die einzelnen Protokolle der Alpenkonvention hinweg. Es gab schon 2006 eine erste Deklaration zum Klima. Drei Jahre später, bei der Alpenkonferenz 2009, wurde der erste Klimaaktionsplan verabschiedet, aber es blieb noch sehr unkonkret. Darum haben wir erst das Alpine Klima-Zielsystem aufgestellt und darauf aufbauend dann den Klimaaktionsplan, in dem konkrete Empfehlungen für insgesamt zehn Sektoren gemacht werden. Die arbeiten wir nun ab.

Wer koordiniert und bezahlt die Umsetzung von Aktivitäten?

Wir haben für jedes Handlungsfeld Koordinatoren – wir nennen sie Caretaker. Sie stammen meist aus einem Mitgliedsstaat oder einer Beobachterorganisation, kennen die Umsetzungspfade und versuchen, Menschen und Institutionen in ihrem Umfeld zu sammeln, um ins Umsetzen zu kommen. Alle arbeiten ehrenamtlich. Die Gemeinschaften bewerben sich dann vor allem bei EU-Projekten, etwa bei Alpine Space, Interreg oder Horizon Europe um Fördergelder. Wir unterstützen mit Workshops. Das hat schon oft funktioniert, etwa bei Projekten zur Anpassung an Naturgefahren. Umgesetzte Projekte bündeln wir. So können verschiedene Regionen voneinander lernen. Umsetzen müssen dann die Alpenstaaten, Gemeinden, Bundesländer oder Regionen. Ein Problem ist, dass wir als Alpiner Klimabeirat kein Budget haben. Wir können nur vermitteln.

"Der gute Wille ist da, aber es gibt formale Hürden und in jedem Land unterschiedliche Rechtssysteme."

Welche Regionen kooperieren überwiegend und was sind die größten Fallstricke dabei?

Die Schweiz ist mit allen 26 Kantonen aktiv, in Deutschland vor allem der Freistaat Bayern. In Italien trägt die meisten Aktivitäten die Provinz Lombardei, die am Südrand der Alpen ja besonders stark von Auswirkungen betroffen ist. Die französische Region Rhône-Alpes ist sehr aktiv, aber natürlich immer stark gestützt von der Zentralregierung. Der gute Wille ist da, aber es gibt formale Hürden und in jedem Land unterschiedliche Rechtssysteme. Es gibt keine allgemein gültigen Muster für die Umsetzungen. Man muss sie immer an die jeweilige Region anpassen.

Der Verkehr macht fast ein Drittel dem Treibhausgas-Ausstoß der Alpen aus. In einem Aktionspapier haben einige der alpinen Umwelt- und Verkehrsminister festgeschrieben, wie er bis 2050 klimaneutral werden könnte. Darin steht auch, dass der Güterverkehr auf andere Verkehrsträger verlagert werden. Das Papier ist viel zu schwammig, meinen NGO-Vertreter. Was verhindert den Umbau?

Auch wir haben dieses hehre Ziel im Klimaaktionsplan festgeschrieben. Es ist wichtig und ich bin froh, dass wir es hineinbringen konnten. Aber in diesem Bereich scheitert es oft an EU-Vorgaben. Der freie Warenverkehr hat leider immer noch Priorität. Tirol macht, unterstützt von Bayern und Südtirol, was es kann. Aber solange der Brenner-Basistunnel nicht fertig ist, bleibt es schwierig. Auch Umschlagplätze wären wichtig, um den LKW schneller auf die Schiene zu laden und ihm so einen Vorteil zu verschaffen. Man müsste den Transit teurer machen. Er ist immer noch zu billig. Aber wir können als Alpiner Klimabeirat nicht sagen: erhöht die Maut in Tirol. Wir können nicht EU-Recht überschreiten.

Als Verhandler auf vielen Weltklimakonferenzen haben Sie gelernt, dass es in Klimafragen oft an der Umsetzung scheitert. Was passiert, wenn auch in den Alpen zu wenig umgesetzt wird – trotz hehrer Ziele?

Das ist ein Grundproblem. Die Kontrolle des Pariser Klimaabkommens besteht darin, sich die Berichte der einzelnen Staaten anzusehen, aber man kann sie nicht bestrafen. Bei den Alpen ist es ähnlich. Man kann nur kontrollieren, ob etwas passiert ist oder eben nicht.

Brauchen die Alpen eine übergeordnete Instanz, die sanktionieren kann?

Das wäre natürlich schön, aber ist gerade bei der Anpassung an Klimafolgen schwierig. Im Klimaschutz kann ich Maßnahmen danach bemessen, wie hoch ihr Reduktionspotenzial ist. Bei der Anpassung kann ich mich nur qualitativ annähern. Man kann nicht sagen: Wenn es drei Überschwemmungen weniger gibt, haben wir es geschafft. Das ist lokal sehr unterschiedlich. Darum ist es auch schwierig, Sanktionen zu verhängen. In das Privatrecht können wir nicht eingreifen, und Verbote sind nicht gewünscht. Wir versuchen, Bewusstsein zu schaffen. Wichtig wäre, dass Anpassung als Mainstream in allen Feldern der Politik ankommt.

"Eine Seilbahnstation ist auch nicht wunderschön und gehört auch nicht in die Natur. Da könnte man ein Windrad danebenstellen."

Ein weiterer großer Schritt auf dem Weg zu klimaneutralen Alpen ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. In den österreichischen Bundesländern Salzburg und Tirol steht noch kein einziges Windrad. Wie ändert sich das?

Wir beschäftigen uns im Alpinen Klimabeirat gerade mit dem Spannungsfeld erneuerbare Energieerzeugung versus Naturschutz und Biodiversität. Also etwa mit der Frage, ob wir im alpinen Raum Windräder aufstellen sollen. Man kann diese in Westösterreich ja an den Fingern einer Hand abzählen. Da ist noch viel drin. Eine Seilbahnstation ist auch nicht wunderschön und gehört auch nicht in die Natur. Da könnte man ein Windrad danebenstellen. Auch Photovoltaik-Freiflächenanlagen stehen immer wieder zur Diskussion. Oft scheitert es an der Raumordnung und der Flächenwidmung. Für diese sind die Bundesländer beziehungsweise die Gemeinden verantwortlich. Wir werden in dieser Mandatsperiode heiße Eisen anfassen und Empfehlungen formulieren.

Sie haben die Abteilung Allgemeine Klimapolitik im Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie geleitet. Sie wissen aus Erfahrung: Permafrostschmelze wird zum immer größeren Problem, aber das Messnetzwerk ist zu dünn. Circa 1,5 Millionen Euro würde der Aufbau eines effektiven Netzwerks kosten, 200.000 der jährliche Betrieb. Warum passiert nichts?

Die fachliche Expertise ist vorhanden. Aber Monitoring hat laufende Kosten. Das Ministerium finanziert das Permafrost-Monitoring am Hohen Sonnblick im Nationalpark Hohe Tauern, aber wir können es nicht auf 20 Standorte ausweiten. Es scheitert am Geld.

"Skifahren wird in Höhenlagen unter 1.500 Metern schwierig werden."

Wie müssen sich Tourismusdestinationen anpassen?

Nach 2030 sehe ich keine Talabfahrt mehr. Skifahren wird in Höhenlagen unter 1.500 Metern schwierig werden. Denn auch die Schneekanonen benötigen Minustemperaturen und Strom. Sie brauchen aber auch Wasser. In manchen Regionen gibt es schon Diskussionen darüber: Ist es wichtiger, die Skipisten zu beschneien, damit die Touristen kommen? Oder stellen wir die Trinkwasserversorgung sicher? Solche Nutzungskonflikte werden in Zukunft häufiger ein Thema sein. Hier muss sich auch der Tourismus rasch anpassen und seine Angebote diverser machen. Aber der Wille, das anzuerkennen, ist oft nicht vorhanden. Hier bohren wir dicke Bretter, können nur mit Förderungen und Bewusstseinsbildung arbeiten. In die Privatwirtschaft kann ich nicht eingreifen. In Österreich brauchen wir die Bundesländer, um diese Nachrichten weiterzutragen.

Sie sind seit Jahrzehnten in der Klimapolitik aktiv. Verlässt Sie manchmal der Mut?

Ja, schon. Ich war Mitte Mai bei der Klimakonferenz in Bonn. Viele der teilnehmenden Länder sind massiv von Klimafolgen betroffen. Dennoch sehen viele Regierungsvertreter nicht ein, dass sich etwas ändern muss. Dieser Gegensatz zwischen dem Wissen, das diese Menschen haben, und den Entscheidungen, die sie treffen, ist oft sehr groß. Es gibt viele Hardliner aus den Ländern des globalen Südens, die das Problem nicht so ernst nehmen, wie sie es müssten. Das sind meist Erdöl-exportierende Staaten und aufstrebende Schwellenländer.

"Manchmal habe ich den Eindruck, [China] würde das Klimaabkommen von Paris gerne ungeschehen machen."

China muss man differenziert betrachten. Es macht im Land sehr viel im Bereich des Klimaschutzes, aber manchmal habe ich den Eindruck, es würde das Klimaabkommen von Paris gerne ungeschehen machen. Wenn ich dann aber sehe, wie beispielsweise die Dichte an Elektroautos zunimmt, wie viele Menschen sich für Photovoltaik-Förderungen bewerben, werde ich wieder zuversichtlich. Die Menschen wollen beitragen. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Es ist eins vor zwölf. Manche sagen, es sei fünf nach zwölf – aber ich bin notorischer Optimist.

Über den Gesprächspartner:

  • Der Österreicher Helmut Hojesky hat Meterologie studiert, sitzt dem Alpinen Klimabeirat vor, hat bei Weltklimakonferenzen verhandelt und leitete die Abteilung "Allgemeine Klimapolitik" im österreichischen Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie.

Verwendete Quellen:

Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.
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