Die Moorforscherin Franziska Tanneberger erhält in diesem Jahr den Deutschen Umweltpreis. Sie sei eine "treibende Kraft bei der Revitalisierung und Wiedervernässung von Mooren" und eine "Brückenbauerin zwischen Wissenschaft, Politik und Landwirtschaft". Im Interview spricht die Forscherin über die häufig unterschätzte Bedeutung von Mooren und räumt mit Irrtümern über die nebligen, düsteren Gebiete auf.

Ein Interview

Frau Tanneberger, wenn es um den Klimawandel und Umwelt geht, sprechen wir häufig über den Zustand der Wälder, die Erhitzung der Meere oder Naturkatastrophen. Schenken wir den Mooren zu wenig Beachtung?

Franziska Tanneberger: Ja, wobei der Wald auch wichtig ist. Aber es gibt einen gewissen Hang dazu, dass wir unsere Ökosysteme in der Rolle, die sie spielen können, übersehen. Das ist unglücklich, denn genauso wie der Wald können auch Moore, wenn sie in einem guten Zustand sind, nicht nur beim Klimaschutz helfen, sondern auch vielen anderen Mehrwert bringen. Etwa für den Artenschutz, dass Arten erhalten bleiben. Viele der technischen Lösungen, über die wir nachdenken, können das nicht gleichwertig. Und bei den Mooren ist diese Nicht-Beachtung ein besonderer Fall.

"Im Schnitt sind fünf Prozent unserer Landfläche in Deutschland Moore. Aber bei sehr vielen davon merken wir gar nicht, dass wir in einem Moor stehen."

Franziska Tanneberger

Inwiefern?

Unsere Wahrnehmung von Mooren ist ganz stark beeinflusst von bestimmten Bildern in der Literatur und der Malerei. Moore werden häufig nicht mit positiven Orten assoziiert. Und dann kommt hinzu, dass wir viele Moore gar nicht mehr als Moore erkennen. Im Schnitt sind fünf Prozent unserer Landfläche in Deutschland Moore. Aber bei sehr vielen davon merken wir gar nicht, dass wir in einem Moor stehen. Als Drittes kommt noch hinzu: Treibhausgasemissionen aus den trockengelegten Mooren werden ganz verschachtelt in den Berichten versteckt. Sie sind schwer aufzufinden.

Wie Sie bereits sagten, verbinden viele Menschen eher etwas Negatives, vielleicht auch etwas Unheimliches mit Mooren. Das liegt vermutlich auch an Unwissenheit. Was sollten wir über Moore wissen?

Franziska Tanneberger
Franziska Tanneberger ist Moorforscherin. © Philipp Schroeder

Ich würde damit anfangen, dass Moore schön sind. Es gibt wahnsinnig schöne Moorlandschaften. Und gerade das, was wir vielleicht manchmal gruselig finden - den Nebel vor allem -, hat etwas damit zu tun, dass da viel Wasser ist, dass es ein bisschen kühler als in der Umgebung ist. Genau das kann dazu führen, dass es sehr schön aussieht. Außerdem gibt es unheimlich viele sehr spezialisierte Tiere und Pflanzen, die nur in Mooren vorkommen und sich an diesen nassen Lebensraum angepasst haben. Moore sind wie eine Schatzkiste der Natur, in die wir einen Blick reinwerfen können. Was ich auch sehr spannend finde: Moore sind ein Archiv. Wir können in den Mooren die Geschichte unserer Landschaft lesen, seit der letzten Eiszeit hier in Deutschland. Das haben die Moore gespeichert wie eine riesige Festplatte.

Wie funktioniert das?

Die Pflanzen, die im Moor wachsen, werden nicht vollständig zersetzt. Von ihnen bleibt etwas übrig. Das sind oft die Wurzeln, die unterirdischen Teile, oder auch Pollen. Mit ein bisschen Fachwissen kann man diese immer noch der Pflanze zuordnen. Wenn man in den Torf bohrt - das können unter Umständen bis zu zehn Meter sein -, kann man die abgetragenen Schichten betrachten. Unter dem Mikroskop lässt sich für eine bestimmte Schicht erkennen, was für Pflanzen es zu dieser Zeit gab. Wir können einzelne Punkte datieren und genau sagen, wie das Moor damals aussah.

Was fasziniert Sie persönlich an Mooren?

Moore sind wie Nieren, die in der Landschaft Wasser reinigen können. Sie können dem Wasser bestimmte Stoffe entziehen. Sie können aber auch wie ein Schwamm ausgleichend wirken, was in Zeiten von Sommerdürren und Überflutungen sehr wichtig ist. Und Moore sind toll fürs Klima. Die Moorpflanzen nehmen wie alle Pflanzen durch Photosynthese CO2 auf. Normalerweise wird das irgendwann wieder abgegeben. Bei Mooren allerdings ist dieser kurze Kohlenstoffkreislauf quasi unterbrochen: Die Pflanzen können CO2 dauerhaft einlagern und bilden Torf. Das können viele Meter dicke Schichten sein, die Kohlenstoff speichern. Das hilft uns insgesamt im Klimaschutz, dass wir diesen Kohlenstoff in den Mooren haben.

Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) bezeichnet die Moore sogar als unterschätzte Klimaschützer. Stimmen Sie zu?

Ja, das ist eine richtige Aussage. Sie sind oft in der Wahrnehmung nicht so präsent. Was wir nicht wahrnehmen, schützen wir nicht richtig. Deswegen ist es wichtig, sich mal klarzumachen, wo wir Moore haben. Allerdings: Moore können uns nicht vor der Klimakrise retten. Wir müssen überall einsparen. Auf gar keinen Fall sollte man denken: Jetzt haben wir die Moore entdeckt, jetzt müssen wir woanders nicht einsparen. Aber wenn wir die Moore zügig wieder vernässen, den Wasserstand anheben, damit wir die CO2-Emissionen auf null bringen auf diesen Flächen, haben wir insgesamt weniger Emissionen. Jede Tonne CO2, die wir einsparen, ist wichtig, weil sie die Erwärmung nicht noch weiter anheizt.

"Wir haben einen mehrfachen Klimanutzen. In dem Sinne sind Moore Klimaschützer, die uns helfen können."

Franziska Tanneberger

Wie kann man Moore ansonsten noch klimafreundlich nutzen?

Wir können auf diesen Flächen klimafreundlich wirtschaften, nicht nur indem wir das CO2 einsparen, sondern auch indem wir die Pflanzen, die dort wachsen, nutzen. Wir können bestimmte fossile Rohstoffe substituieren, indem wir zum Beispiel Pellets daraus pressen und verbrennen und somit für Wärme nutzen. Wir können sogar Baumaterialien aus den nassen Mooren nutzen und damit eine Kohlenstoffspeicherung in einem Gebäude schaffen, zum Beispiel ein Haus mit einem Dach aus Schilf. Und was noch hinzukommt: Die nassen Moore können wieder neuen Torf speichern. Das ist eine aktive Festlegung von CO2. Wir haben einen mehrfachen Klimanutzen. In dem Sinne sind Moore Klimaschützer, die uns helfen können.

Was leider nicht mehr geht, wenn die Moore trockengelegt werden, was leider bei sehr vielen passiert ist. Wie kann man trockengelegte Moore wieder aufleben lassen?

Aufleben lassen – das ist wirklich so. Wenn das Wasser wieder ins Moor kommt, lebt es wieder auf. Wir sagen auch "revitalisieren" dazu. Das Problem ist eben, dass wir an vielen Stellen quasi den Stöpsel gezogen haben: Das Wasser ist raus und CO2 tritt aus. Das Revitalisieren an sich ist allerdings kein Zauberwerk. Das Entwässern der Moore ist von Menschen verursacht, meist in einem guten Glauben. Aus damaliger Sicht war das berechtigt, man wusste nichts über CO2-Emissionen. Es ging darum, dass die Moore besser befahrbar wurden, dass man besser Landwirtschaft betreiben konnte oder bestimmte Bäume dort angepflanzt werden konnten. Jetzt ist die Aufgabe, diese Entwässerung zurückzubauen.

Und wie funktioniert das?

Franziska Tanneberger
Franziska Tanneberger bei der Arbeit. © Franziska Tanneberger

Man muss nicht aktiv Wasser hinbringen, denn die Moore liegen ja dort, wo wir eigentlich einen Überschuss von Wasser haben, an tief gelegenen Bereichen oder an Küsten oder in Flusstälern. Das kann manchmal lediglich bedeuten, dass man einen Graben zuschiebt, der entwässert, oder dass man eine Pumpe abstellt, die das Wasser aktiv rausführt. Insofern ist nicht der Rückbau dieser Entwässerungsmaßnahmen das Aufwendige, sondern die Schwierigkeit besteht darin, einen Konsens mit allen Beteiligten zu finden. Das sind sehr aufwendige Planungs- und Genehmigungsverfahren und kostet viel Zeit. Ein entscheidender Hebel ist, dass die Menschen, denen diese Moorflächen gehören, einen Sinn darin sehen – nicht nur gesellschaftlich für uns alle, sondern auch individuell für sich selber.

Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt bezeichnet Sie als "Brückenbauerin zwischen Wissenschaft, Politik und Landwirtschaft". Wie sieht Ihre Arbeit in diesem Bereich aus?

Wenn man dieses Brückenbild verwenden will, bedeutet das erst einmal: mit der anderen Seite reden. Eine Brücke baut man besser, wenn man sich beiden Seiten ansieht. Für meine Arbeit ist es deshalb wichtig, auch mal die Perspektive zu wechseln: Wie wäre das für mich, wenn ich eine Moorfläche besitze und als Landwirt oder Landwirtin darauf wirtschafte und meine ganze Existenz darauf angewiesen ist? An diesem Thema arbeiten wir in Greifswald schon seit über 20 Jahren und haben bereits konkret auf einzelnen Flächen Beispiele geschaffen. Es muss Beispiele geben, die man sich anschauen kann.

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Wie schätzen Sie die Bereitschaft ein?

Viele im Bereich Landwirtschaft wollen ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten, aber es muss möglich gemacht werden, das zu tun – mit entsprechenden Rahmenbedingungen. Da spielt etwa die Agrarförderung eine große Rolle. Landwirtschaft auf nassen Moorflächen sollte gefördert werden und nicht schlechter gestellt als die Landwirtschaft auf den trockenen Mooren. Dafür sprechen wir auch in Brüssel mit Europaparlamentariern und mit Mitgliedern der Kommission über diese Themen. Aber es gibt komplizierte Fälle, zum Beispiel Siedlungen im Moor.

"Man wird nicht die Stadt umsiedeln können. Aber beim übergroßen Teil der Moorfläche in Deutschland kann man sehr gut revitalisieren."

Franziska Tanneberger

Das erschwert die Sache natürlich …

Genau. Wir haben zum Beispiel Dörfer, die in Moorgebiete gebaut wurden, und das Moor darum herum wurde entwässert. Dann kann es sein, dass dieses Dorf erstmal eine neue Entwässerung braucht, und zwar so, dass Keller und Gebäude nicht nass werden. Es gibt auch Städte, die ins Moor gebaut wurden. Hamburg, Berlin, München zum Beispiel. Darum gibt es Grenzen: Man wird nicht die Stadt umsiedeln können. Aber beim übergroßen Teil der Moorfläche in Deutschland kann man sehr gut revitalisieren.

Wie kann man sich für die Moore einsetzen?

Zum einen finde ich es wichtig, sich dafür zu interessieren, wo Moore sind. Da kann man vielleicht bestimmten Initiativen Rückenwind geben, die sich dafür einsetzen, dass das Moor wieder nass wird. Bei solchen Verfahren werden auch Anwohner beteiligt. Darum ist eine gesellschaftlich positive Grundstimmung für natürlichere nasse Moore wichtig. Es gibt auch Projekte, bei denen Freiwillige einige Tage oder Wochen Moore wieder vernässen. Und ein weiterer Tipp: sich bei seinen Kaufentscheidungen fragen, ob das was mit Moor zu tun hat.

Was bedeutet das konkret?

Es gibt immer noch Baumärkte, die Torf anbieten oder Gartenerde mit Torfanteil. Finger weg, das ist wirklich nicht nötig! An vielen anderen Stellen hingegen haben wir Berührung mit entwässerten Mooren und wissen es nicht. Zum Beispiel findet viel Milchproduktion auf entwässerten Mooren statt oder die Anzucht von Gemüse, wobei Torf nach wie vor verwendet wird. Insofern wäre da die Gesetzgebung gefragt.

Sie gelten als "treibende Kraft bei der Revitalisierung und Wiedervernässung von Mooren", sagt die Deutsche Bundesstiftung Umwelt – und hat Sie dieses Jahr mit dem Umweltpreis ausgezeichnet. Erhoffen Sie sich dadurch, dass die Moore mehr in den Fokus rücken?

Ja, unbedingt. Nicht nur ich verbinde diese Hoffnung damit, sondern auch viele meiner Kollegen und Kolleginnen. Es lohnt sich, sich einzusetzen und zu kämpfen. Da sind die Moore ein herausragendes Beispiel, wenn wir uns für nasse Moore für den Klimaschutz einsetzen. Am Ende geht es um uns, nicht um das Klima. Das Klima kommt auch gut ohne uns klar. Es geht darum, dass wir weiterhin lebenswerte Bedingungen haben auf dieser Welt. Mit dem Einsatz für die Moore erreichen wir viel für Biodiversität.

Deutscher Umweltpreis

  • Mit dem Deutschen Umweltpreis zeichnet die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) Einsatz und Leistungen aus, "die jetzt und zukünftig entscheidend und in vorbildhafter Weise zum Schutz und zur Erhaltung unserer Umwelt beitragen". Der Preis geht an Personen, die innovative Produkte und technische Prozessverbesserungen vorantreiben oder die für erfolgreiche Forschungsergebnisse oder Lebensleistungen im Zeichen eines nachhaltigen Umweltschutzes stehen.
  • Die Auszeichnung ist mit 500.000 Euro dotiert. Der Preis wird jährlich vergeben und kann zwischen mehreren Preisträgerinnen bzw. Preisträgern aufgeteilt werden.
  • Im Jahr 2024 geht die Auszeichnung an den Elektrotechnik-Ingenieur Thomas Speidel aus Nürtingen bei Stuttgart und die Moorforscherin Franziska Tanneberger aus Greifswald.
  • Überreicht wird der Preis am 27. Oktober in Mainz von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Sie bekommen ein Preisgeld. Was haben Sie damit vor?

Das Preisgeld ist nicht zweckgebunden, aber es ist für mich klar, dass ich es für unsere weitere Arbeit in Greifswald einsetzen werde. Für den Moorschutz und die Weiterführung unserer Arbeit im Bereich Moorforschung können wir das sehr gut gebrauchen.

Was möchten Sie im Greifswald Moor Centrum in Zukunft noch erreichen?

Natürlich wünsche ich mir, dass wir bei den Mooren vorankommen. Die Wissenschaft ist eindeutig: Weiter entwässern ist eine Sackgasse. Es geht nur in Richtung nasse Moore. Die Landwirtschaft soll mehr und mehr eine Perspektive sehen können. Insofern ist da viel angefangen, aber wir sind noch nicht da, wo wir hinmüssten. Darum wünsche ich mir vor allem, dass wir diese Beschleunigung schaffen, dass endlich mehr Hektar wieder vernässt werden. Und ganz persönlich hoffe ich, dass meine jungen Kollegen und Kolleginnen und ich unsere Arbeit fortführen können.

"Wenn wir im Jahr 2050 alle Moore wiedervernässt haben wollen – bis auf die städtischen Moore –, müsste man mindestens 50.000 Hektar pro Jahr schaffen. Im Moment liegen wir bei einer Größenordnung von deutlich unter 5.000 Hektar pro Jahr."

Franziska Tanneberger

Sie wünschen sich, dass wieder mehr Hektar zu nassen Mooren werden. Wie viel Prozent der Flächen sind aktuell Moore? Und was wäre ein Richtwert?

Früher wusste man nicht, wie wichtig Moore sind. Schon vor Jahrhunderten wurden einige von ihnen trockengelegt. In Deutschland gibt es 1,9 Millionen Hektar Moore. Wir schätzen, dass von diesen etwa nur zwei Prozent derzeit in einem noch nassen Zustand sind und nie entwässert wurden. Etwa vier oder vielleicht jetzt fünf Prozent wurden schon wiedervernässt. Der ganze Rest ist immer noch trocken. Wenn wir im Jahr 2050 alle Moore wiedervernässt haben wollen – bis auf die städtischen Moore –, müsste man mindestens 50.000 Hektar pro Jahr schaffen. Im Moment liegen wir bei einer Größenordnung von deutlich unter 5.000 Hektar pro Jahr. Diese Zahl gilt rückwirkend, das haben wir 2020 berechnet. Da ist sehr viel zu tun.

Wie könnte das schneller vonstattengehen?

Wir benötigen mehr Menschen, die sich mit Mooren beschäftigen. Wir suchen im Moment händeringend Leute, die Aufgaben im Moorschutz wahrnehmen können, in dem Bereich Kenntnisse haben oder vielleicht auch eine Ingenieursausbildung haben und entsprechend wasserbaulich geschult sind. Das ist ein Handlungsfeld, in dem viele Arbeitsplätze bestehen und weitere wachsen werden.

Über die Gesprächspartnerin

Verwendete Quellen

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