Die Rezession kommt, davon geht Michael Schröder aus. Grund zur Panikmache sieht der Experte am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung derzeit aber dennoch nicht.

Ein Interview

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Herr Schröder, kommt die Rezession – oder kommt sie nicht?

Michael Schröder: Ich gehe davon aus, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit kommt: Im zweiten Quartal 2019 hatten wir ja schon ein negatives Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts in Deutschland relativ zum Vorquartal verzeichnet. Wenn sich das im dritten Quartal wiederholt, dann liegt nach der üblichen Definition eine Rezession vor.

Wo liegen die Ursachen für diese Entwicklung?

Ein wesentlicher Auslöser war vor etwa eineinhalb Jahren die Entscheidung des US-Präsidenten Donald Trump, einen Handelskonflikt mit China vom Zaun zu brechen. Er ficht seine Handelsstreitigkeiten zwar auch mit der EU und mit Mexiko aus. Aber vor allem die Eskalation mit China belastet die Weltkonjunktur – und das ist auch in Deutschland spürbar, das so stark von Exporten abhängig ist wie kein anderes Land in Europa. Inzwischen sieht das Ganze allerdings fast schon nach einer selbsttragenden Entwicklung aus.

Was meinen Sie damit?

Ursprünglich ging die Entwicklung von einem externen Impuls aus. Inzwischen glaube ich jedoch nicht, dass alles wieder so wäre wie vorher und es zum Aufschwung käme, wenn die Handelskonflikte über Nacht bereinigt würden. Die Situation würde sich zwar vermutlich stark verbessern. Aber auch Wirtschaftsbereiche, die mit Exporten nicht direkt zu tun haben, reagieren längst negativ.

Die Anlageinvestitionen haben sich im zweiten Quartal in Deutschland deutlich schwächer entwickelt als im ersten. Sogar die zuvor sehr gute Entwicklung des privaten Konsums hat sich sehr stark abgeschwächt. Das Einzige, das die Wirtschaft im zweiten Quartal noch gestützt hat, waren die Ausgaben des Staates.

Welche Branchen sind von der drohenden Rezession besonders betroffen?

Die Automobilbranche, der Maschinenbau und die Elektrotechnik. Und die Stahlunternehmen müsste ich fast schon an erster Stelle nennen. Diese Branchen haben einen sehr hohen Exportanteil ihrer Produktion und ihrer Umsätze, sie leiden bereits unter der weltwirtschaftlichen Schwäche.

Ist es Panikmache, wenn Erinnerungen an die Finanzkrise 2008/2009 wachgerufen werden?

So schlimm wird der Einbruch nicht. Dafür spricht derzeit wirklich gar nichts. Das Wachstum wird sich deutlich abschwächen. Aber im ersten oder zweiten Quartal des nächsten Jahres wird es sich hoffentlich wieder nach oben entwickeln.

Dennoch bringt die internationale wirtschaftspolitische Lage – den Brexit habe ich noch gar nicht erwähnt – für Unternehmen natürlich viele Unsicherheiten. Und diese Unsicherheiten werden noch eine ganze Weile andauern.

Der Aufschwung hat lange angehalten. Ist es nicht normal, dass es irgendwann zur Rezession kommt?

Im Rückblick kann man schon sagen, dass es ziemlich normal ist, dass alle drei bis sieben Jahre ein Abschwung kommt. Aber von typischen wirtschaftlichen Entwicklungen, also Wellen, die mechanisch aufeinanderfolgen, würde ich nicht sprechen.

Es gibt immer Anlässe für eine Rezession: In früheren Perioden waren es teilweise hohe Ölpreise und zu hohe Löhne, vor zehn Jahren der Zusammenbruch der Finanzindustrie. Dieses Mal liegt es an Handelskonflikten und den daraus resultierenden weltwirtschaftlichen Schwächen.

Inwiefern sind "Normalbürger" von den wirtschaftlichen Problemen betroffen?

Glücklicherweise bisher noch fast gar nicht. Die Arbeitslosenquote lag im August bei nur 5,1 Prozent. Der Arbeitsmarkt ist typischerweise ein nachlaufender Indikator, der ein viertel bis ein halbes Jahr später als das Bruttoinlandsprodukt reagiert: Wenn wir im dritten Quartal 2019 die Rezession hätten, würde der Arbeitsmarkt sich voraussichtlich erst zum Jahresbeginn 2020 verschlechtern, aber wahrscheinlich auch dann nur relativ leicht.

Hinzu kommt die positive Lohnentwicklung: Wir hatten in den vergangenen zwei Jahren recht gute Lohnabschlüsse in vielen Branchen des produzierenden Gewerbes und im öffentlichen Dienst.

Rufe nach einem erneuten Konjunkturpaket werden laut. Was halten Sie davon?

Ein echtes Konjunkturpaket halte ich im Moment für unnötig. Einfach, weil ich keinen so starken Einbruch prognostiziere. Wir haben ja bestimmte Instrumente am Arbeitsmarkt, die schon in der Finanzkrise gut gewirkt haben, beispielsweise Kurzarbeit, um Entlassungen zu vermeiden und Zeit zu gewinnen, bis sich die Konjunktur wieder erholt.

Das ist auch jetzt wieder denkbar. Allerdings ist es eine ausgesprochen gute Zeit für den Staat, sich praktisch zu Null-Verzinsung zu verschulden. Eigentlich bekommt er sogar Geld dafür, dass er Schulden macht, denn die Renditen von Bundesanleihen sind teilweise schon negativ.

Es wäre deshalb sinnvoll, jetzt zu investieren: Man könnte mit der Subventionierung der deutschen Bahn anfangen und hätte mit Digitalisierungskonzepten ein weites Feld, um die Infrastruktur in Deutschland wesentlich zu verbessern. Das hätte dann nicht nur einen mittel- bis langfristigen Effekt auf das Wachstum, sondern könnte auch der Konjunktur einen positiven Impuls geben.

Zur Person: Dr. Michael Schröder ist Senior Researcher des Forschungsbereichs "Internationale Finanzmärkte und Finanzmanagement" am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Zu seinen Forschungsgebieten zählen unter anderem Kapitalmarkt- und Konjunkturanalyse in Deutschland, Europa und China sowie die Analyse ethischer Finanzanlagen.
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