Hinter Großbritanniens Premier Boris Johnson und den Abgeordneten des britischen Unterhauses liegt ein dramatischer Abend. Doch Ausruhen gilt nicht: Am heutigen Mittwoch geht das Ringen um den EU-Austritt weiter. Was war? Was kommt? Ein Überblick im Brexit-Chaos.
Niederlage im Unterhaus: Was ist am Dienstagabend passiert?
Boris Johnson musste eine krachende Brexit-Niederlage einstecken: Gegen den erklärten Willen des britischen Premierministers erzwangen die Abgeordneten, dass das Unterhaus über einen Gesetzentwurf zu einer möglichen Brexit-Verlängerung abstimmen kann.
Dabei votierten 328 Abgeordnete dafür, eine Abstimmung über den Gesetzentwurf gegen den "No Deal"-Brexit auf die Tagesordnung zu setzen. Nur 301 Abgeordnete unterstützten den Kurs des Regierungschefs.
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Damit nicht genug: Johnson hat am Dienstagabend seine Mehrheit im Parlament verloren, weil ein Abgeordneter seiner konservativen Partei zur Fraktion der pro-europäischen Liberaldemokraten überlief. Mitten in der Rede des Regierungschefs im Unterhaus stand der Abgeordnete Phillip Lee auf und ging von den Sitzen der Regierungsfraktion auf die Oppositionsbänke.
Was ist heute bei der Abstimmung zu erwarten?
Auch wenn die Abstimmung am Dienstagabend formell zunächst nur um die Macht über die Tagesordnung ging, so galt sie doch als richtungsweisend. Es wird nun erwartet, dass das Votum am Mittwoch über den Gesetzentwurf gegen den harten Brexit ähnlich ausfallen dürfte.
Das Gesetz soll Boris Johnson zwingen, in Brüssel zu beantragen, dass der Brexit auf den 31. Januar 2020 verschoben wird, sofern das Abkommen über den geregelten EU-Austritt Großbritanniens bis 19. Oktober nicht doch noch ratifiziert wird. Ein harter Brexit soll so verhindert werden.
Allerdings ist davon auszugehen, dass die Tories im Oberhaus versuchen werden, das Gesetz durch Dauerreden - den sogenannten Filibuster - auf die lange Bank zu schieben.
Wird die EU weiteren Aufschub gewähren?
Ob die Europäische Union ein weiteres Mal bereit ist, den Briten mehr Zeit zu geben, steht in den Sternen. Schon der Aufschub bis 31. Oktober war ein Kompromiss. Angela Merkel zum Beispiel wollte großzügig sein. Emmanuel Macron hingegen drängte auf einen baldigen Brexit-Termin.
Auch nach der Entscheidung im April gab es sehr unterschiedliche Reaktionen. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat eine weitere Verlängerung der Frist zumindest nicht ausgeschlossen. Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger will Großbritannien unter Umständen gar bis Ende 2020 Zeit gewähren. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hingegen steht einer weiteren Verlängerung der Frist skeptisch gegenüber.
Wird es Neuwahlen in Großbritannien geben?
Boris Johnson hat angekündigt, einen Antrag auf Neuwahlen zu stellen, sollte das Gesetz zur Verhinderung eines "No Deal"-Brexit am Mittwoch durch das Unterhaus kommen.
Um Neuwahlen ansetzen zu können, braucht Johnson die Stimmen der Opposition. Denn dafür ist eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig. Labour-Chef Jeremy Corbyn hat Zustimmung signalisiert, sofern das "No Deal"-Gesetz verabschiedet wird. Andere in der Opposition zögern, weil sich befürchten, Johnson könnte den Wahltermin nach einer Abstimmung nachträglich auf einen Termin nach dem EU-Austritt verschieben, um doch noch einen Brexit ohne Abkommen zu erreichen.
Als Datum für den Urnengang hat Johnson am Mittwoch den 15. Oktober vorgeschlagen. Der Termin läge vor einem entscheidenden EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober und noch vor dem Brexit-Termin am 31. Oktober.
Was sagen die Umfragen?
Mit seinem Kurs Richtung hartem Brexit und der Konfrontation mit dem Parlament hat sich Boris Johnson die Sympathie vieler Brexit-Hardliner gesichert. Während die Brexit Party in Umfragen über den Sommer laut "Independent" rund sechs Prozentpunkte verloren hat, legten Johnsons Torries deutlich zu. Durch vorgezogene Neuwahlen könnte er sich also womöglich eine neue Mehrheit im Parlament sichern.
Verwendete Quellen:
- "tagesschau.de" vom 11.4.19: "Und noch ein Aufschub"
- afp
- dpa
- "Independent" vom 29.8.19: "While Remain vote is scattered, Johnson’s Conservatives are destined to win a majority"
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