Keine deutsche Stadt ist so im Trend wie Berlin - und keine deutsche Stadt ist so pleite. Doch woran liegt es, dass die Berliner Staatskasse chronisch leer ist, trotz üppiger Fördergelder aus dem Länderfinanzausgleich?

Mehr News zum Thema Wirtschaft

Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer stört es schon lange, dass die Hauptstadt Geld ausgibt, das sie nicht hat. Aus gutem Grund, denn der Süden zahlt einen gehörigen Teil davon. Ginge es nach Seehofers CSU, soll mit diesem Geben bald Schluss sein - die Klage gegen den Länderfinanzausgleich vor dem Bundesverfassungsgericht wird gerade vorbereit.

Geben und Nehmen

Eigentlich ist die Idee des Länderfinanzausgleichs eine gute. Getreu dem Motto "Die Starken helfen den Schwachen" leisten die reicheren Bundesländer, die Geberländer, Ausgleichszahlungen an die ärmeren Bundesländer, die Nehmerländer. Bayern zählt derzeit mit Hessen, Hamburg und Baden-Württemberg zu den Geberländern. Dem stehen zwölf Nehmerländer gegenüber.

Schwierig wird es, wenn ein Land auf Dauer nur gibt und das andere nur nimmt, dabei aber weiter Schulden macht. Der Wille zur Zahlung bei den Gebern sinkt, aktuelle Beispiele dafür sind derzeit in ganz Europa leicht zu finden. Und genau um dieses Kernproblem geht es auch beim aktuellen Konflikt zwischen Bayern und dem Stadtstaat Berlin.

Pleitegeier statt Bär

Seit dem Eintritt des vereinigten Berlin in den Länderfinanzausgleich hängt die Stadt am Tropf der anderen Bundesländer und ist der größte Empfänger von Transferleistungen. Es stellt sich daher nicht nur in Bayern die Frage, wieso ausgerechnet der Meistbegünstigte immer tiefer in der Misere steckt. Rund 65 Milliarden Euro zeigt die Schuldenuhr des Bundes der Deutschen Steuerzahler mittlerweile für Berlin an, je nach Rechenweise etwas mehr oder weniger. Fest steht: der Schuldenberg wächst - pro Sekunde um rund 50 Euro. Im Jahre 1990 lagen die Schulden der Stadt noch um die zehn Milliarden Euro, seitdem ging es rasant bergan.

2011 erhielt das Land Berlin mit gut drei Milliarden Euro fast 38 Prozent der Gesamtleistungen aus dem Länderfinanzausgleich. Dabei gibt es nicht etwa einen speziellen Topf "Ausgleichszahlungen", das Geld fließt vielmehr direkt in den Haushalt des einzelnen Empfängerlandes und ist dort nicht zweckgebunden. Auch aus diesem Grund ist die Finanzpolitik des Nehmerlandes Berlin vielen ein Dorn im Auge: Der Berliner Bär ist aus Sicht der Geber längst ein Pleitegeier geworden. Was aber wird aus den jährlichen Milliarden, die in die Haushaltskasse der Hauptstadt fließen?

Gründe für die Verschuldung

Berlin hat in den vergangenen Jahren mehr Weltstadtflair nach Deutschland geholt als jede andere Stadt. Dass an diesem Ort, an dem kulturell alles möglich scheint, finanziell bald nichts mehr gehen soll, hat sicherlich viele Ursachen. Neben historischen sind es die schlagzeilenträchtigen Großprojekte, die als Milliardengräber in den Sinn kommen: die Großbaustelle Hauptbahnhof oder der Neubau des Bundesnachrichtendienstes zum Beispiel. Berliner Mega-Projekte scheinen auf Pannen und Kostenexplosionen abonniert zu sein. Jüngst war es vor allem die peinliche Misere um die angekündigte Eröffnung des Hauptstadtflughafens, die Restdeutschland eher an teuer und unfähig als an weltstädtisch und sexy denken ließ.

Aber nicht nur desaströs geplante Megabauten fordern die Staatskasse, auch die wachsenden Pensionsansprüche belasten. Wie der Bund der Steuerzahler berechnet hat, werden die Hauptstadt bis 2050 Pensionslasten von bis zu 69 Milliarden Euro drücken. Hauptursache ist die ständig steigende Zahl der Pensionäre.

Der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh nennt uns noch andere Gründe und erklärt: "Berlin ist durch seine Geschichte als geteilte Stadt ein spezieller Fall. Die Verschuldung begann bereits während des Kalten Krieges, wo Berlin aufgrund des Standorts eine Sonderrolle übernahm". Er fügt hinzu: "Dann führte die Abwanderung der Industrie nochmal zu einer Verschärfung der Situation."

Schuldenabbau - aber wie?

Mit seiner Idee, die Bürger könnten freiwillig auf einen Teil ihres Gehalts verzichten, um Berlins Schuldenberg zu verkleinern, ist Raed Saleh kürzlich nicht gerade auf allgemeine Zustimmung gestoßen. 93,1 Prozent lehnten seinen Vorschlag, die Berliner Bürger sollten auf mehr Netto verzichten, damit die Metropole schuldenfrei wird, in einer Umfrage auf "Bild.de" ab. Den Schuldenabbau muss der Stadtstaat daher wohl weiterhin ohne zusätzliche Hilfen seiner Bürger bewältigen. Keine leichte Aufgabe: Da die Länder in den meisten Bereichen keine Steuerhoheit besitzen, kann auf der Einnahmenseite nur wenig bewegt werden.

Einen möglichen Weg aus der Schuldenfalle gefunden zu haben, glaubt auch die Bundes-SPD um Hamburgs Oberbürgermeister Olaf Scholz. Demzufolge kann eine Umschuldung das Problem lösen. So soll zunächst der Bund die Milliardenschulden Berlins übernehmen. Im Gegenzug verpflichtet sich die Stadt, die Schulden künftig beim Bund zu tilgen. Da sich der Bund Geld im Schnitt einen Prozentpunkt billiger leihen kann als die Länder, bedeute dies eine jährliche Ersparnis von mehreren 100 Millionen Euro für den Berliner Landesetat. Bei einer jährlichen Rückzahlung von circa 1,2 Milliarden könnte die Stadt in 50 Jahren schuldenfrei sein, so die Rechnung der Genossen.

Allerdings könnte die Hauptstadt womöglich auch selbst sparen, schallt es immer wieder aus den anderen Ländern. So merkt Bayerns FDP-Wirtschaftsminister Martin Zeil an, dass ausgerechnet das hoch verschuldete Berlin seinen Bürgern mehr zu Gute kommen lässt, als die reicheren Länder ihren Einwohnern bieten könnten. Zu nennen seien zum Beispiel der Verzicht auf Studiengebühren und die kostenlose Kinderbetreuung. "Nicht einmal Bayern als Geberland bietet seinen Bürgern solche Privilegien", klagt Zeil.

Bei der Bildung zu sparen, sei noch nie eine gute Idee gewesen, hält Berlin dagegen. "Es ist der falsche Weg, immer nur den Rotstift anzusetzen", betont Saleh. Dem Vorschlag aus Bayern kann er nichts abgewinnen. "Das ist populistisch. Bayern war selbst lange genug Nehmerland." Der Berliner Finanzsenat erinnert daran, dass der Länderfinanzausgleich ursprünglich nur unterschiedliche Steuereinnahmen ausgleichen sollte, die - je nach Größe des Bundeslandes - stark variieren könnten. Deshalb zahle das flächenmäßig größere Bayern dem kleineren Berlin einen Ausgleich. Darüber hinaus hätten die Geber-Länder keinerlei Kompetenzen zu bestimmen, was mit dem Geld gemacht wird.

Immer wieder in der Diskussion sind auch neue Bauprojekte in Berlin, deren Streichung zum Schuldenabbau beitragen könnte. Bedarf es zum Beispiel einer neuen zentralen Landesbibliothek oder einer weiteren Kunsthalle? Vor dem Hintergrund des Schuldenberges und bestehender Angebote wie der Museumsinsel eine durchaus ernstzunehmende Frage.

Was die Zukunft bringt

Nach Bayern überlegt nun auch die grün-rote Regierung in Baden-Württemberg, vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. Im Interview mit der BILD-Zeitung sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann diplomatisch: "Wir wollen beim Länderfinanzausgleich nicht raus aus der Solidarität, sondern neue Grundlagen für ein faires System. Es müssen Anreize her, wie ärmere Länder von Mehreinnahmen profitieren können, ohne dass es auf den Finanzausgleich angerechnet wird." Ärmere Bundesländer hätten bisher keinen Vorteil davon, sich anzustrengen. "Das müssen sie aber, wenn am Ende auch die Geberländer wie Baden-Württemberg entlastet werden sollen", meint der Grünen-Politiker. "Wir wollen darüber verhandeln. Bis Jahresende muss klar sein, ob die anderen Länder das auch ernsthaft wollen. Wenn nicht, erwägen wir, uns der Klage der Bayern gegen den Länderfinanzausgleich anzuschließen.​"

Bis 2019 muss in jedem Fall eine Lösung gefunden werden, denn dann laufen die Umverteilungsverträge aus. Dass die Starken den Schwachen helfen sollen, wenn sie helfen können, bleibt sicherlich auch in Zukunft ein gutes Prinzip. Von 1950 bis 1989 war es der Freistaat Bayern, der Hilfen in Anspruch nahm. Berlin hängt seit 1995 am Tropf - eine vergleichsweise kurze Zeit.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.