9Live ist tot? Nein, der Shopping-Kanal heißt jetzt nur anders und wird von Xavier Naidoo moderiert. "Sing meinen Song - Das Tauschkonzert" ist nichts anderes als eine nicht enden wollende Gehirnwäsche. Und äußerst lukrativ.

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Ich sage es gleich freimütig heraus: Ich habe ein Problem mit "Sing meinen Song - Das Tauschkonzert". Und das ist vollkommen subjektiv. Sicher, es mag schlechtere Sendungen im deutschen Fernsehen geben. Sogar sehr viele, wenn ich es recht bedenke. Aber wenige regen mich so sehr auf, wie diese. Der Grund ist relativ einfach: Ich mag Musik.

Natürlich, Xavier Naidoo, Andreas Bourani, Yvonne Catterfeld, das sind alles anständige Sänger und Sängerinnen. Menschen, die erfolgreich in der gleichen Deutschrocksuppe fischen. Die nette Lieder für nette Menschen singen. Die auf Helene-Fischer- und Nickelback-Konzerte gehen. Das ist alles vollkommen in Ordnung. Das muss es schließlich auch geben. Eine harmlose vor sich hin plätschernde Sendung, die niemandem weh tut und zu der man gedankenverloren sein Abendbrot schmieren kann. Berieselung eben.

Nur ist das nicht, was ich auf dem Bildschirm sehe. Da schallt mir permanent der Superlativ entgegen. Beispielsweise in der letzten Folge der Staffel. In Duetten singen die Teilnehmer noch einmal ihre Cover-Songs mit dem eigentlichen Interpreten zusammen. Vollkommen in Ordnung, jeder wie er möchte. Wenn da nicht dieses permanente Eigenlob wäre. Das stinkt wohl nirgends so sehr wie in dieser Sendung. Denn hier ist alles "unfassbar": die Künstler, die Band, die Songs, die Sendung, Xavier Naidoos Sonnenbrille. Hartmut Engler gesteht gar, dass das "Tauschkonzert jetzt ein Teil seiner Lebenserfahrung" sei. Ich hatte mir das Leben des Pur-Sängers durchaus langweilig vorgestellt, allerdings nicht so sehr.

Eigenlob zahlt sich aus

Diese Dauerlobhudelei kennt man natürlich aus anderen Formaten - vor allem Casting-Shows. Da dient es dazu, das Publikum davon zu überzeugen, dass wirklich zukünftige Superstars auf der Bühne stehen. Warum das die erfolgreichsten deutschen Interpreten nötig haben, ist mir ein Rätsel. Aber vielleicht ist das so im Showgeschäft, wenn man es erst mal geschafft hat: Eine Hand leckt die andere.

Das Erstaunliche ist: Es funktioniert. Die Quoten sind phänomenal, die Zuschauer preisen in den sozialen Netzwerken die "tolle" Show. Ganz nebenbei schnellen die Verkaufszahlen der Beteiligten in die Höhe. In der Top Ten der deutschen Albumcharts sind zur Zeit zehn deutsche Interpreten. Ein vollkommenes Novum. Fünf davon aus dem direkten Umfeld der VOX-Show: Daniel Wirtz (Platz 8), Die Söhne Mannheims mit Xavier Naidoo (Platz 7), Gregor Meyle (Platz 6, mit dem Sampler zur anschließenden Show "Meylensteine"), Sarah Connor (bei der letzten Staffel dabei) und der Soundtrack zu "Sing meinen Song - Das Tauschkonzert". Der Rest der Teilnehmer ist demnächst auf Tour und kann die Publicity sicher gut gebrauchen.

Musikfernsehen wie ein Shopping-Kanal

Stefan Raab ist wenigstens so ehrlich und blendet in seinen Shows das Logo "Dauerwerbesendung" ein. "Sing meinen Song - Das Tauschkonzert" tarnt seine PR-Veranstaltung mit großen Worten, getreu dem 9Live-Prinzip: Immer und immer und immer wieder die gleichen Floskeln wiederholen, bis auch der letzte Zuschauer nicht anders kann als das Gesamtwerk der Söhne Mannheims runterzuladen. Mit seriösem Musikfernsehen hat das nichts zu tun.

Das findet man nur in Nischen: im seit Jahrzehnten ausgestrahlten "Rockpalast" des WDRs oder in "Later with Jools Holland", dessen Aufzeichnungen ZDFkultur seit einiger Zeit ausstrahlt. Hier treten seit 1992 Newcomer und Stars wie Metallica, Oasis oder Paul Weller auf. Ganz ungezwungen, ganz authentisch, fast schon intim.

Bei "Sing meinen Song - Das Tauschkonzert" geht es nicht ohne die größtmögliche Geste. Zum Abschluss der Sendung stimmen alle "Ein Hoch auf uns" an, die Band versammelt sich um die Sänger, es wird mitgewippt und mitgeschnippt, Christina Stürmer grinst und Yvonne Catterfeld heult. Echte Emotionen, punktgenau. Und morgen auf dem Bankkonto der Teilnehmer.

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