Heidi Klums neues Format "Queen of Drags" mäandert zwischen Grazie und Groteske - es will das Schattendasein der schrillen Protagonistinnen beleuchten. Das gelingt auch streckenweise. Dazwischen sorgen Internatsgespräche in der Luxusvilla und vor den Bildschirmen für schlechte Laune. Die Überraschung des Abends: Heidi Klum blieb auffällig unauffällig.

Eine Kritik

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Sie soll im Dienste von Toleranz und Solidarität stehen und einer Gruppe, die bis dato Farbe nur in den Untergrund brachte, eine Plattform bieten. Die Rede ist von "Queen of Drags", dem neuen "Pro7"-Format mit Model, Moderatorin und Produzentin Heidi Klum.

Die noch viel zu sehr im Schatten lebenden Dragqueens - Männer, die in künstlerischer oder humoristischer Absicht eine Frau darstellen - in den Mainstream zu heben, ist an sich ein hehres Ziel, aber sicher nicht die einfachste aller Aufgaben. Denn Thematiken wie diese rufen ganz gern den Voyeurismus auf den Plan, was das politisch essenzielle Statement schnell ins Leere gehen lässt.

Interessant: In den vergangenen Wochen ging man in der deutschen Drag-Szene gegen die Person Klum auf die Barrikaden – Petition mit knapp 30.000 Unterschriften inklusive. Eine Fehlbesetzung sei sie, hieß es. Weil sie keine Ahnung von der Subkultur habe und mit dieser Lebenseinstellung nichts gemein. Unter anderem.

"Queen of Drags": Paradiesvögel auf der Bühne

In jedem Fall suchen Klum, Sängerin und Travestiekünstlerin Conchita Wurst und "Tokio Hotel"-Star Bill Kaulitz in den kommenden Wochen unter zehn Drags die "Queen of Drag". Hierfür zogen die aus Deutschland, Österreich und der Schweiz stammendem Dragqueens in eine Highend-Villa in Los Angeles.

Um sich dort Woche für Woche im Rahmen einer schrillen Varieté-Show mit ausreichend Make-up, sexy Choreografie und extravaganter Textilierung in Szene zu setzen. Und für die Performances gibt’s natürlich Punkte. Wer am Ende einer Sendung die wenigsten erntet, wird von Heidi Klum und Co. herausgeschmissen. Das Prinzip ist bekannt.

Transformation zum Glamour-Girl

Dabei möchte sich "Pro7" auch ein wenig als Infokanal präsentieren, will man doch in jeder Folge auch Grundlegendes freilegen und Antworten finden. Antworten auf Fragen wie: Warum präsentieren sich Männer als weibliche Kunstfiguren? Was zeichnet eine "Queen of Drags" aus? Wie verwandeln sich die oft unscheinbaren männlichen Wesen in bezaubernde Glamour-Girls?

Am Ende dieser Reise wird Deutschlands erste "Queen of Drags" auf das Cover der deutschen "Cosmopolitan" gehoben, einen Trip nach New York in Angriff nehmen dürfen und obendrein zum Gesicht einer großen Werbekampagne. In jeder Folge gibt es weiters noch einen Stargast, der die Jury verstärkt. Am Donnerstagabend war dies Olivia Jones, eine Frau vom Fach also.

Überraschung: "Pro7" gibt den "Darlings" Zeit

"In den ersten Tagen dreht sich alles um Attitude, Ausstrahlung und Looks, Darlings", verpackte Conchita das für sie Wesentliche in einen Satz. Das Motto der Premieren-Sendung lautete "The Art of Drag" und gab den Künstlerinnen Raum zur Entfaltung, quasi alle Freiheiten auf der Bühne.

Was zunächst alles nach Casting-Chose klang, ging dann aber einen überraschenden Weg. Denn den Protagonistinnen, die Catherrine Leclery, Bambi Mercury, Vava Vilde oder Hayden Kryze heißen, wurde ungewöhnlich viel Zeit eingeräumt, um sich zu klimatisieren und den Zuschauern vorzustellen.

In dieser Zeit war etwa vom Glück die Rede, das sie alle heimsucht, wenn sich der Körper in etwas gänzlich anders verwandeln. Aber auch harte Eisen wie etwa Diskriminierung, die den Drags als Homosexuelle leider nach wie vor begegnet, wurden angefasst.

Heidi Klum versteht die Welt nicht mehr

Heidi Klum war wiederum traurig, weil man sie im Vorfeld der Sendung heftig kritisiert hatte. "Ich bin offen und tolerant für alle Menschen – egal, welcher Farbe, woher sie kommen und wen sie lieben. Aber einige sind so intolerant, das verstehe ich nicht", lamentierte das Ex-Model.

Und überhaupt fühle sie sich diskriminiert, "weil ich hetero, weiß und eine Frau bin". Die Solidaritäts-Schulterklopfer der Drag-Queens taten der so heftig Geschundenen sichtlich gut. Um es direkt zu sagen: Klums Auftritte blieben echt überschaubar.

Leichte Müdigkeit ob enervierender Internatsgespräche

Im Mittelteil der Show machten es einem die Protagonistinnen nicht leicht, fehlte den Gesprächen beim Ausräumen der Koffer doch schlichtweg das Substanzielle. Man fühlte sich an Mädcheninternats-Filme aus den 1960er-Jahren erinnert, in denen versucht wurde, die mauen Dialoge der Schülerinnen mit einem mit den Ohren wackelnden Gunther Philipp als Schuldirektor aufzufrisieren. Ja, der Mittelteil war fad.

Probleme zu Hause: "Ich war nicht mehr sein Kind"

Erst als ein wenig gebitchfightet, gleichsam herumgezickt wurde, verloren die Augenlider wieder an Gewicht. So kam etwa die Aussage von Katy Bähm, Kollegin Catherrine (48) sei alt und man müsse sich schon die Frage stellen, ob sie sich noch gut bewegen könne, in der Runde nicht sonderlich gut an.

Aber auch hinter der vermeintlichen Zicke, die muslimisch erzogen wurde und mit bürgerlichem Namen Burak Bildik heißt, steckt eine tragische Geschichte: Ihre Mutter habe ihr einstiges Outing ignoriert "und mein Vater ist auf Abstand gegangen. Ich war nicht mehr sein Kind", so die 27-Jährige Bähm traurig.

Dorfdisco-Anmutung, Lippen-Synchronisation und das Wort des Abends

Danach folgten die Auftritte vor einem Jury-Setting, das zwar Subkultur transportieren und Clubatmosphäre versprühen sollte, aber mehr an eine Dorfdisco in den 80er-Jahren erinnerte. Zu Songs wie "I will survive" und "Who wants to live forever" sowie einigen Bonbon-Tracks mit nervenden Mickymaus-Beats galt es während der Lippen-Synchronisation zu zappeln und dabei möglichst originell, anmutig oder geil auszusehen.

"Geil" war überhaupt das Wort des Abends und donnerte uns gefühlte 100 Mal entgegen.

Live-Gesang ist auch keine Lösung und eine Siegerin

Lediglich Samantha Gold, die 2015 ihren ersten Miss-Titel beim Grazer "Tuntenball" eingeheimst hatte und jetzt in Hamburg lebt, versuchte es bei "Für mich soll's rote Rosen regnen" mit der eigenen Stimme. Das nötigte zunächst Respekt ab, ließ einen ob der geringen Gesangsexpertise dann aber doch rasch die Lippen-Synchronisation vermissen.

Aber es gab sie durchaus, die guten Performances – vor allem jene der 27–jährigen Yoncé Banks aus Paderborn, die mit zwei Männern auf der Bühne gekonnt interagierte, ließ einen daheim mit dem Kopf mitturnen. Banks war es dann auch, die von der Jury die meisten Punkte bekam und somit die "Queen of the Week" wurde.

Nur geil rauskommen ist zu wenig

Auf nicht so viel Anerkennung stieß hingegen der Auftritt der gebürtigen Katalonierin Janisha Jones, die es sich relativ einfach machte und vorwiegend improvisierte und dann auch noch überaus nervös war. "Als du rauskamst, fühlte ich mich ein bisschen bedroht. Das fand ich geil!", meinte Olivia Jones noch unmittelbar nach der Performance zur Janisha.

Aber geil rauskommen, ist einfach eine Spur zu wenig. Ob "Queen of Drags" einen positiven Effekt haben und so mancher Spießigkeit ein wenig Beine machen kann? Das lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Man wird dranbleiben müssen.

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