Der Comedian kümmert sich in seiner zweiten RTL-Sendung mal wieder um die Nöte des "kleinen Mannes". Zu viel nachdenken soll der aber nicht. Sonst würde ihm noch auffallen, dass diese Show Populismus in Reinkultur ist
Die Welt ist kompliziert geworden. Globalisierung und Digitalisierung stellen uns vor die größten Herausforderungen seit Jahrhunderten, unsere Gegenwart ist einem ständigen Wandel unterworfen, die Zukunft macht vielen Angst. Hochkomplexe Vorgänge, auf die es keine einfachen Antworten gibt.
Es sei denn, man heißt
"Mario Barth räumt auf": Schlechte Rechtschreibung wegen "Schreiben nach Gehör"?
Die Themen der Sendung sind klassische Aufreger, zu denen jeder etwas zu sagen, besser, zu schimpfen hat, ohne sonderlich informiert sein zu müssen. Zuerst geht es in die Schule und zur umstrittenen Lernmethode "Schreiben nach Gehör", seit Jahren der Sündenbock, wenn es um die sinkende Rechtschreibleistung von Grundschülern geht. Entwickelt hat das in den 80er-Jahren der Schweizer Pädagoge Jürgen Reichen.
Die ersten zwei Schuljahre sollen Kinder so schreiben, wie sie sprechen, ohne sie zu korrigieren. Also zum Beispiel "Buter" statt "Butter". Das soll in der Theorie helfen, schneller schreiben zu lernen. Mittlerweile zeigen Studien, dass das nicht immer funktioniert. Für Mario Barth eine Steilvorlage zu eingespielten Lachern die gute alte "Früher war alles besser"-Litanei anzustimmen.
Unterstützt wird er dabei vom Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Heinz-Peter Meidinger. Ihr Schluss: Schüler können immer schlechter lesen und schreiben wegen dieser umstrittenen Methode.
Andere Ursachen für das Problem werden ausgeblendet
Was sie nicht erwähnen: Schon seit Jahrzehnten wird sich über mangelnde Rechtschreibung beklagt. Die Pädagogik-Modell von Reichen trägt daran nicht die alleinige Schuld. In den östlichen Bundesländern zum Beispiel wurde die Methode nie angewendet, trotzdem gibt es dort die gleichen Probleme.
Etwas, was Barths Experte Meidinger selbst in einem Interview mit der Deutschen Welle erklärte: "Die abfallenden Rechtschreibleistungen beobachten wir nicht nur in den Ländern, die sehr stark auf die Lesen-durch-Schreiben-Methode gesetzt haben."
In "Mario Barth räumt auf" erwähnt er das nicht. Genausowenig wie, dass die reine Lehre nach Reichen nur in zwei bis drei Prozent der Schulen angewendet wird. Experten sind sich sicher, dass die Ursachen vielschichtiger sind. "Sie werden ein so komplexes Bedingungsgefüge nicht auf einen Faktor reduzieren können", erklärt Hanna Sauerborn, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Lesen und Schreiben.
Das weiß eigentlich auch Heinz-Peter Meidinger: "Es ist ein ganzes Bündel von Ursachen", sagte er der Deutschen Welle. Aber die alle in der Sendung von Mario Barth zu erläutern, ist natürlich zu kompliziert. Und es gäbe vor allem nichts, über das man sich aufregen könnte.
Aufreger-Thema oberflächlich aufbereitet
Apropos aufregen: Kaum etwas versetzte die Deutschen gerade so in Rage wie E-Scooter. Damit ja nicht zu nüchtern an dieses Thema herangegangen wird, startet der Beitrag Mario Barths zum Thema mit YouTube-Videos, in denen Menschen die elektrischen Roller zerschlagen, von Gebäuden werfen oder gleich anzünden.
Dazu schimpfen Passanten auf der Straße über das neue Verkehrsmittel, bevor weitere Videos, in denen Rollerfahrer, die ihren eigenen Sturz filmen, die offensichtliche Gefährlichkeit der E-Scooter belegen. Dass es auf YouTube auch unzählige Clips gibt, auf denen sich Menschen mit allen möglichen anderen Verkehrsmitteln mehr oder weniger schmerzhaft verletzen - ein überflüssiges Detail.
Genauso wie konkrete Unfallstatistiken, die seine These belegen könnten. Stattdessen sagt die Ärztin aus dem "Rat der Weisen" in der Sendung, der "Mario Barth räumt" wohl so etwas wie Seriosität verleihen soll, zu den E-Scootern: "Mir bringen sie Patienten." Na dann sind ja alle zufrieden. Dass sowohl Mario Barth als auch die Studiogäste Beatrice Egli und Henning Baum auf einen der Roller steigen, ohne dass er sofort in Flammen aufgeht und mit ihnen durchs Fenster segelt - geschenkt.
Einfache Lösungen für komplexe Probleme
So geht das über zwei Stunden. Aufreger-Themen werden oberflächlich angerissen, ohne die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen. Komplexe Probleme auf scheinbar einfache Lösungen zurechtgestutzt, ohne ein vollständiges Bild zu liefern. Darunter kuriose Rechtsfälle, Behördenwahnsinn, sogar der Beleidigungsprozess von Renate Künast.
Allzu tief einsteigen wollen Mario Barth und sein Team allerdings nicht. Das gibt er sogar selbst zu: "Ich weiß nicht, was sie vorher gesagt hat", sagt er zum Rechtsstreit Künasts. Ein Eingeständnis mangelnder Vorbereitung auf das Thema und noch viel schlimmer: Dass es ihm eigentlich auch egal ist.
Eine Meinung kann man sich schließlich immer bilden. Auch ohne alle Fakten zu kennen. Es reicht, wenn die nötigen Informationen auf ein T-Shirt passen. So wie in dieser Sendung. Was steht da auf Mario Barths Brust? "Janz wichtig. Fresse halten angesagt."
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