Die Haare sind füllig wie eh und je, der Schnurrbart akkurat gestutzt: Jörg Draeger reanimiert mit "Geh aufs Ganze!" einen Gameshow-Klassiker. Das wirkt aus der Zeit gefallen, funktioniert aber immer noch – wegen seinem dauerquasselnden Moderator.
Retro-Fernsehen ist ein Begriff, der gerade oft in TV-Kritiken benutzt wird. Zuerst überraschte
Der Dritte im Bund ist Sat.1 mit einem Format aus den ersten Hochzeiten des Privatfernsehens in den Neunzigerjahren: die Zocker-Show "Geh aufs Ganze!" Aber während RTL seine Neuauflage von "Der Preis ist heiß" lieber auf seinen Oldie-Sender RTL Plus verbannte, will es Sat.1 wissen. "Geh aufs Ganze!" läuft zunächst in drei Folgen am Freitagabend, aufgeblasen zum "Event-Fernsehen", wie es Branchenjargon heißt. Das heißt: gleiche Show, größeres Studio, mehr Geschrei.
"Geh aufs Ganze!" ist Jörg Draeger und Jörg Draeger ist "Geh aufs Ganze!"
Der Flair des Originals stimmt auf jeden Fall. Das fängt bei den Zuschauern nahe der Hysterie an und endet bei den immer noch scheußlich dekorierten Toren mit Preisen, von denen klar ist, dass die Gewinnerinnen und Gewinner sie direkt nach der Sendung in den Kleinanzeigen verramschen werden: Survival- Ausrüstungen, Wohnwägen für Fahrräder, Bügelbretter.
Um die Preise geht es aber nur am Rande. "Geh aufs Ganze!" ist Moderator
Draeger verdrückt ein paar Tränen
Dass der Moderator und die Show untrennbar verbunden sind, wird in den ersten Minuten deutlich. Draeger schreitet mit dem Zonk, diesem roten Teufelchen, das die Kandidaten als Trostpreis erhalten, die Treppe herunter. Die Haare trotz fortgeschrittenen Alters so voll wie eh je, der Schnurrbart akkurat gestutzt. Das Publikum johlt, so wie man es nur noch aus Gameshows kennt, an die das Privatfernsehen heute lieber nicht mehr erinnert werden will. Jörg Draeger ist gerührt, verdrückt ein paar Tränen und schon geht es los. "Du bist dabei!", ruft Co-Moderator Daniel Boschmann, der seine Sache ordentlich macht, aber vor allem Laufbursche für Draeger ist. Er flitzt durch die Zuschauerreihen, bereitet die Spiele vor, brüllt wie ein Wochenmarkt-Verkäufer die Werbetexte der Preise ins Mikrofon.
Draeger macht das, womit er schon in den Neunzigern berühmt wurde: Er quasselt die Teilnehmer schwindlig: 300 Euro? 400 Euro? 500 Euro? Den Umschlag? Oder lieber Tor 2? Er charmeurt, er flirtet, egal ob Mann oder Frau, schwul oder hetero. Die Komplimente sind die gleichen wie vor 20 Jahren: "Wie lange seit ihr zusammen?" "30 Jahre" "Wohl mit 14 kennengelernt?”. Aber Draeger ist wohl der Letzte im Fernsehen, dem das, obwohl schon tausendmal gehört, so natürlich über Lippen kommt, dass es nicht einmal peinlich wirkt. Und wenn das alles nicht wirkt, holt er die Lebenspartner vor die Kamera.
Am Ende wartet hinter dem Tor natürlich ein Auto
Irgendwann kniet Draeger vor Raumpflegerin Silke und bittet sie, aufzuhören. Ihr Mann Rochus direkt dahinter schlägt die Hände abwechselnd über Kopf, Ohren und Gesicht zusammen. Es nützt alles nichts, glücklich setzt sie sich mit dem Zonk hin. Und als Zuschauer sitzt man da und grinst. Ist das nun, weil Jörg Draeger noch immer diesen Charme zwischen Autoverkäufer und Alleinunterhalter besitzt? Oder aus Nostalgie an all die Fernsehabende mit den Eltern? Als noch nicht abgezählt werden musste, wie viele Menschen sich im Raum befinden?
Eigentlich egal. Zwar wirkt "Geh aufs Ganze!" über zwei Stunden zu sehr in die Länge gezogen und ist aus der Zeit gefallen, aber am Ende will man doch wissen, ob Studentin Selina im Finale das obligatorische Auto gewinnt. Zumindest das ist ein Zugeständnis an die Gegenwart: Hinter dem Vorhang parkt ein Elektroauto. Doch Kandidatin Selina lässt sich von Jörg Draeger aus der Ruhe bringen. Sie starrt am Ende auf den Zonk und geht ohne Preis nach Hause. Jörg Draeger hat es eben doch noch drauf.
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