Mit "Fight for Paradise: Wem kannst du vertrauen?" will Netflix krawalliges Trash-TV mit Survival-Fernsehen verbinden. Das gelingt nur so mittelgut.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Felix Reek dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Es gibt Sendungen, da will man schon nach den ersten Minuten abschalten. Dann, wenn der Zusammenschnitt läuft, der zeigt, was einen als Zuschauer in den nächsten Folgen erwartet. Menschen, die den Alkohol so schnell in sich hineinkippen, dass er ihnen an den Mundwinkeln herunterläuft.

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Die mit Sicherheit als Berufswunsch in ihr Poesiealbum "Content Creator" oder zumindest "berühmt sein" schreiben. Die Dinge sagen wie: "Isch krieg’n mental Breakdown!" oder "Never fuck the Fucker!" Wenn alles so künstlich und hysterisch ist, dass es die ganze Zeit anstrengt. Auf die ungute Art. Genau so eine Show ist "Fight for Paradise: Wem kannst du vertrauen?"

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Nach "Too Hot To Handle Germany" schiebt Netflix ab dem 23. April das nächste Reality-Format aus Deutschland hinterher. Ein "Sozialexperiment", wie es der Pressetext verrät. Wer sich einigermaßen mit solchen Shows auskennt, weiß, dass jetzt Vorsicht geboten ist. Ein "Sozialexperiment" ist in diesem Kontext immer eine etwas freundlichere Formulierung dafür, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer möglichst schnell die Champagner-Gläser ins Gesicht werfen sollen.

Das Ego ist immer kurz vor der Kernschmelze

An passenden Menschen für diese Job-Beschreibung scheint es angesichts der exponentiell wachsenden Anzahl solcher Shows nicht zu fehlen. Netflix hat eine Horde der üblichen Verdächtigen mit maximalem Gepäck und minimaler Kleidung in eine Villa an einem exotischen Ort verfrachtet, wo sie sich für ein Preisgeld von 100.000 Euro möglichst verhaltensauffällig benehmen sollen.

Die Grundbedingung erfüllen alle: Das Ego ist immer kurz vor der Kernschmelze. Kandidat Marc behauptet von sich: "Ich kann High Class, ich kann Straße, ich finde bei mir einfach keine Schwächen." Samira sagt: "Mein größtes Ziel ist es, in meiner Familie die erste Millionärin zu sein." Und Elisabeth zählt ihre Schönheitsoperationen auf: Fett absaugen, Kinn abschleifen, Hyaluron überall da, wo sich eine Spritze ansetzen lässt. Na, dann kann es ja losgehen.

"Insider" oder "Outsider"?

Auftritt von Moderatorin Bonnie Strange, die breitere Öffentlichkeit kennt sie als ehemalige Freundin des Uwe-Ochsenknecht-Sohns Wilson Gonzales, mittlerweile ist sie eine der erfolgreichsten deutschen Influencerinnen. Erstaunte Rufe unter den Kandidaten, wollen sie doch genau da hin, wo Strange schon ist. Die Nachrichten, die die Moderatorin mitbringt, sind eher mittelgut. Es geht nicht in die Villa, sondern in den Dschungel. Von "Insidern" zu "Outsidern", wie es in "Fight For Paradise" heißt. Ziel ist es, wieder in die Villa zu kommen und als Letzter dort zu bleiben, nur dann gibt es das Preisgeld.

Die Kandidaten reagieren erwünscht pikiert: Hand vor den Mund halten, Luft wedeln und spontanes Beten, um dann mit High Heels und viel Gejammer ins Dschungelcamp, Pardon, ins Lager von "Fight for Paradise", zu staksen. Was dann folgt, kennen Zuschauerinnen und Zuschauer von "Ich bin ein Star, holt mich hier raus!" seit mehr als 20 Jahren: ein Feuer, ein Plumpsklo, viel Herumstehen und Herumliegen, in einer Kabine direkt in die Kamera sprechen und sich über die anderen beschweren. Der einzige Unterschied: Statt Bohnen und Reis gibt es Dosensuppe und die Teilnehmer müssen sich das echte Dschungelcamp noch verdienen.

Strategie- und Überlebensformate floppten bisher in Deutschland

Nur was soll das alles? Ist das nun ein Klon von "Ich bin ein Star, holt mich hier raus?" oder "Love Island"? Die Antwort ist: irgendwie beides. Zwar boomen Trash-Formate, allerdings stagniert das Genre, Produktionsfirmen wiederholen immer dieselben Formeln. Mit "Fight for Paradise" versucht Netflix jetzt, Reality-TV in Richtung von Strategie- und Überlebensformaten wie "Survival" und "The Mole" zu öffnen. Die sind seit Jahren im Ausland erfolgreich, nur in Deutschland interessiert sich niemand für sie.

Nach der ersten Folge von "Fight for Paradise" ist klar: Das wird sich mit diesem Zwitter-Format auch nicht ändern. Die Sendung ist teuer produziert, aber so erwartbar, dass hier wirklich niemand überrascht wird. Die Kandidaten sind weitgehend unbekannt, verhalten sich aber genauso, wie die erfahrene Reality-Stammbesetzung der Fernsehsender. Immer auf Krawall aus, immer auf Anschlag.

Die besten Voraussetzungen für ein hasserfülltes Miteinander

Die Produktion sorgt dafür, dass es so bleibt. So gehen die Kandidaten in "Fight for Paradise" auf Schatzsuche wie im Dschungelcamp, erhalten dafür aber nicht Essensrationen, sondern den Wiedereinzug in die Villa. Im Gegenzug müssen sie eine andere Kandidatin nach Hause schicken, was sie ohne zu überlegen tun. Doch die landet am Ende natürlich mit ihnen in der Villa. Die besten Voraussetzungen für ein hasserfülltes Miteinander. Und geht es nicht genauso darum in dieser Art Shows?

Wer also genau das sucht: Streiten, Zetern und der stets kalkulierte Tabubruch, ausgeführt von Laiendarstellern, die mittlerweile wahrscheinlich selbst nicht mehr wissen, wer sie sind, wenn keine Kamera läuft, ist bei "Fight for Paradise" genau richtig. Alle anderen werden sich ganz genau überlegen, ob die erneute Preiserhöhung der Netflix-Gebühren das wirklich wert ist.

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