Wie verarbeitet man die Corona-Pandemie oder eine Flutkatastrophe in einem Comedy-Jahresrückblick? Ilka Bessin und Oliver Pocher gaben am Mittwochabend bei "Die Abrechnung des Jahres" die Antwort: am besten gar nicht. Denn so schlimm wie dieser Jahresrückblick war das Jahr selbst nicht.

Christian Vock
Eine Kritik
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Wenn man auf ein Jahr zurückblickt, dann wird man schnell merken, dass in diesem Jahr nicht nur Gutes passiert ist. Wie schlecht das Schlechte dann im Detail war, hängt natürlich von der eigenen Lebenssituation ab, aber generell kann man sagen, dass es wohl kaum jemanden gibt, der jeden Tag eines Jahres mit einem Grinsen aufgestanden und damit wieder ins Bett gegangen ist. Das klingt eigentlich reichlich banal, ist aber vor allem dann relevant, wenn man ein TV-Sender ist, und aus all dem Schlechten und Guten eines Jahres einen "Comedy-Rückblick" machen will.

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Diese Gedanken hat man sich bei RTL offenbar auch gemacht und sich für Folgendes entschieden: "2021 - Was für ein Jahr!? Kann man das auch mit Humor nehmen? Man kann! Frei nach dem Motto 'Das Letzte kommt zum Schluss' zeigen uns Ilka Bessin und Oliver Pocher die etwas weniger ernste Seite des Jahres", heißt es bei RTL über "Die Abrechnung des Jahres – mit Ilka Bessin und Oliver Pocher", die dort am Mittwochabend zu sehen war.

Wenn man bedenkt, was 2021 alles so passiert ist, ist das eine enorme Herausforderung. Rein technisch sieht das Ganze so aus: Ilka Bessin und Oliver Pocher haben für einen "Comedy-Rückblick" in den Europapark Rust geladen. Zum einen Zuschauer im Saal und vor dem Bildschirm und zum anderen TV-Prominenz bestehend aus Verona Pooth, Amira Pocher, Mola Adebisi, Ross Antony, Nicolas Puschmann und Dennis aus Hürth alias Comedian Martin Klempnow.

Ross Antony mit unfreiwilligem Humor-Höhepunkt

Die sollen das, was aus RTL-Sicht comedyjahresrückblickstauglich war, kommentieren und was das war, das hat man zuvor in leicht verdauliche Monatshäppcheneinspieler abgepackt. "Lustiges, Skurriles, Überraschendes, Netz-Hypes - hier hat alles Platz, nur nicht die ernsten Themen", heißt es dazu bei RTL, aber vor allem bei letztem Punkt tat man sich recht schwer an diesem Abend. Jeder Monat, das sei noch erwähnt, hat einen Sieger, der mit einer Auszeichnung bedacht wird.

Eigentlich ein recht simples Konzept, was also kann dabei nur schiefgehen? Die kurze Antwort: Wo fangen wir an? Die lange Antwort: Zum Beispiel bei den Gästen. Dass Ross Antony nur da war, um sein neues Backbuch zu vermarkten, kann man verschmerzen, sorgte er doch immerhin für den den Schenkelklopfer des Abends.

Als der Engländer beim Lebenswerk-Preis für Jogi Löw gefragt wird, warum er beim EM-Achtelfinale für Deutschland war, antwortet Ross: "Deutschland spielt wenigstens Fußball, England tut nur so." Wenn man an die Spiele in den letzten Jahren der Löw-Ära denkt, war das tatsächlich der witzigste Moment des Abends.

Dabei hätte ein bisschen absichtlicher Humor wirklich gut getan. Zum Beispiel von Dennis aus Hürth – wo er ja schon mal da war. Doch das, was Klempnow als kleine Showeinlage machen sollte, entpuppte sich als Schreibtischidee: Aus drei Metern sollte er einen Weihnachtsbaum schmücken, indem er irgendwelchen Kram auf den Baum wirft. Am Ende blieb etwas Lametta hängen. Das klingt genauso lustig, wie es war.

"Die Abrechnung des Jahres": Pocher für den Spaß, Bessin für die Moral

Noch weniger lustig war nur das, was Verona Pooth zum Abend beizutragen hatte. Dass der Satz "Die Corona-Zeit hatte ja auch was Kuscheliges. (…) Aber unterm Strich fand ich es natürlich auch nicht schön" das Klügste war, was die einstige Werbedarstellerin zu sagen hatte, sagt viel über den Abend aus. Was Bessin und Pocher trieben, allerdings noch mehr.

Denn so einen richtigen roten Faden fanden die beiden nie. Pocher war an diesem Abend für den Brachial-Humor zuständig: Gleich zu Beginn tanzte er mit Nicolas "Prince Charming" Puschmann "einen originellen, sehr originellen Fummel-Blues" – warum, war allerdings nicht so ganz klar. Später versuchte sich Pocher noch mit Verkleidungen als Helene Fischer, Thomas Gottschalk und Karl Lauterbach, doch nur seine Persiflage mit dem Gesundheitsminister als "Bachelor" konnte halbwegs überzeugen.

Und Bessin? Der Komikerin fiel es an diesem Abend sichtlich schwer, sich auf den versprochenen reinen Klamauk einzulassen. Stattdessen konnte sie es nicht lassen, bei den ernsteren Themen auf ebendiesen Ernst hinzuweisen. So kommentierte sie den Fall von Jens Lehmann und dessen rassistischen Spruch über Dennis Aogo mit "Deshalb bin ich froh, dass wir hier so kunterbunt heute da sind".

"Die Abrechnung des Jahres": Spaß oder Ernst? - keines von beidem

Das ist in der Sache natürlich richtig. Das Thema Rassismus auf diese Weise adäquat in einem "Comedy-Rückblick" unterzubringen, war allerdings eher unglücklich. Richtig planlos war dann aber der Moment, in dem Bessin, Pocher und Gäste mit einem TikTok-Video für’s Impfen werben wollten. Wenn man so etwas in einer Comedy-Show macht, dann muss das auch sitzen. Doch am Ende hampeln nur alle halbgar vor der Handykamera für TikTok herum. Das hat mit TikTok genauso wenig zu tun wie mit guter Fernsehunterhaltung, mit Werbung für’s Impfen leider erst recht nichts.

Ist das Bessins Schuld oder Pochers? Nein, die beiden müssen lediglich ausbaden, was grundsätzlich schiefgegangen ist an diesem Abend. Man hätte sich einfach darauf konzentrieren sollen, nur die wirklich lustigen Ereignisse des Jahres oder zumindest die fettnäpfchenunverdächtigen Momente zu verwursten. Dann wäre man frei von jeglichen Moralkollisionen gewesen.

So aber verarbeitet man die Flut-Katastrophe im Ahrtal und Laschets Gelächter-Fauxpas, indem man nach dem Grund des Lachens fragt und Martin Klempnow dann kalauert, dass Laschet in dem Moment wohl etwas auf den Fuß gefallen ist. Um doch noch irgendwie aus der Nummer rauszukommen, beendet Bessin das Ganze mit einem an Laschet gerichteten "Man lacht einfach nicht". Auch das ist richtig, zeigt aber einmal mehr die Zerrissenheit des Abends. Denn bei einem "Comedy-Rückblick" hätte man schon gerne gelacht.

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