Was für eine Woche. Im "Sommerhaus der Stars", dem intellektuellem Insolvenzverfahren für gescheiterte Ex-Promi-Existenzen, treibt mit Mike Cees-Monballijn ein sexistischer Frauen-Unterdrücker sein Unwesen, der statt in einem Prime-Time-Format mit Reichweitengarantie eindeutig besser bei den Weltmeisterschaften im toxischen Beziehungs-Schwergewicht aufgehoben wäre. Und das, nachdem RTL nach dem Fiasko im vergangenen Jahr großflächig Besserung gelobt hatte.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

In der Vorsaison war das "Sommerhaus" zum Fäkalsprachen-Superspreader Special verkommen, als die Trash-TV-Philosophen Andrej Mangold, Jennifer Lange, Annemarie Eilfeld nebst Freund und die Bonnie und Clydes der Gossenpoesie, Lisha und Lou, sich wochenlang einen Fremdscham-Marathon geleistet hatten, gegen den die Wortwahl der bedenklichen Tweets aus der Teenager-Zeit von Sarah-Lee Heinrich wie Liebesgedichte von Christian Morgenstern wirken.

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Statt gefährliche Machtspielchen, öffentliche Psycho-Attacken und Partner-Erniedrigungen im "Sommerhaus" gnadenlos zu unterbinden, schielt man bei RTL aber wohl doch wieder auf die Quote – und ändert sogar die Regeln, damit besagter Mike im Haus verbleiben kann, obschon er bereits in der zweiten Woche alle (ich wiederhole: ALLE) Stimmen der im Haus lebenden Paare gegen sich vereint hatte und eigentlich hätte ausziehen müssen. Ob man da beim Kölner Spartensender für das Begraben von Show-Karrieren via Reality-TV wirklich auf die richtige Karte gesetzt hat? Abwarten. Das "Sommerhaus" läuft noch zwei Wochen. Bislang kann das Format quotenseitig jedenfalls nicht als Straßenfeger deklariert werden. Dabei steht das "R" in RTL doch für "Resozialisierung".

Sarah-Lee Heinrich - schlimmer als Hans Georg Maaßen und Bernd Höcke zusammen!

Stichwort Begraben von Karrieren: Sarah-Lee Heinrich. Auch wenn der Name es womöglich nahelegen würde, ist sie kein Ex-Mitglied von "Tic Tac Toe". Sondern frisch gewählte Sprecherin der "Grünen Jugend". Ihre ganz persönliche Erfahrung mit "Ich find Dich Scheiße" (immerhin ein als Hit geltendes Werk von "Tic Tac Toe") durfte Sarah-Lee diese Woche trotzdem ausführlich machen. "Ich find Dich Scheiße" ist ja am Ende nichts anderes als die Definition von "Shitstorm". Nur dass es noch kein Social Media gab, als die Dichter- und Denkerinnen von "Tic Tac Toe" dafür berühmt wurden, dass jetzt die Tränen wieder auf Knopfdruck kommen.

Statt Tränen kommen heutzutage erstmal ganz andere Dinge auf Knopfdruck. Meistens eine stattliche Anzahl Troll-Kommentare und Echauffierungs-Bonmots. Pünktlich immer dann, wenn mal wieder irgendwer irgendwo etwas entdeckt hat, was als Molotow-Cocktail und Empörungs-Katalysator in die offensichtlich chronisch gelangweilte (und deshalb stets munitionierte) Hate-Speech-Bubble des jeweiligen Lagers geworfen werden kann.

Sarah-Lee Heinrich ist somit die zweite, naja, Gewinnerin der Woche. Als im Zuge ihrer Wahl zur Sprecherin der "Grünen Jugend" einige ihrer durchaus zahlreichen, sagen wir mal freundlich: bedenklichen Tweets aus der Vergangenheit auftauchen, ist Kommentarspalten-Polen offen. Sie wuchs im Ruhrpott in einem selbst für dortige Verhältnisse eher strukturschwachen Milieu auf. In die Wiege gelegt wurden ihr somit keine goldenen Löffel und keine Jahreskarten für die Oper. Sie wuchs heran in einem entsprechenden Sozialisierungs-Delta mit Mädchen, die beispielsweise in Blankenese groß geworden sind.

Das entschuldigt keinesfalls Tweets á la "Ich werde dich finden, und anspucken, dann aufhängen mit einem Messer anstupsen und bluten lassen". Und von dieser Qualität, Brutalität und Wortwahl findet sich so einiges im Portfolio der damals sehr jungen Sarah-Lee. Wir sprechen also nicht von so genannten Einzelfällen. Dennoch erklärt ein solches Umfeld ein bisschen.

Meine Oma sagt immer: "Wenn Du dich mit Arschlöchern umgibst, wirst Du ein Arschloch". Das ist vielleicht etwas drastisch ausgedrückt für eine Frau über 90, aber es ist etwas dran. Sarah-Lee, das ist jedenfalls mein Eindruck, hat sich aufrichtig und schonungslos entschuldigt. Das macht die Tweets nicht ungeschehen und auch nicht vergessen. Vor allem mit der Rechtsagenda einer ehemaligen Medienmacht im Rücken, die ihren eigenen Relevanzeinbruch nur zu gerne einer jungen Grünen mit Migrationshintergrund in die Schuhe schieben würde. Es stimmt aber immerhin positiv für die Zukunft beim Umgang mit Fehlern. Zumindest was die neue Generation an Politikern und Politikerinnen angeht.

Sarah-Lee Heinrich: Sorry Seems To Be The Hardest Word

Ich finde es respektabel, wie Sarah-Lee Heinrich sich aufrichtig und ohne Schönfärberei zu ihren Fehlern bekannt und sich dafür entschuldigt hat. Vor allem, da wir gerade aus einem Wahlkampf kommen, in dem die Dämme der Moral gegen Ende so derartig in sich zusammengebrochen sind. Zuletzt waren weite Teile der Union und die angeschlossenen PR-Crash-Test-Dummies in den Zeitungsverlagen weite Teile des Tages nur mehr damit beschäftigt, der Öffentlichkeit wortreich zu deklarieren, das am Vortag Gesagte wäre so natürlich gar nicht gemeint und überhaupt missverstanden und völlig aus dem Zusammenhang gerissen.

Da ist es doch erfrischend, wenn eine junge Frau sagt: "Das war nicht in Ordnung, ich entschuldige mich". Übrigens - ich sage mal so: Wäre jede Verbalentgleisung, die ich mir mit 13 Jahren geleistet habe, heute via Twitter in einer Art öffentlichem Archiv abrufbar, hätte ich die nächsten drei Jahre Hausarrest. Obwohl ich schon über 30 bin. Ich könnte mir vorstellen, ich bin da nicht die Einzige.

Diese Entschuldigung und die Verjährungsfrist halten verzweifelte Journalisten (die eine Regierung mit Olaf Scholz als Kanzler und Annalena Baerbock sowie Robert Habeck als Minister noch immer für einen surrealen Treppenwitz halten) selbstredend nicht davon ab, gemeinsam mit dem von ihnen aufgehetzten Rechts-Bubble-Mob einen tagelangen verbalen Straßenkampf anzuzetteln.

Dieses nimmermüde Abarbeiten an einer 20-Jährigen, das in wüstesten Beschimpfungen und hasserfüllten Drohungen gegen Sarah-Lee Heinrich gipfelt, zeigt auf sehr eindrückliche Art und Weise, wie man inzwischen bei einigen Zeitungsredaktionen arbeitet. Dort hat man die Niederlage von Armin Laschet als geduldetes kleinstes Übel im Machtkampf gegen den eingebildeten Linksdruck noch immer nicht verwunden. So fährt dann eben mitunter mehrmals täglich der ICE "Bitte Nicht" in den Diskursverschiebebahnhof des öffentlichen Debatten-Niveaus ein. Schaffner und Chefredakteur – nicht zufällig zwei Berufsgruppen mit einer sehr ähnlichen Klangarithmetik.

Christian Lindner - der Erich Honecker der Neo-Reitschusters

Während also an Gleis 08/15 jeder Propaganda-Zug überpünktlich einfährt und die Neo-Rechts-Community fleißig an der Legende vom "Linksdruck" in der Ampel strickt, verhandeln SPD, Grüne und FDP bereits aussichtsreich einen Koalitionsvertrag. Erste schwere Hürden scheinen genommen: Klima- und unfallstatistikresistenten Eisenfuß-Fetischisten bleibt ein generelles Tempolimit erspart. Champagnerlaune im ehemals liberalen Verbots-Verbots-Journalismus. Einfluss-Verlierer im Freiheitsstrudel der Geschwindigkeits-Glückseligkeit.

Ein schönes Bonbon für alle Hobby-Politologen, die weiterhin tapfer gegen die schwindende Angst der Menschen vor einer Enteignungsorgie anschreiben, die sie als Super-GAU auf der Regierungsbank voraussagen - ausgerechnet mit Christian Lindner als Minister und Scholz als Kanzler. Wer da einen Linksrutsch befürchtet, der muss seinen Meinungs-SUV in den letzten Monaten ziemlich sorglos aus den Kolumnen-Wagenparks seines Arbeitgebers in die intellektuelle Abstiegszone der Rechtsrand-Peripherie umgeparkt haben.

Obwohl: Wahrscheinlich wurde direkt die gesamte Garage flurbereinigt. In der Mitte abgetragen und einfach stramm rechts außen wieder aufgebaut. Sieht auf den ersten Blick gleich aus, man schreibt aber jetzt halt Tür an Tür mit Boris Reitschuster, Stefan Homburg und KenFM statt mit Giovanni di Lorenzo, Roger Willemsen oder Henri Nannen. Um diesen Qualitäts- und vor allem meinungspluralistischen Verfall festzustellen, muss man kein analytisches Genie sein. Es reicht vollkommen, sich folgende Frage zu stellen: Wenn man Christian Lindner als Teil eines Linksrutsches deklariert – wie weit rechts muss man dann selber stehen?

Die Drei ??? und der unsichtbare Zuschauer

Und das ist noch nicht der einzige Skandal in den Untiefen des Klassenkampfes im Publizisten-Zirkus. Ich weiß, das ist etwas monothematisch und ich würde auch gerne über Fußball oder Ryan Gosling schreiben. Aber ich suche mir ja nun auch nicht aus, was in der Woche passiert.

Nämlich zum Beispiel das: Auf dem linksgrün versifften Baerbock-Propaganda-Sender "BILD TV" darf diese Woche Deutschlands größte Reporter-Hoffnung Clara-Marie Becker live zur besten Sendezeit Polizisten als "Bullen" bezeichnen. Da ist der Aufschrei aus dem freiheitsliebenden, verbalgewaltbereiten sogenannten "konservativen journalistischen Block" natürlich groß. Rainer Wendt, der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, fordert die Chefredaktion der "BILD" und den Vorstand des Axel Springer Verlags vermutlich bereits bei seinem Lieblingssender "Fridays For Future TV" auf, sich umgehend bei allen Polizisten persönlich zu entschuldigen. Bei Polizistinnen natürlich nicht, denn es wurde ja auch nur von "Bullen" gesprochen. Und überhaupt – wer beim 0,00 Prozent Reichweitensender "BILD TV" gendert, der fliegt.

"BILD TV", Sie kennen es bestimmt. Das ist dieses Schülerpraktikum-StartUp mit Sendelizenz. Andererseits. Vielleicht kennen Sie es auch nicht. Wenn es nicht einige tausend hartgesottene Twitter-Empörungs-Partisanen und die "ZDF Magazin Royale"-Redaktion gäbe, die sich auf der Suche nach weiteren Kleinoden des Investigativ-Journalismus und Handy-Alarm-Meme-Vorlagen regelmäßig ins Programm schalten, würde den Sender vermutlich überhaupt niemand mehr schauen.

Keiner jedenfalls, der bis drei zählen kann und seine anscheinend ziemlich üppige Tagesfreizeit nicht ausschließlich mit orthographisch desaströs vorgetragenen Troll-Kommentaren im Internet verbringt. Wie lange sich dort Politiker aus der dritten Reihe weiterhin als Stichwortgeber für Agenda-Titelseiten missbrauchen lassen, bleibt abzuwarten. Inzwischen hat man ja selbst dann mehr Reichweite, wenn man sich an einem Samstagnachmittag vor den S-Bahnhof am Alexanderplatz stellt und wahllos Passanten erklärt, in seiner Stammkneipe würde man Karl Lauterbach "Spacken" nennen.

Im Schatten dieser Entwicklung wird dann vor Enteignung durch Olaf Scholz gewarnt, das desaströse Bild der Union verklärt, das nicht kommende Tempolimit als Sieg der Freiheit gegen die Unterjochung eines drohenden Verbots-Staates gefeiert und gleichzeitig am rechten Rand gezündelt. Das ist ja schon nicht mehr Doppelmoral, das müsste mittlerweile mindestens Triple-Moral sein.

Und damit wären wir für heute auch durch. Wir lesen uns also kommenden Montag wieder, in der Hoffnung, dann nicht bei Quadruple-Moral angekommen zu sein. Bis dann!

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