Mal wieder eine Woche, in der ich versehentlich über unfassbare Hass-Kommentare stolperte. Am Infinitypool in Griechenland, mit einem eiskalten Orangensaft eigentlich auf ein paar erholsame, unbeschwerte Tage vorbereitet, stieß ich zufällig auf einige einschlägige Deppenkommentare.
Sorgfältig kuratiert von den schlauesten der schlauen Internetnutzer unter Instagram-Bildern der Moderatorin
Sinnloser Hass, wortreich und gleichsam erschreckend unterkomplex vorgetragen, erinnerte mich an meine eigene Vita. Der schwierige Weg, den beispielsweise ein sehr junges Model gehen muss, das gerade noch heimlich mit den Älteren der Schule neben dem Schulhof rauchte und dann plötzlich halbnackt an jeder Bushaltestelle hängt. Cliquendynamisch schwierig. Neid ist gnadenlos, auch unter sehr jungen Menschen. Aber es gibt Hoffnung.
Das Modelgeschäft beispielsweise ist in den letzten 15 Jahren menschlicher geworden – jedenfalls untereinander: den Mädchen. Dafür kam (Grüße an Lola Weippert an dieser Stelle) das Internet – und plötzlich durfte jeder Richter sein. Missgunst entlud sich nicht mehr im kleinen privaten Kreis, Bodyshaming in Kommentarspalten und Mobbing-Postings waren plötzlich en vogue. Ein schlechter Tausch.
Als ich 2003 mit 14 Jahren anfing zu modeln, waren viele der Mädchen, die im vergangenen Juli gemeinsam mit mir auf den Laufstegen der Fashion Week Berlin liefen, noch gar nicht geboren. Auch 10 Jahre später, 2013, als ich mit 24 in Paris erstmals neben 15-jährigen Mädchen beim Fitting stand und mir älter vorkam als die politischen Ideen von Friedrich Merz, hatten die heutigen Gesichter der Model-Branche von der Fashion Week so wenig Ahnung wie Uli Hoeneß von Zuckerverboten. Ich erwähne das nicht, um subtil darauf hinzuweisen, dass ich ja übrigens auch ein super-erfolgreiches Model war (das stimmt nämlich nicht), sondern dass sich in der letzten Dekade das Geschäft und die Wahrnehmung für junge Models stark verändert hat. Aber der Reihe nach.
Als ich in dieses Geschäft einstieg, war klar, welche Stärken ich vorzuweisen hatte – aber auch, welche nicht. Mit 1,73 Metern war ich eindeutig zu klein für die großen Laufstege. Da hätte ich schon
Ich wäre gerne mehr gelaufen, auch wenn der finanzielle Anreiz im Gegensatz zu kommerziellen Shootings gering ist. "Man kann sich zwar die Brüste aufpumpen lassen, aber du kannst dir ja nicht die Beine verlängern", tröstete mich meine Oma. Das tat sie oft. Mit 17, 18, 19 Jahren habe ich vieles nicht so leicht weggesteckt wie heute. Und
Das Lästern der Anderen
Damals herrschte oft ein atmosphärisches Klima kurz über dem Gefrierpunkt, traf man auf andere Models. Mitte der 2000er Jahre gab es noch kein Instagram, wo man sich tränenreich winden und tröstenden Zuspruch seiner Fans hätte generieren können. Auf der anderen Seite gab es ohne Instagram auch weniger Touchpoints für wildfremde Menschen, die in der Anonymität des Internets per Cybermobbing vornehmlich bei jungen, erfolgreichen Frauen ihre Neurosen ausleben. Der Ton war insgesamt rauer als heute – aber nur intern.
Sprüche wie "Models sind dumme Kleiderständer" oder "Nichts Richtiges gelernt?" – geschenkt. Diese Attacken gab es schon immer, jedoch kamen sie hauptsächlich von Männern. Zumeist von denen, die darunter litten, auf keine so erfolgreiche Historie beim Anbaggern von hübschen Frauen zurückzublicken. Da kommt man drüber weg. Schwerer wog da schon das Klima innerhalb der Branche. Dort kam die Ablehnung aus allen Richtungen.
Als junges Model stand man im Brennglas seiner Agentur. Man hörte vom Booker schon mal, es gäbe "noch tausend andere Mädchen, die den Job sofort machen würden" oder "ein paar Kilo müssen aber runter". Dasselbe hörst du dann von Fotografen, Kunden, Redakteuren, Werbeagenturen oder Stylisten. Die erste Lektion, die man in der Branche damals lernte, war: Bodyshaming ist keine Einbahnstraße. Während man Attacken gegen Körper und Aussehen eher gegen Menschen vermutet, die dem aktuellen Schönheitsideal aufgrund von Übergewicht nicht entsprechen, wird oft vergessen, dass auch dünne Menschen zuweilen sehr leiden müssen.
Schrödingers Körper
Beinahe alle Models, die ich kenne, waren nie das legendäre schönste Mädchen der Schule. Sie entsprachen keinem gängigen Abziehbild von Schönheit. Oft waren sie die "Giraffe", weil sie größer und dünner waren. Später als Model waren sie plötzlich zu fett, obschon sie in Kleidergröße 34 oder 36 passten und außerhalb der Schönheitsindustrie-Bubble als magersüchtig galten. Schrödingers Körper.
Keiner hielt sich an das simple Credo: Niemand darf einen Menschen danach beurteilen, ob er dick oder dünn ist, nach seinem Aussehen, seinem Geschlecht, seiner Hautfarbe, seiner sexuellen Orientierung oder seiner Religion. Dabei sollte nur zählen: Ist er ein Arschloch oder nicht? In der Fashion-Welt vor 15 Jahren waren die größten Arschlöcher mitunter deine eigenen Model-Kolleginnen. Wahrscheinlich, weil sie dich als Konkurrentin sahen.
Manchmal sitzt man eben mit 60 anderen Mädchen in einem Casting-Vorraum und es ist klar: Nur eine wird den Job bekommen. Da ist sie übrigens, die im Prinzip einzige Überschneidung der echten Model-Branche mit GNTM, deren Castings für die 2024er-Staffel unlängst in Berlin starteten.
Sticheleien und kulinarische Ausflüge in die Gerüchteküche, üble Nachrede, Beleidigungen – damals an der Tagesordnung. In meiner Wahrnehmung hat sich das heute in meiner Branche geändert. Die Mädchen sind weiser geworden. Weitsichtiger. Emphatischer. "Woker", wenn man Elfenbeinturmhasser ärgern möchte. Sie sind rücksichtsvoller. Klar, es ist immer noch ein extrem kompetitives Geschäft, aber die Grenzüberschreitungen im Zusammenleben werden weniger. Es gibt immer noch die fiesen Läster-Mädchen, die das Herabsetzen anderer als eigene Stärke fehlinterpretieren. Aber sie finden in der Branche einen deutlich kleineren Nährboden.
Das Mädchen, das Kolleginnen mit sorgsam choreographierten Gemeinheiten oder politisch lancierten Lästereien diskreditiert, gilt nicht mehr als das coolste Mädchen im Raum. Nicht mal mehr als das, mit dem man sich gut stellen sollte. Der Zusammenhalt ist größer geworden, auch das Unrechtsbewusstsein. Wer fälschlich attackiert wird, kann mit einer durchaus spürbaren Welle der Solidarität rechnen. Das war vor 15 Jahren anders.
Was Peter über Paul sagt
Auf dem Schulhof hörte ich Sätze wie: "Die will ich gar nicht nackt sehen, die hat ja nichts am Leib". Im Model-Business waren es andere Sätze, aber ebenso schmerzhaft für einen Teenager. Solidarität gab es weder auf dem Pausenhof noch auf Castings. Meine Oma tröstete mich mit den Worten "Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter aus als über Paul". Das half manchmal, manchmal jedoch nicht. Damals hätte ich mir gewünscht, dass Peter lieber nichts über Paul sagt, oder wenigstens nichts Gemeines.
Ich wusste in den Nullerjahren nicht, dass ich vom Regen in die (Social-Media-) Traufe kommen würde. Denn leider ist es nicht so, dass diese Geschichte mit dem Satz "Es ist in der Modelbranche deutlich besser geworden" beendet wäre. Mit den Jahren kamen das Internet und die Triumphzüge der Social-Media-Formate. Erst SchülerVZ, dann Facebook, dann Instagram, dann Snapchat, dann TikTok. Und plötzlich waren es nicht nur deine Mitschüler oder andere Models. Es waren Horden von zumeist anonymen Internet-Usern, die wie ein Orkan der Missgunst über die Kommentarspalten unter deinen Bildern hereinbrachen.
Seither beschimpft man mich täglich. Mir wird regelmäßig erklärt, ich hätte nur "Erfolg", weil ich hübsch bin, mich mindestens hochgeschlafen hätte, aber das sei vergänglich und bald verschwände ich in der Bedeutungslosigkeit. Man wünschte mir Vergewaltigungen, als ich mich gegen die AfD positionierte. Man spekulierte, warum ich wohl für große Magazine schreiben dürfe, auf Roten Teppichen und in TV-Shows auftauche und ob das nicht möglicherweise mit sexuellen Gefälligkeiten für Chefredakteure in Verbindung stehe.
Jeder erlebt Hass im Internet
Solche Kommentare und Nachrichten gibt es täglich. Selbst bei mir. Und ich bin nur ein sehr kleines Licht, verglichen mit den jungen Frauen, die in diesem Land wirklich in einer breiten Öffentlichkeit stehen. Die Kommentarspalten etwa bei Lola Weippert lesen sich oft, als wäre sie für das gesamte Elend unserer Welt verantwortlich. Und jeder, der so gerade eben fähig ist, sich ins Internet einzuloggen, scheint damit gleichzeitig die Legitimation zu erwerben, sie beleidigen zu dürfen und ehrenrührige Unterstellungen mitzugeben, als würde es Preise dafür geben, den nutzlosesten und gleichsam ekelhaftesten Hass-Kommentar abgesetzt zu haben.
Warum ist das so? Bringt das Internet wirklich das Schlechteste in den Menschen zum Vorschein? Ist es Neid? Nun könnte man argumentieren, dass sich jemand wie Lola Weippert, die mit ihrer Reichweite Geld verdient, sich eben damit abfinden muss, Liebling der Klatschpresse und der Hass-Kommentatoren gleichzeitig zu sein. Ich mag Lola sehr und wir sind in Charlottenburg quasi Nachbarn.
Sie ist selbstbewusst und stark genug, damit leben und umgehen zu können, fortlaufend als zu hässlich, zu dumm, zu nackt, als Schlampe oder als talentlos bezeichnet zu werden. Sie weiß: Nichts davon ist auch nur ansatzweise zutreffend. Aber leider ist nicht jede junge Frau, jedes Mädchen so stark.
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Warum? Nur für den Click, für den Augenblick?
Lola Weippert wird an diesen Kommentaren nicht zerbrechen. Sie wird sich nicht mal ändern deswegen. Warum auch? Dennoch muss sich unsere Gesellschaft dringend die Frage stellen, ob wir das wirklich so zulassen möchten. Es ist nämlich nicht falsch, sehr dünn zu sein oder sehr dick. Falsch ist, über andere zu urteilen, ohne sie zu kennen. Es gibt sehr viele da draußen, die nicht die Stärke einer Lola Weippert haben. Aber Hass trifft heute alle.
Du bist zu dick, zu dünn, Ausländer, schwul, Jude, hast die vermeintlich falsche Religion – egal, Hass findet einen Weg, dich niederzumachen und als tobender Sturm der Unmenschlichkeit über dich hinwegzufegen. Auch an diese Menschen sollten wir denken. Egal, ob sie Model, Sängerin, Schüler, Bäcker, Busfahrer, Hausfrau oder Chirurg sind. Menschen, die andere fortlaufend runterputzen, sollten nicht Teil unseres Lebens und unserer Welt sein, nicht mal der virtuellen.
Wir sollten uns von denen trennen, für die Menschlichkeit nicht an erster Stelle steht. Oder, um es abschließend nochmals mit meiner Oma zu sagen: "Ich habe diese Person heute zwei Mal getroffen. Zum ersten und zum letzten Mal".
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