Im Jahr 1982 gewann Nicole als erste Deutsche den Grand Prix Eurovision de la Chanson, den heutigen "ESC". Ihren wichtigsten Erfolg feierte sie aber erst 40 Jahre später: die Genesung von ihrer Krebserkrankung. Am 25. Oktober feiert die Saarländerin nun ihren 60. Geburtstag, am 15. November erscheint ihr neues Album "Carpe Diem".
Im Interview mit unserer Redaktion spricht Nicole über Gratulationen zum Geburtstag und gewährt Einblicke in ihre persönliche Bucket List. Zudem erklärt die Schlagersängerin, welche Rolle die Angst seit ihrer Erkrankung in ihrem Leben spielt.
Liebe Nicole, heute gratulieren Sie sich selbst zu Ihrem 60. Geburtstag – mit dem von Heinz Rudolf Kunze geschriebenen Song "Ich gratuliere mir". Was steckt dahinter?
Nicole: Mit diesem persönlichen Song möchte ich mich natürlich auf keinen Fall über andere stellen. Es hat nichts mit Überheblichkeit zu tun. Ich gratuliere mir vielmehr zu dem, was ich seit mehr als 40 Jahren leiste – sowohl in meinem beruflichen als auch in meinem privaten Leben. Es waren rückblickend so viele schöne Momente, Erlebnisse, Begegnungen und Erfolge bis hin zu meinem "Grand-Prix"-Sieg (1982 mit "Ein bisschen Frieden"; Anm. d. Red.) dabei, auf die ich wirklich stolz bin.
Natürlich denke ich auch an meine Kinder und Enkelkinder sowie an meine Hochzeit mit dem Mann, der nach wie vor an meiner Seite ist. In dieser Branche hat das durchaus Seltenheitswert. Ich konnte mir all das verwirklichen, wovon ich immer geträumt habe. Und dafür bin ich einfach dankbar und demütig.
Geht diese Dankbarkeit denn aus Ihrem Lied hervor?
Ja, denn in einer Passage heißt es "Ich gratuliere mir zu dir". Das heißt, dass ich mir zu meinen treuen Fans gratuliere, die meinen Weg seit mehr als vier Jahrzehnten begleiten. Bei meinen Konzerten blicke ich immer wieder in mir bekannte Gesichter, die ich mittlerweile schon fast alle mit Namen kenne. Insofern ist der Song auch als Kompliment an mein tolles Publikum zu verstehen.
Sind Sie sauer, wenn jemand Ihren Geburtstag vergisst?
Überhaupt nicht. Es ist ja nur ein Geburtstag, man wird also lediglich ein Jahr älter. Meistens stelle ich mein Handy sogar auf stumm, weil ich andernfalls den gesamten Tag am Telefon verbringen würde. Es ist ja lieb gemeint und ich freue mich sehr, wenn jemand an mich denkt. Doch mir persönlich reichen Gratulationen per WhatsApp oder per Sprachnachricht vollkommen aus. Diese kann ich dann in den Tagen danach in Ruhe abarbeiten.
Ein Grund zum Feiern ist ein Geburtstag aber in jedem Fall. Wobei ich der Meinung bin, dass man eigentlich keinen Grund zum Feiern braucht. Wenn einem danach ist, etwas zu feiern, dann sollte man es auch tun. Getreu dem Titelsong meines gleichnamigen Albums "Carpe Diem", darin heißt es nämlich: "Schlag' über die Stränge, wenn dir danach ist! Pfeif' auf die Menschenmenge, sei Egoist!"
Sie gratulieren sich selbst, während sich Ihr Kollege
Ich werde mit der Familie feiern, mit meinen Kindern und Enkelkindern, die mittlerweile auch schon neun und 13 Jahre alt sind. Zu meinem Geburtstag werden wir in die Sonne flüchten und uns eine Woche am Meer gönnen. Ich gehe auch davon aus, dass meine Töchter eventuell eine Überraschung für mich haben. Aber ich frage nicht nach (lacht).
Vor vier Jahren haben Sie Ihre Krebserkrankung öffentlich gemacht, mittlerweile gelten Sie als geheilt. Ist "Carpe Diem" Ihre persönliche Erkenntnis aus dieser schweren Zeit?
Definitiv. Wenn du es jetzt nicht kapierst, wann dann? Die meisten Leute machen es sich nicht bewusst, dass das Leben von heute auf morgen auf den Kopf gestellt sein kann. Wenn wir aber wüssten, dass wir nur noch 24 Stunden zu leben hätten, dann würden wir uns genau überlegen, wie und mit wem wir diese Zeit, die uns noch bleibt, verbringen wollen. Unser größter Feind ist die Zeit.
Wenn ich darüber nachdenke, kommt mir immer der Film "The Bucket List" (deutscher Titel: "Das Beste kommt zum Schluss") mit Jack Nicholson und Morgan Freeman in den Sinn. Das Beste kommt eben nicht immer zum Schluss. Vielleicht kommt das Beste auch in der Mitte – doch du siehst es nicht. Da wir zum Glück nicht wissen, wie es das Schicksal mit uns meint, sollten wir jeden Tag genießen.
Wie macht sich diese Wesensveränderung konkret in Ihrem alltäglichen Leben bemerkbar?
Was den Tagesablauf angeht, machst du nicht plötzlich ganz andere Dinge. Aber das, was du machst, machst du bewusster als zuvor. Ich will niemanden mehr fragen, ob ich etwas kann oder darf. Ich will machen! Ich will mutiger sein! Ganz viele vermeintlich wichtige Dinge werden auf einmal nichtig. Du erkennst das Wesentliche, das Wahrhaftige. Aber braucht es dafür unbedingt eine Diagnose? Ich meine nicht.
Was steht auf Ihrer Bucket List?
Ich möchte auf jeden Fall noch Australien und Neuseeland besuchen. Dann hätte ich alle Kontinente bereist. Ich möchte unbedingt einmal die Kängurus und Koalas in der freien Natur sehen. Grundsätzlich bin und bleibe ich aber ein großer Südafrika-Fan, einmal im Jahr geht es für uns nach Kapstadt. Dort fühle ich mich zu Hause.
Warum steht kein weiterer Auftritt beim Eurovision Song Contest auf Ihrer Bucket List?
Da ich die Entwicklung in den ganzen Jahren immer genau beobachtet habe, schließe ich das aus. Seit die einzelnen Ostblock-Staaten zugelassen worden sind, kann ich die Top-3-Lieder im Vorfeld nicht mehr bestimmen. Früher konnte ich das. Da diese Länder einander die Punkte unabhängig vom jeweiligen Auftritt "zuschieben", haben sie einen klaren Vorteil.
Wenn also einige Nationen die Punkte quasi geschenkt bekommen, während sich andere diese erst ersingen müssen, dann ist es schon ein unfairer Wettbewerb. Zudem ist der ESC aus meiner Sicht nur noch laut und schrill. Es tut mir weh. Damals hatten wir eine einzige Bühne – und die war für alle gleich. Seit 20 Jahren aber ist alles uniformiert und austauschbar. Mir fehlen die Persönlichkeiten, die sich einfach hinstellen und ein Lied singen, das mich berührt. Heute berührt mich nichts mehr.
In dem Albumsong "10 Minuten Zeit" singen Sie: "Ich bin noch nicht bereit für ein Goodbye". Was möchten Sie noch alles erreichen, damit Sie eines Tages bereit für ein Goodbye wären?
Meiner Meinung nach sollte man nie sagen, dass man alles erreicht hat. Man muss sich immer Ziele setzen. Nur das hält einen lebendig. Ich könnte mich niemals aufs Sofa zurückziehen und sagen: "So, das war's jetzt!" Aufgeben ist für mich keine Option. Aufstehen, Krone richten, weiterkämpfen und ab geht’s!
Wollen Sie auch im hohen Alter noch auf der Bühne stehen?
Nein, das wiederum eher nicht. Vielleicht mag es daran liegen, dass wir Frauen in der Regel etwas eitler sind – ich weiß es nicht (lacht). Wobei: Ich habe kürzlich Nana Mouskouri, die gerade 90 geworden ist, gesehen. Was für eine Frau! Oder Lena Valaitis: Da würde doch niemand denken, dass sie die "8" davor hat. Ich selbst traue mir noch etwa zehn Jahre auf der Bühne zu. Danach wäre es für mich vermutlich an der Zeit, noch mehr zu verreisen – ohne Termine, Verpflichtungen und Interviews im Hinterkopf zu haben.
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Wie präsent ist die Angst in Ihrem Hinterkopf, dass der Krebs eines Tages zurückkehrt?
Es war ja kein Schnupfen. Wenn ein Schnupfen wiederkommt, dann ist dieser mit Leichtigkeit zu bewältigen. Hier sprechen wir jedoch von einer Krankheit, die nicht ohne ist. Dessen muss man sich bewusst sein. Dennoch darf man sich nicht verrückt machen lassen. Wenn die Angst überwiegt, kannst du eben nicht jeden Tag genießen. Der Glaube und die Hoffnung sind, was mich betrifft, stärker als die Angst.
Über die Gesprächspartnerin:
- Nicole ist eine deutsche Sängerin, die 1982 in Harrogate mit ihrem Lied "Ein bisschen Frieden" im Alter von 17 Jahren den Eurovision Song Contest gewann. In der von 1969 bis 2000 ausgestrahlten "ZDF-Hitparade" belegte die in Saarbrücken geborene Sängerin 17-mal den ersten Platz. Ende 2020 erkrankte die zweifache Mutter an Brustkrebs. Heute gilt Nicole als geheilt. Kurz nach ihrem 60. Geburtstag erscheint am 15.11. ihr Album "Carpe Diem".
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