Visionär, Grenzensprenger, Rebell – am 9. Oktober wäre John Lennon 80 Jahre alt geworden. Wer war der Mensch hinter dem musikalischen Genie? Und wie groß ist Lennons Einfluss auf heutige Musikergenerationen?

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In Danny Boyles Musikkomödie "Yesterday" gibt es eine wunderbare Szene, in der ein 78-jähriger John Lennon auftritt. Der Film spielt in einer Welt, in der es die Beatles nie gegeben hat. Lennon hat ein einfaches Leben als Seemann geführt und genießt nun seine Tage in einer Hütte am Meer.

Gekonnt stellt der Film die Frage: "Was wäre wenn?" Für die Zuschauer ergibt sich der Reiz daraus, dass sie wissen, was war. Dass John Lennon am 8. Dezember 1980 erschossen wurde. Mit gerade mal 40 Jahren. Am 9. Oktober 2020 wäre er 80 Jahre alt geworden.

Doch hätte man sich Lennon wirklich als einfachen, bescheidenen Seemann vorstellen können? Den Lennon, dessen zweiter Vorname Winston lautet – nach dem in England als Lichtgestalt verehrten Winston Churchill? Wohl kaum.

John Lennon war sein ganzes Leben auf der Suche

Zeitlebens war Lennon ein Getriebener. Der ausbrechen wollte aus der bürgerlichen Enge, aus der er entstammte. Der von Selbstzweifeln geplagt nach immer neuen Ausdrucksmöglichkeiten suchte.

Er war Rebell, Querdenker und Provokant. Er war Teenie-Idol und Avantgarde-Künstler. In einer Bombennacht geboren, wurde er zum Friedensaktivist. Er war auf den Bühnen der Welt zu Hause und lebte jahrelang als Großstadt-Eremit.

Schon in der Schule gab John Lennon den Klassenclown. Er schrieb sich an der Kunsthochschule ein, fühlte sich jedoch fehl am Platz und seinen Kommilitonen unterlegen. Zufällig lernte er auf einer Party einen gewissen Paul McCartney kennen. Es war der Beginn der bahnbrechendsten Songwriting-Partnerschaft der Popgeschichte.

Natürlich ist Lennons Vermächtnis übermächtig. ʺHelpʺ, ʺAll You Need is Love”, "A Hard Day’s Night”, ʺStrawberry Fields Forever”, "Come Together” – die Liste der von ihm komponierten Superhits ist lang.

Doch als Lennon mit den Beatles auf dem Höhepunkt war, verließ er die Gruppe. Aus Langeweile – wie er in einem Fernsehinterview einige Jahre später erklärte.

Als eine neue kreative Phase beginnt, stirbt er

Zu diesem Zeitpunkt strickte der Rastlose längst wieder an einem anderen John Lennon. Mit seiner neuen Partnerin, der Fluxus-Künstlerin Yoko Ono, nahm er experimentelle Solo-Alben auf. Produzierte Filme. Und veranstaltete Happenings wie die legendären "Bed-ins".

Doch bald wurde es ruhiger um Lennon. Sicher, da war die großartige Friedenshymne "Imagine". Mit "Instant Karma", "Working Class Hero" und "Jealous Guy" landete er noch einige Hits. Doch die musikalische Entwicklung ging über ihn hinweg. Der Punk wütete, Disco stampfte – ein Lennon wirkte da wie aus der Zeit gefallen.

Schließlich zog sich Lennon vollständig ins Private zurück. Fast fünf Jahre lang lebte er ein Leben als Hausmann in New York. Erst 1980 meldete er sich mit einem neuen Album zurück. Als die tödlichen Schüsse fielen, war "Double Fantasy" gerade drei Wochen auf dem Markt.

Inzwischen ist John Lennon genauso lange tot wie er gelebt hat. Doch sein Einfluss auf nachfolgende Musikergenerationen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn der beschränkt sich nicht auf die Tatsache, dass Lennon mit den Beatles quasi die Blaupause für alles geschaffen hat, was wir heute Popmusik nennen.

Lennon sprengt die Grenze - und singt als erster über Selbstzweifel

Es war Lennon, der zum ersten Mal in einem Popsong seine eigene Unzulänglichkeit thematisierte. Seine Selbstzweifel und seinen Schmerz in den Fokus stellte. "I’m a Loser" sang er 1964 – in einer Zeit, in der Popsongs von Liebe und unbeschwerten Sommertagen zu handeln hatten.

Lennon sei sein ganzes Leben auf der Suche nach Hilfe gewesen, sagte Paul McCartney 2015 in einem Interview der Zeitschrift "Rolling Stone". Einer seiner größten Hits – "Help" – bringt diese Tatsache auf den Punkt.

Lennons Witwe, Yoko Ono, pflegt den musikalischen Nachlass ihres Mannes bis heute. 1983 stellte sie das letzte geplante Lennon-Album "Milk and Honey" fertig. Bereits 1981 hatte sie mit "Season of Glass" ihr erfolgreichstes eigenes Album veröffentlicht. Auf dem Cover war die blutverschmierte Brille Lennons zu sehen. Beatles-Fans warfen ihr daraufhin vor, den Mord an ihrem Mann für eigene Zwecke zu missbrauchen.

All You Need Is Love – das Erbe

Dass das Lennon-Erbe auch schwer wiegen kann, zeigt sich bei seinen Söhnen. Beide starteten eine Musikkarriere mit leidlichem Erfolg. Julian Lennon hatte in den 80er Jahren einige mittelgroße Hits, der bekannteste wohl "Too Late for Goodbyes".

Sean Lennon wiederum probierte sich in unterschiedlichsten Genres aus, ohne die ganz großen Erfolge zu feiern. Dabei kollaborierte er unter anderem mit Größen wie Thurston Moore, John Zorn, Ryan Adams und Lana del Rey. 2006 formte er mit Les Claypool, dem Bassisten der Funk-Rock-Legende Primus, das Duo The Claypool Lennon Delirium.

John Lennons Geschichte wird also weitergeschrieben, sicher noch viele Jahre. Vielleicht aber ist das Paralleluniversum aus dem Film "Yesterday" doch keine völlig undenkbare Vision. Der Lennon aus dem Film erzählt, dass er ein rundum glückliches Leben geführt hat. Und dass es die Liebe ist, die für ihn immer die wichtigste Rolle gespielt hat. Frei nach dem Motto: "All You Need Is Love".

Verwendete Quellen:

  • Philip Norman: John Lennon: Die Biographie, Ecco 2019
  • YouTube: Inside John Lennon, 2003
  • YouTube: John Lennon at the Tomorrow Show
  • Rollingstone.de: Paul McCartney: "John Lennon war sein Leben lang auf der Suche nach Hilfe"
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