Ein neunjähriger Junge ist tot, und seine Mutter sagt, jeder könnte die Schuld daran tragen. "Marlon" erzählt die traurige Geschichte eines Schülers, von dem sich alle überfordert fühlten. Ein wichtiger "Tatort" aus Ludwigshafen, dem weniger Sendungsbewusstsein gutgetan hätte.

Eine Kritik
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Um Himmels willen: Marlon ist da. "Sie haben Marlon reingelassen!", ruft jemand. Die Angst im "Tatort: Marlon" (Sonntag, 8. Mai, 20:15 Uhr, Das Erste) ist groß, die Aufregung noch größer, die Musik bedrohlich. Man könnte meinen, ein Massenmörder habe den Bibelkreis gestört. Aber es geht nur um einen Grundschüler und ein Schulfest.

Die friedlichen Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, als eine Mitschülerin auf dem Schulhof den neunjährigen Marlon (Lucas Herzog) erspäht, der eigentlich vom Fest ausgeschlossen wurde. Wir sehen Erwachsene auseinanderstreben, um Hilfe zu holen. Wir sehen aufgeregte Schüler.

Und wir sehen Marlon durch die Gänge rennen, berstend vor Wut, eine Energie verströmend, als werde er die Schule gleich in Feuer aufgehen lassen. So wie Carrie das getan hat, die Titelfigur in Stephen Kings gleichnamigem Horrorroman: Ein von allen gehänseltes Mädchen, das sich an seinen Peinigern auf fürchterliche Weise rächt. Aber dann liegt Marlon tot am Fuß der Treppe. Das ist der starke Anfang des neuen "Tatorts" aus Ludwigshafen.

Marlon im "Tatort": Ein Kind ohne Freunde und Anschluss

Es sieht so aus, als habe jemand Marlon absichtlich gestoßen, und die Kommissarinnen Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) ermitteln. Ob sie eine Ahnung habe, wer es gewesen sein könnte, fragt Lena Odenthal Marlons Mutter (Julischka Eichel). Deren Antwort: "Jeder."

Außer seinem Mitschüler Pit (Finn Lehmann) und Anton Leu (Ludwig Trepte) scheint Marlon keine Freunde gehabt zu haben. Anton Leu ist der einzige Sozialarbeiter der Schule – und offenbar der einzige Erwachsene, der mit Marlon umgehen konnte. Ein engagierter Pädagoge, der die Bürde, die ihm ein unterfinanziertes Schulwesen auflastet, nur mit seinem Hund teilen kann. Jungen wie Marlon dürfen Antons Collie ausführen und finden in Antons Büro, das mit Sofas, Tischfußball und Postern wie ein Hobbykeller wirkt, einen Zufluchtsort.

"Marlon" ist die Geschichte eines Jungen, mit dessen Emotionen die Erwachsenen noch schlechter umgehen konnten als er selbst. Er hat gebissen, geschrien und um sich geschlagen. Seine überforderte Mutter hat ihn verzweifelt in seinem Zimmer weggesperrt. Sein Vater (Markus Lerch) hat sich zwischen den Regalen seiner Buchhandlung vor der Verantwortung gedrückt. Die Lehrer hatten Angst, dass "alles außer Kontrolle gerät". Sie scheinen ganz froh über den Ausschluss vom Schulfest gewesen zu sein, den der erboste Vater Oliver Ritter (Urs Jucker) erwirkt hat.

"Marlon" ist ein differenziertes Bild von den Herausforderungen des Schulalltags

Marlon hat Ritters Tochter Madita (Hanna Lazarakopoulos) den Arm gebrochen, worauf sowohl der aufgeblasene Vater als auch die naseweise Tochter oft und gerne hinweisen. Die beiden sprechen allerdings nicht darüber, dass Madita eine gewiefte kleine Manipulatorin ist, die genau weiß, wie man Aufmerksamkeit bekommt, Mitschüler und Eltern gegeneinander ausspielt und sogar Kommissarinnen nach der eigenen Pfeife tanzen lässt.

Aber Lena Odenthal und Johanna Stern finden bald heraus, dass Madita eigentlich mit Marlon und Pit befreundet war. Und sogar Maditas Vater erweist sich als gar nicht ganz so herzloses Ungeheuer, wie es den Anschein hatte.

Unter der Regie von Isabel Braak zeichnet "Marlon" ein differenziertes Bild von den Herausforderungen, die der Schulalltag an Lehrer, Eltern und auch Schüler stellt. Hier ist niemand nur Engel oder Teufel, Held oder Bösewicht – hier sind alle einfach nur menschlich. Hinzu kommt ein Schauspielensemble, in dem auch die Kinder überzeugen.

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Kinder stehen im Mittelpunkt des "Tatorts" aus Ludwigshafen

Die Kinder stehen im Mittelpunkt von Karlotta Ehrenbergs Drehbuch, dem es gelingt, bei aller Ausgewogenheit auf sympathische Weise Partei zu ergreifen. Über Marlon werde gesprochen, als sei er ein Erwachsener, schimpft Lena Odenthal einmal über die Erwartungshaltung aller an den Jungen: "Aber man, das ist ein Kind!". Und wir spüren genau: Da spricht eine leidenschaftliche Frau aus der Erfahrung eines wilden Mädchens heraus.

Leider sagen sie und Kollegin Stern noch so einiges, worüber man die Überschrift "Mängel und Herausforderungen der pädagogischen Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern" förmlich schweben sieht: "Marlon" wartet wieder mit einem Übermaß an Erklär- und Deklarationsdialogen auf, für die der Ludwigshafener "Tatort" eine lästige Schwäche hat und die Ulrike Folkerts und Lisa Bitter nur selten überzeugend locker rüberbringen. Dabei hätte "Marlon" das gar nicht nötig, seine wichtige Geschichte hätte dieser "Tatort" mit deutlich weniger Worten noch besser erzählen können.

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