Vielleicht sieht das der eine Gebühren zahlende Wutbürger oder die andere beleidigte Drehbuchautorin ja anders, aber die ARD ist kein Mafiaverein. Trotzdem wirkt "Das Mädchen, das allein nach Haus' geht" natürlich hochsymbolisch: Es ist der letzte Berliner "Tatort" mit Meret Becker, die ihren Ausstieg als Kommissarin Nina Rubin angekündigt hat. Und er handelt von einer jungen Frau, die aus der Russenmafia aussteigen will.
Zwei Frauen also, die ganz allein in den Sonnenuntergang schreiten wollen - symbolisch natürlich, wie gesagt. Hier wird nichts gespoilert. Auch wenn nach einer halben Stunde "Tatort" auch der unsensibelste Zuschauer ahnen dürfte, dass die Episode nicht beim Abschiedsfest mit "Endlich Rente!"-Partyhütchen enden wird.
Dafür sorgen schon das Drehbuch von Günter Schütter (von dem auch der legendäre "Tatort: Frau Bu lacht" stammt) und die Kamera und Regie von Ngo The Chau: Hier wird dermaßen melodramatisch geredet und inszeniert, dass man sich für "Tatort"-Kommissarinnen und -kommissare eine Amtszeitbegrenzung herbeiwünscht.
Wenn das Dienstende von vorneherein klar ist, müssten letzte Fälle nicht noch hektisch mit Bedeutung aufgepumpt werden wie Tierballons auf dem Jahrmarkt, denen zu viel Helium das freundliche Gesicht zur lächerlichen Fratze verzerrt hat. Wenn solche Ballons in den Himmel entschwinden, bricht das ein oder andere empfindsame Kind vielleicht in Tränen aus. Aber alle anderen finden die Angelegenheit ja eher lustig.
Mordermittlungen gebettet in Einsamkeitsästhetik
"Das Mädchen, das allein nach Haus' geht" geht ganz bodenständig los: In der Spree schwimmt eine kopflose Leiche. Robert Karow (
Julie weiß aus Mafiakreisen, dass Nina als unverschämt unbestechlich gilt. Also folgt sie ihr auf ihren hohen Stöckelschuhen des Nachts so auffällig wie möglich und bittet um Hilfe: Sie halte es bei Yasha nicht mehr aus. Besonders, seit sie mitansehen musste, wie der einen Informanten der Polizei ermordete – besagte Flussleiche. Um in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, ist sie bereit, den Clan zu belasten.
Fortan wird Julie verängstigt gucken und für eine verzweifelte Fluchtwillige eine erstaunlich dämliche Kleiderwahl (hohe Schuhe, enge Röcke, leuchtend weiße Blusen) an den Tag legen. Aber um Logik geht es in diesem "Tatort" nicht – es geht um einen emotional hoch aufgeladenen und dramatischen, aber trotzdem schön anzusehenden Abschied für Nina Rubin.
Nina wirft sich also voller Leidenschaft in die Operation Julie. Die beiden verbindet vom ersten Augenblick an eine innige Zuneigung. Das könnte natürlich an Nina Rubins mütterlichem Großherz und Beschützerinstinkt liegen. Nur wird die Zuneigung eher unmütterlich bebildert: Die beiden treffen sich im schummrigen Rot einer Lesbenbar, sie tanzen und sie küssen sich, und noch in größter Gefahr wird Händchen gehalten.
Außerdem herrscht ständig Nacht, damit die Verlorene-Seelen-haftigkeit der frisch gebackenen besten Freundinnen in der angemessenen Großstadteinsamkeitsästhetik eingefangen werden kann.
Ein Drehbuch, so bedeutungsschwer wie ein Meilenstein
Und die Dialoge! Jedes logistische Vorbereitungstreffen wird mit Selbsttherapie-Geschwurbel eingeseift: "Jetzt sehne ich mich zurück nach der Zeit und der Hoffnung." – "Hoffnung steht mir nicht, ich habe kein Talent zum Glück." Da wundert es dann auch nicht mehr, warum Julie "Schülie" heißt und nicht einfach Julia. Oder Sabine.
Weil es eher um das Drama geht als um den Krimi. Und damit auch – ganz schön meta – um die Seelenverwandtschaft zweier Frauen, die mehr (Julie Bolschakow) oder weniger (Nina Rubin) todesmutig Freiheit gegen Sicherheit (im Schoß der Mafia oder des "Tatort") einzutauschen bereit sind. Dann wiederum sind logistische Vorbereitungstreffen nur der störende Boden der Krimitatsachen, auf den poetisches Liebesgesäusel nur peinlich berührend hinabplumpsen kann.
Apropos: Für ein ordentliches Abschiedscrescendo muss natürlich auch die Temperatur der eigentlich doch so coolen Beziehung zwischen Nina Rubin und Robert Karow schnellkochtopfmäßig erhöht werden. Aber das ist nun wirklich das geringste Problem dieses "Tatorts".
Trotz allem ist es deshalb traurig, dass Robert Karow jetzt ein Mann ist, der allein nach Hause geht (bevor Corinna Harfouch neue Berliner "Tatort"-Kommissarin wird). Im nächsten Fall ermittelt er erst einmal solo – und hoffentlich ganz kopflastig.
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