• Steven Gätjen wird auch dieses Jahr live vom roten Teppich in Hollywood über die Oscars berichten.
  • Im Interview mit unserer Redaktion erzählt Gätjen von seinem Lieblings-Red-Carpet-Moment.
  • Darüber hinaus sprechen wir über die Oscar-Reformen und warum er eine Entscheidung der Academy nicht gut findet.
Ein Interview

Herr Gätjen, seit über 20 Jahren berichten Sie über die Oscars live vor Ort am roten Teppich in Los Angeles. Werden Sie eigentlich noch nervös?

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Steven Gätjen: Das ist eine schöne Frage und da bekomme ich auch etwas Gänsehaut. Der Tag der Oscar-Verleihung ist immer besonders für mich, weil ich Filme und das Kino seit meiner Kindheit liebe. Die Oscars sind immer noch das spannendste Event der Branche. Sicherlich hat der Oscar an seiner Strahlkraft in den vergangenen Jahren zu Recht verloren, aufgrund der Art und Weise der Preisvergabe und Nominierungen. Aber das ist immer noch total aufregend für mich. Es kann sein, dass du viele Stars vor die Kamera bekommst. Es ist aber auch möglich, dass du keinen vors Mikro kriegst. Das ist das Spannende.

Haben Sie einen Lieblings-Red-Carpet-Moment?

Die Momente, in denen man das Gefühl hat, dass die Person, die einem gegenübersteht, selber Spaß dabei hat und die eigene Aufregung und Leidenschaft auf den Interviewer überträgt – das sind die schönsten Momente. Es gibt Leute, die haben so unfassbar viel Energie. Judi Dench und Will Smith, der dieses Jahr für seine Performance in "King Richard" einen Oscar gewinnen könnte, habe ich schon oft interviewen können. Das sind einfach tolle Leute, die ihren Job lieben und leben. Die wissen auch, warum Journalisten wie ich am roten Teppich stehen, weil wir Lust haben, mit ihnen zu sprechen.

Gibt es auch Momente, an die Sie sich nur ungern erinnern?

Natürlich. Ich erinnere mich da beispielsweise an die Managerin von Sandra Bullock. Vielleicht ist sie eine sehr freundliche Person, aber wenn sie arbeitet, ist sie das nicht. Auch Bullock selbst ist eher angriffslustig, vielleicht auch, weil sie solche Interviews nicht mag. Das sind dann diese Momente, wo du aus dem Interview herausgehst und dir denkst "Was habe ich da gerade geredet?" Es gab auch Momente am roten Teppich, da erkennst du jemanden nicht und fragst ins Blaue, in der Hoffnung, die Person mithilfe von Hinweisen wiederzuerkennen. Das sind sicherlich keine Glanzmomente. Auf der anderen Seite gehört das dazu, wenn man live am roten Teppich steht und davor habe ich auch keine Angst. Wie meine Großmutter so schön gesagt hat: "Wenn jemand Scheiße schmeißen will, schmeißt er Scheiße." Wenn ich etwas nicht perfekt mache und jemand mich nicht mag, dann werde ich dafür etwas abkriegen. Aber das stört mich nicht.

Ist es eigentlich wichtig, wo genau man am roten Teppich steht? Welcher Platz ist der beste, um die Stars vors Mikro zu bekommen?

Das Ganze ist ein Spiel. Ich glaube, es gibt nicht die ideale Position, sondern es gibt die idealen Positionspartner. Es kommt immer darauf an, neben wem du stehst. Wenn du zum Beispiel neben dem Sender ABC stehst, ist die Chance manchmal höher, dass du Stars vors Mikro kriegst. Denn ABC hat einen ganz stringenten Showablauf. Die wissen genau, zu welcher Uhrzeit welcher Star kommt. Dann kann es vorkommen, dass sich eine Schlange bildet und da kannst du dir die eine oder andere Person rausschnappen.

Hat es auch mal nicht so gut geklappt?

Wir hatten mal in einem Jahr die Position direkt neben der Fotowand. Da dachten wir, dass die Stars ihre Fotos machen und zu uns kommen. Das war aber nicht der Fall. Ich habe es in den letzten Jahren so praktiziert, dass ich mich meinen Partnern vorstelle, die neben mir am roten Teppich stehen. Und die Erfahrung hat gezeigt, dass man als Team immer am besten funktioniert. Mit europäischen Kollegen aus Frankreich und Großbritannien konnte ich mich immer gut abstimmen. Bei den amerikanischen Teams ist es etwas absurd, weil sie egoistisch sind und nicht offen dafür, gemeinschaftlich zu arbeiten. Die machen lieber Selfies mit den Stars.

Ist es denn möglich, vorher die Assistenten oder Manager zu kontaktieren, damit die wissen, dass Sie am roten Teppich stehen und ein Interview führen möchten?

Unsere Redaktion schreibt die ganzen Filmverleiher an und schickt ihnen auch ein Foto von mir. Die Pressesprecher laufen vor den Stars über den roten Teppich, um zu kontrollieren, wer auf welcher Position steht. Und da sprechen wir auch immer mit ihnen und sagen, dass wir aus Deutschland kommen und dass wir uns über Interviews freuen würden. Deutschland ist ja immer noch ein großer Filmmarkt. Einige von den Managements und Stars kenne ich ja auch bereits und dann gibt es da eine gute Chance, dass sie stehenbleiben.

Welchen Star würden Sie denn gerne interviewen?

Mit Jane Campion würde ich gerne sprechen, weil sie mit "Das Piano" vor 29 Jahren ihren ersten Oscar gewonnen und dieses Jahr mit "The Power of the Dog" große Chancen hat, die Kategorie "Beste Regie" für sich zu entscheiden. Ich hatte aber eigentlich die meisten meiner Idole und Legenden schon vor der Kamera. Aber es ist immer wieder schön, sie zu treffen und auf dem roten Teppich mit ihnen zu schnacken. Am Ende nehme ich aber jede Person, die mit mir sprechen möchte.

Kommen wir zur diesjährigen Oscar-Verleihung, die diesmal etwas anders aufgebaut sein wird. Denn acht Kategorien werden nicht mehr live präsentiert und ausgezeichnet. Stars wie Steven Spielberg haben schon Kritik geäußert, aber es sieht nicht danach aus, dass die Pläne noch geändert werden. Was halten Sie von dieser Entscheidung?

Aus Sicht der Produzenten ist das für mich total nachvollziehbar. In den vergangenen Jahren sind die Quoten der Oscars in den Keller gerutscht. Letztes Jahr hatten wir die schlechteste Oscar-Verleihung aller Zeiten, da halbierte sich die Quote. Der Sender hat ein Interesse daran, eine Show zu produzieren, die auch von einer breiten Masse angeschaut wird. Dieses Jahren haben die Produzenten dann gesagt, dass es Kategorien gibt, die die breite Masse nicht so interessieren wie andere. Die hat man dann aussortiert. Sie wollen eher die Kategorien mit den großen Stars wie Will Smith und Jessica Chastain zeigen. Die aussortierten Kategorien zelebrieren sie in einer Veranstaltung vor der Live-Sendung und bauen sie gekürzt in die Show ein. Kann ich alles nachvollziehen.

Aber?

Aus künstlerischer Sicht und was die Wertschätzung angeht, ist das der völlig falsche Schritt. Daher kann ich auch verstehen, wenn sich ein Steven Spielberg darüber aufregt. In der Kategorie "Beste Filmmusik", die nicht live präsentiert wird, ist auch Hans Zimmer nominiert. Da muss man sich überlegen, wo geht das in Zukunft hin? Ich finde, das war keine gute Entscheidung der Academy.

Es wurden Oscar-Presenter angekündigt, die mit Filmen nicht direkt etwas zu tun haben, wie beispielsweise Shaun White, Tony Hawk und DJ Khaled. Finden Sie es gut, dass man versucht, Sport- und Musikfans für die Oscars zu begeistern?

Ich bin ein großer Fan des Entertainments. Genau das brauchen wir in diesen Zeiten. Wir befinden uns seit zwei Jahren in einer Pandemie und es gibt einen Krieg in Europa, der uns allen Angst macht. Unterhaltung ermöglicht es uns, mal abzuschalten und an etwas Schönes zu denken. Stars wie White, Hawk und DJ Khaled – das sind alles Leute, die zwar nur sekundär etwas mit Filmen zu tun haben, aber trotzdem zelebrieren sie das ja. Der Slogan der Oscars dieses Jahr lautet "Movie Lovers Unite". Deshalb finde ich diese Entscheidung total gut – sie macht die Verleihung breiter und größer.

Sie haben die Pandemie eben angesprochen. Beeinflusst das die Art und Weise, wie Sie sich auf so ein Event vorbereiten?

Es macht die Arbeit mittlerweile etwas einfacher in der Vorbereitung. Ich möchte im Voraus alle Filme gucken und dadurch, dass die Streamingdienste immer erfolgreicher bei den Oscars abschneiden, kommt man schneller an die Inhalte ran. Vor zehn Jahren war das noch nicht der Fall. In der Vorbereitung ist es in der Masse gleich geblieben, aber in der Beschaffung der Filme ist es einfacher geworden.

2019 haben Sie gesagt, dass "Green Book" den Oscar als "Bester Film" gewinnen wird. Und Sie lagen richtig. Welcher Film wird dieses Jahr den großen Preis mit nach Hause nehmen?

Ich glaube, dieses Jahr macht "The Power of the Dog" das Rennen. Der Film hat nur in zwei großen Kategorien eine sehr gute Chance: "Bester Film" und "Beste Regie". In den anderen Kategorien wird es für das Drama extrem schwer. Ich finde aber auch "Belfast" großartig, der Film könnte noch für eine Überraschung sorgen.

Sie haben "CODA" nicht erwähnt. Der Film, der von Apple TV+ veröffentlicht wurde, hat in den letzten Wochen wichtige Industriepreise wie den PGA und WGA-Award gewonnen. Glauben Sie, dass der Film ebenfalls Chancen hat?

Ich glaube, Troy Kotsur (der im Film "Frank Rossi" spielt) wird den Oscar als "Bester Nebendarsteller" gewinnen. Er ist erst die zweite gehörlose Person nach Marlee Matlin, die für einen Schauspiel-Oscar nominiert wurde. "CODA" als Film hat aber meiner Meinung nach nicht die Stärke, sich gegen "The Power of the Dog" zu behaupten. Das ist ein ganz feiner, toll erzählter Film. Aber der hat nicht dieses Epische, was "The Power of the Dog" wiederum hat. Und wenn man sich die Geschichte der vergangenen "Bester Film"-Gewinner mal anschaut, waren das meistens große Filme. Und "CODA" ist ein eher kleiner Film. Ich finde es toll, dass er es so weit geschafft hat. Aber ich denke nicht, dass er den großen Preis gewinnen wird.

Kommen wir zum Thema "Diversity". Vor einigen Jahren gab es den Hashtag OscarsSoWhite. Dieses Jahr sind zwei schwarze Schauspieler, nämlich Will Smith und Ariana DeBose, große Favoriten in ihrer jeweiligen Kategorie. Sind Sie mit den Bemühungen der Academy, mehr People of Color zu nominieren und auszuzeichnen, zufrieden?

Für mich stellt sich nicht die Frage, ob man mehr POC, Frauen, Südamerikaner oder Asiaten nominiert. Viel wichtiger ist es, dass jeder eine Chance hat, sein Produkt einzureichen. Egal welche Ethnie, Hautfarbe oder religiöse Ausrichtung man hat. Es ist wichtig, diese Diskussion zu führen, aber unter diesem Gesichtspunkt. Ich bin gegen jegliche Art von Quote oder Zwang, weil ich glaube, dass das nicht der richtige Weg ist. Vielleicht ist aber eine Quote wichtig, um den nächsten Schritt zu machen. Die Academy hat in den vergangenen Jahrzehnten ganz viel falsch gemacht, vor allem der Black Community gegenüber. Und dass die Diskussion mit #OscarsSoWhite stattgefunden hat, ist total richtig. Für viele geht es zu Recht nicht schnell genug, aber es passieren endlich Dinge. Und das muss man unterstützen und weiterhin Druck ausüben. Am Ende sollen aber immer die kreativsten und besten Leute nominiert werden, und das schließt jeden ein. Das wird noch ein langer Weg sein. Die Golden Globes sind darüber zu Recht gestolpert und im Fegefeuer, aber die versuchen sich gerade auch neu zu definieren.

Sie berichten seit über 20 Jahren von der Oscar-Verleihung, aber im Dolby Theater waren Sie noch nie. Wird es dieses Jahr mit einem Ticket klappen?

Das wird auch dieses Jahr nicht klappen. Die Tickets sind unfassbar limitiert und ich bin in der Hierarchie der Ticketanwärter ganz weit hinten. Aber das hat auch etwas Gutes. Man sagt ja "Never meet your idols", weil sie dich dann nur enttäuschen können. Meine Erwartungshaltung gegenüber den Oscars ist so hoch, und dann sitze ich da vielleicht in einem knarzigen Holzstuhl, mein Rücken tut weh, ich kann nichts sehen, es ist heiß und stickig. Und dann denke ich am Ende nur: "Oh Gott, ich will wieder auf den roten Teppich." Aber irgendwann werde ich vielleicht die Möglichkeit haben, aber nicht dieses Jahr.

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